„Die Pandemie wird Lieferketten nachhaltig verändern“ – Thibault Pucken (Inverto)

Interview mit Thibault Pucken
Wir sprechen mit Thibault Pucken, Geschäftsführer von INVERTO, eine internationale Unternehmensberatung, die auf Einkauf und Supply Chain Management spezialisiert ist, über die Auswirkungen der Corona Pandemie auf das internationale Lieferkettenmanagement.

Die Corona-Krise hat die Schwächen des Just-In-Time-Managements mit langen Lieferketten gezeigt. Welche Auswirkungen hatte der Lockdown auf Ihre Kunden?

Thibault Pucken: Die Auswirkungen waren tatsächlich sehr unterschiedlich. Schwierig wurde es schon bevor Corona Europa erreicht hatte, für alle diejenigen, die Vorprodukte in Asien bezogen, da dort nicht nur die Produktion teilweise stillstand, sondern auch Verladung und Transport.

Wir haben Ende März eine Umfrage unter Einkaufsverantwortlichen und Supply Chain Managern gemacht, da stellte sich heraus, dass über 80% bereits Engpässe in ihrer Lieferkette verzeichneten.

Welche kurzfristigen Maßnahmen im Supply-Chain-Management haben Unternehmen aufgrund der Corona-Krise umgesetzt?

Thibault Pucken: Laut unserer Umfrage hat ein Großteil sehr schnell reagiert und zunächst einmal einen „War Room“, also ein zentrales Gremium eingesetzt, um sich eine Übersicht zu verschaffen und handlungsfähig zu sein (ca. 2/3). Gut die Hälfte der Befragten hatte im März schon begonnen, andere Lieferanten zu suchen und in die Lieferkette zu integrieren. Ein weiteres Drittel veranstaltete Lieferanten-Audits, um die Lage der Lieferanten einschätzen zu können.

Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die Pandemie Lieferketten nachhaltig verändern wird. Viele Unternehmen denken darüber nach, verstärkt in Europa zu beschaffen oder zumindest die Supply Chain breiter aufzustellen und einen Teil des Bedarfs in Europa einzukaufen.

Werden Unternehmen in Zukunft auf höhere Lagerkapazitäten und kürzere Lieferketten setzen?

Thibault Pucken: Sicherlich nicht für alle ihre Bedarfe. Hohe Lagerbestände sind teuer und binden Kapital. Daher wird man das nur für Produkte machen, die absolut kritisch für die eigene Produktion sind. Um hier die richtigen Entscheidungen zu treffen, brauchen Unternehmen ein professionelles Risikomanagement.

Wird in Zukunft ein stärkerer Fokus auf nationale bzw. europäische Lieferanten gesetzt werden?

Thibault Pucken: Ein stärkeres Interesse an Lieferanten aus Europa nehmen wir durchaus wahr. Das ist allerdings auch sehr branchenabhängig. Manche Elektronikbauteile oder zum Beispiel Batteriezellen bekommt man aktuell gar nicht in Europa, da müssten erst Kapazitäten aufgebaut werden.

Das gilt übrigens auch für andere Branchen wie etwa die Textilbranche. In Europa kann weder in den Mengen noch zu den Preisen produziert werden, wie sie aus Asien bekannt sind.

Wie stark ist der internationale Handel betroffen und werden die Auswirkungen auch langfristig bestehen bleiben?

Thibault Pucken: Insgesamt rechnet man mit einem Einbruch von fast 5 % für die Weltwirtschaft und 8% für die Industriestaaten. Das hat es seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr gegeben. Wie lange die Auswirkungen bleiben, hängt davon ab, wie schnell die Länder die Pandemie in den Griff bekommen. Weltweit gesehen gibt es zurzeit ja leider noch keine Eindämmung.

Wie kann die Politik unterstützen, um Lieferketten auch in Krisenzeiten aufrechtzuerhalten?

Thibault Pucken: Bezogen auf die Pandemie müsste die Politik in den am stärksten betroffenen Ländern restriktiver reagieren, um die Verbreitung zu bremsen. Das tut sie nicht immer. Und in Europa, wo die Eindämmung ja zwischenzeitlich recht erfolgreich war, steigen die Infektionszahlen auch wieder – ein erneuter Lockdown scheint dennoch zurzeit unvorstellbar, weil die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen einfach zu gravierend sind.

Auch die Handelskonflikte, die es vor Corona schon gab, sind eine Belastung und ein Risiko für Lieferketten, etwa wenn Zölle erhoben werden oder neue Regularien die Einfuhr von Produktgruppen aus bestimmten Ländern ganz verbieten. Hilfreich wären hier verbindliche Abkommen und eine Stärkung internationaler Gremien, die bei Konflikten vermitteln können. Deutschland und die EU stehen hier allerdings vor Herausforderungen, weil diese Politik natürlich nur funktioniert, wenn die jeweilige Gegenseite mitmacht.

Herr Pucken, wir danken Ihnen für das Gespräch

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