Bildungseinrichtungen tragen Mitverantwortung an Integration- Matthias Freiling (GfM GmbH & Co. KG)

Interview mit Matthias Freiling
Matthias Freiling ist Geschäftsführer der GfM GmbH & Co. KG. Im Interview spricht er über die gesellschaftliche sowie berufliche Integration von Flüchtlingen und warum Pädagogen zu Führungspersönlichkeiten werden.

Bildung im Wandel: Die Anforderungen an Bildungseinrichtungen und Lehrer/innen haben sich im digitalen Zeitalter verändert. Wie haben Sie das in den letzten Jahren wahrgenommen?

Matthias Freiling: Zunächst einmal extrem abstrakt! Das Thema Digitalisierung ist in aller Munde, jeder spricht darüber, jeder kann irgendetwas dazu sagen, konkret wurde es selten.

Für uns als berufliche Bildungseinrichtung war bereits vor Jahren klar: Da ist etwas ganz wichtiges unterwegs und wir müssen uns darauf einstellen aber es war lange nicht klar wie.

Einen wirklichen Schub gibt es erst durch Corona.

Anforderungen durch home schooling in Corona Zeiten: Das Lernen am Bildschirm stellt sehr hohe Anforderungen an Lehrer und Schüler. Lernen wird auf Inhalte reduziert, die persönliche Ansprache, Fragen, Rückfragen, Gespräche treten klar zurück. Die Trainer und Teilnehmer in unserem Bereich der Erwachsenenbildung gehen damit erstaunlich souverän um (modulare Lerneinheiten). Allerdings gibt es auch hybride Lösungen, also zusätzlich zur reinen Bildschirmarbeit auch das persönliche Gespräch, wenn auch natürlich in größeren Abständen. Es stellt sich im Übrigen heraus, dass es bereits sehr gute Anwendungen und Programme gibt, die die technische Basis sicherstellen. Hier muss das Rad gar nicht neu erfunden werden. Wir haben das Glück, mit einem engagierten Team. Dieser Kreis hat innerhalb weniger Wochen wesentliche Bildungsangebote auf „online“ umgestellt.

Veränderungen durch den Arbeitsmarkt: Arbeitsmarkt und Berufsbilder haben sich für Schulabgänger zunächst nicht wirklich nennenswert geändert. Die regionalen Betriebe, die öffentliche Hand suchten und suchen nicht in erster Linie nach Kompetenz im Bereich der Digitalisierung, sondern eher nach Kompetenz im Bereich der social skills. Berufsbilder mit starkem IT Bezug spielen allmählich eine größere Rolle. Dazu gehören die Branche des Dialogmarketing, der Datensicherheit, des online Shoppings um einige Beispiele zu nennen. In den ländlichen Bereichen ist gleichwohl jetzt noch „alles beim alten“. Erkennbar ist die Sorge und teilweise die Angst von Älteren oder Berufsrückkehrern. Sie befürchten, dass der aktuelle Arbeitsplatz Anforderungen stellt, denen sie sich nicht gewachsen fühlen. Hier ist für die Berufsbildner eine sachliche und konstruktive Aufklärungsarbeit angesagt.

Die Veränderung in der Bevölkerungsstruktur mit Flüchtlingen und mehr Migranten führt zu veränderten Lerninhalten. Wie reagiert Ihre Einrichtung darauf?

Matthias Freiling: Wir haben sofort mit dem Beginn der Flüchtlingswelle 2015 Menschen betreut, die in Deutschland Schutz gesucht haben. Das gilt heute noch. Bildungseinrichtungen haben nach unserem Verständnis nicht in erster Linie die Aufgabe der Wissensvermittlung, sondern eine zentrale Mitverantwortung für die gesellschaftliche und berufliche Integration. Dabei geht es weniger um Inhalte (eine IHK Prüfung ist eine IHK Prüfung, egal wer sie ablegt). Und Deutsch als Fremdsprache gibt es schon seit unzähligen Jahren. Das hat sich nicht geändert. Es geht in erster Linie um Methodik, Fachdidaktik und leben und arbeiten in fremder Kultur. Wir haben daher unmittelbar begonnen,

  • Verfahren weiterzuentwickeln, die vorhandene Kompetenzen feststellen und zwar unabhängig von Originalzeugnissen (die am Ende sowieso niemand versteht),
  • Lerninhalte deutlich mehr als vorher in praktische und erlebbare Module umzusetzen (Werkstätten) und zwar abhängig von den Vorkenntnissen,
  • die allgemeingültigen Inhalte des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens GER (A1 bis C2) durch berufsbezogene fachsprachliche Inhalte zu ergänzen und
  • mit der Gründung eines internationalen Berufsbildungsinternats in Dessau-Roßlau (Sachsen-Anhalt) die Voraussetzungen geschaffen, das neuankommende Menschen nicht „nur“ zusammen lernen können, sondern zusammen in Deutschland leben lernen können (Essen, schlafen, wohnen, lernen, Führerschein, Vereine, Behörden, Familie u. s. w.)

In der Bildungsbranche gibt es auch ein sogenanntes Qualitätsmanagement. Welchen Anforderungen muss der Qualitätsbeauftragte eines Bildungsinstituts in der Praxis gerecht werden?

Matthias Freiling: QM ist unverzichtbar, daran hat sich überhaupt nichts geändert. Die Anforderungen ergeben sich aus der maßgeblichen QM-Norm wie AZAV oder ISO o. ä. Mit dem Thema Digitalisierung kommt die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) dazu. Die Einhaltung dieser ungeheuer mächtigen und komplexen Vorgaben ist in der Tat eine Aufgabe „für Fortgeschrittene“. Die Aufgabe der Qualitätsbeauftragten ist es in erster Linie auf Basis gesetzlicher Vorgaben sinnvolle und praktisch machbare Lösungen zu finden und nicht als Bedenkenträger missverstanden zu werden. QM muss die Kernaufgabe einer guten Ausbildung bereichern und nicht behindern. Die Aufgabe ist indes nicht neu, allerdings durch das Thema Digitalisierung deutlich anspruchsvoller.

Man sagt, dass Lehrer/innen und Ausbilder/innen dem Stress in den Bildungseinrichtungen mit den Schülern kaum noch gewachsen sind. Haben Sie ähnliche Erfahrungen oder kennen Sie Beispiele dafür?

Matthias Freiling: Mehr denn jemals zuvor braucht es Pädagogen, die „mit beiden Beinen“ auf der Erde stehen. Fachlehrer, der sich ausschließlich als Fachlehrer sehen, sind nicht zeitgemäß unterwegs. Dieses Selbstverständnis klammert den verhaltensbedingten Teil von Unterricht und Training aus. Diese Pädagogen (auch Sozialpädagogen) haben in der Tat Stress. Das gilt in einer Gesellschaft, die zunehmend international wird und mit anderen, zusätzlichen, kulturbedingten Verhaltensweisen klarkommen muss und will umso mehr. Damit werden Pädagogen zu Führungspersönlichkeiten. Diese Erkenntnis hat sich noch zu wenig durchgesetzt.

Der „nationale Bildungsbericht für Deutschland“ benennt alle 2 Jahre Leistungen und Herausforderungen im Bildungssystem. Können Sie über Zweck und Nutzen kurz etwas sagen?

Matthias Freiling: Der nationale Bildungsbericht ist mir mit über 300 Seiten Text und einem Literaturverzeichnis von über 20 Seiten zu „akademisch“. Ich würde mir wünschen, dass in dem Autorenkreis Lehrer, Ausbilder, Eltern und besonders Arbeitgeber als „Endabnehmer“ der Bildung auftauchen. Insbesondere bedarf es einer kritischen Analyse des Bildungssystems in Deutschland: Viele Menschen in Deutschland (zu denen ich gehöre) haben z. B. den Eindruck, dass die Hochschulkapazitäten am Bedarf der Arbeitsmarktes vorbeigehen (brauchen wir so viel Soziologen, wie es Studienplätze gibt?).

Ich würde mir zusätzlich wünschen, dass zu evidenten Problemen Lösungen vorbereitet werden z. B.

  • Die Abbruchquote in der Ausbildung und Hochschulausbildung ist ganz eindeutig zu hoch!
  • Die Qualifikationsschere an den Hochschulen ist unakzeptabel, mit anderen Worten: Sind zusätzliche propädeutische Seminare zu Studienbeginn wirklich das Ergebnis zu schlechter Vorbereitung der Schulen?
  • Wie werden die Lehrer auf die digitale Technik an den Schulen sinnvoll und schnell vorbereitet?

Man spricht gerne vom „Recht auf Bildung“ und „Lebenslangem Lernen“. Wird Deutschland diesem Anspruch Ihrer Meinung nach voll gerecht?

Matthias Freiling: Hier geht es wieder um sehr abstrakte Begriffe aber im Prinzip ist diese Frage mit „Ja“ zu beantworten. Für die Angebotsseite gilt:

Es gibt in Deutschland ein unglaublich ausdifferenziertes System und sehr gute Bildungs- und Qualifizierungsprogramme und -modi, mit denen diese Grundsätze gelebt werden können und zwar in allen Bildungsstufen (primär, sekundär, tertiär und quartär).

Für das lebenslange Lernen liegt überdies der gesetzliche Rahmen vor (z. B. Bildungsurlaub), auch die Finanzierung ist ordentlich geregelt (z. B. Meister BAföG, Landesprogramme wie z. B. Fachkraft im Fokus in Sachsen-Anhalt)

Für die Nachfrageseite gilt:

Bis zum Einstieg in den Beruf ist die Nachfrage nach Bildung und Lernen gesetzlich geregelt. Das ist gut so. Für die Nachfrage nach stetiger Fort- und Weiterbildung (quartärer Sektor) gelten andere Spielregeln. Hier stehen Bildung und Lernen in Konkurrenz zu Arbeit und Freizeit. Dabei geht um die Frage des persönlichen Mehrwertes im Rahmen der individuellen Work-Life-Balance – das entscheidet also jeder Bürger in diesem Land selbst, aber das Angebot steht! Ganz entscheidend dabei ist, dass die Kosten am Ende die Gesellschaft als Solidargemeinschaft trägt (Steuergeld) und sie nicht auf die Arbeitgeber mit der Konsequenz der Personalkostenerhöhung umgelegt werden.

Herr Freiling, vielen Dank für das Gespräch.

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Matthias Freiling

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