Blick auf die langfristigen Entwicklungen – Andreas Grünewald (FIVV AG)

Interview mit Andreas Grünewald
Wir sprechen mit Andreas Grünewald, Vorstand der FIVV AG FinanzInformation & VermögensVerwaltung AG aus München über unabhängige Vermögensverwaltung und globale, wirtschaftspolitische Herausforderungen.

Vermögensverwaltung ist nur was für Superreiche, oder doch nicht? Wie hoch ist üblicherweise das von Ihnen verwaltete Vermögen?

Andreas Grünewald: Hierbei ist zunächst wichtig, was unter dem Begriff „Vermögensverwaltung“ von den Kund*innen erwartet wird. Unter unabhängiger Vermögensverwaltung verstehen wir, dass – unabhängig von Banken, Versicherungen oder sonstigen Vertriebsgesellschaften – das uns anvertraute Kapital ausschließlich im Interesse unserer Mandant*innen investiert wird. Wir legen hierbei großen Wert auf eine breite und effektive Risikostreuung nach Anlegeklassen, Regionen und Branchen, die spezifisch auf die Situation der Mandant*innen abgestimmt ist und im Einklang mit deren Chance-Risiko-Profil steht. Dank der immer beliebteren vermögensverwaltenden Fonds, welche ebenso die Anlagephilosophie des jeweiligen Vermögensverwalters bestens widerspiegeln, ist heute auch bereits mit kleineren Anlagebeträgen oder gar Sparplänen ein entsprechender Ansatz gut umsetzbar. So besteht die FIVV-Fondsfamilie aus vier vermögensverwaltenden Fonds, deren Spektrum von defensiv, über renditeorientiert und ausgewogen bis hin zu offensiv reicht. Diese werden um zwei Themenfonds rund um Rohstoffe und China angereichert. Über die FIVV-Muster-Strategien zeigen wir zudem auf, wie sich diese Fondsauswahl gemäß des persönlichen Anlage- und Risikoprofils individuell zusammenstellen lässt. Dieser Ansatz kommt im Sinne der Anleger*innen praktisch komplett ohne Hürden in Form von Mindestanlagesummen aus. Aufgrund diesem – auch unter aufsichts- und steuerrechtlichen Aspekten – unkomplizierten und vorteilhaften Ansatz, wird seitens unserer Kund*innen selbst bei Größenordnungen deutlich oberhalb von einer Millionen Anlagesumme, die – vor rund 10 Jahren bei uns noch dominierende – klassische, individuelle Vermögensverwaltung über Einzeltitel praktisch nicht mehr nachgefragt.

Was sind Ihre favorisierten Assetklassen?

Andreas Grünewald: Zwei Vorbemerkungen sind mir bei der Beantwortung dieser Frage wichtig:

Erstens gilt es sowohl für Privatanleger*innen als auch professionelle Vermögensverwalter*innen demütig zu erkennen, dass letztendlich keiner von uns wissen kann, wie die Zukunft aussieht. Somit reden wir über Eintritts-Wahrscheinlichkeiten von Erwartungen und nicht über sichere Entwicklungen. Entsprechend ist es elementar, wie bereits zuvor erwähnt, großen Wert auf eine breite und effektive Risikostreuung nach Anlageklassen, Regionen und Branchen zu legen. Zweitens gilt es, sich nicht von der Dauerbeschallung rund um die Krisen dieser Welt von dem Gesamtbild ablenken zu lassen. In der Regel lesen und schauen Anleger*innen viel eher Berichte über Katastrophen sowie besondere Glücksmomente, als über alltägliche bzw. eher unspektakulär verlaufende Entwicklungen. Viel bedeutsamer als Aufsehen erregende Einzelereignisse ist aber der Blick auf die langfristigen Entwicklungen.

Viele Menschen hierzulande haben seit Jahren den Eindruck, als sei die Welt spätestens seit 2008 in einer Dauerkrise. US-Immobilienkrise, Banken- und Finanzkrise, Euro- und Staatsschuldenkrise, Flüchtlingskrise, diverse geopolitische Spannungen sowie Brexit und aktuell das Coronavirus fließen scheinbar nahtlos ineinander über. Gleichzeitig waren in den vergangenen Jahren beispielsweise an den Aktien-, Anleihen- und Immobilienmärkten in vielen Regionen der Welt gute Renditen zu erwirtschaften. Wie passt dies zusammen? Für viele Anleger und Experten steht dies im Widerspruch, weshalb sie weiterhin an der Seitenlinie stehen und unverändert nicht investiert sind. Natürlich gab und gibt es auf der einen Seite eine Vielzahl an Krisen – und diese gilt es auch überhaupt nicht kleinzureden. Aber auf der anderen Seite gibt es eine Vielfalt an positiven, die Weltwirtschaft vorantreibenden Faktoren. Auch finden derzeitig, weltweit geld- und fiskalpolitische Stützungsmaßnahmen in einem bisher ungekannten Ausmaß statt. Hinzu kommt der tägliche Anlagebedarf durch beispielsweise Versicherungen, Pensionskassen und Investmentfonds. Das Überraschende für viele hierbei: Unterm Strich werden, zumindest auf die längere Sicht, die Krisen überkompensiert.

Parallel hierzu müssen sich die Anleger*innen aufgrund der praktisch nicht mehr vorhandenen Guthabenzinsen händeringend nach Anlagealternativen umsehen. Staatsanleihen sind in Anbetracht der historisch niedrigen Verzinsung bei gleichzeitig oftmals sehr hoher Staatsverschuldung mit größter Vorsicht zu betrachten, während Unternehmensanleihen vereinzelt noch ein interessantes Chance-Risiko-Verhältnis aufweisen. Beteiligungsmodelle mit langfristigen Haltedauern meiden wir in unserer schnelllebigen Welt komplett und Immobilien sind vielerorts bezogen auf das Verhältnis Kaufpreis zu Nettojahresmieteinnahmen schon extrem teuer geworden (in München je nach Lage bereits über 40). Favorisiert sind von uns breit gestreute Investitionen in dividendenstarke Weltmarktführer, deren Geschäftsmodelle zukunftweisend sind und deren Unternehmenswert nicht bereits überbewertet ist. Unterm Strich bleibe ich somit auch weiterhin bei meiner Überzeugung, dass die langfristige Aktienanlage bei der Vermögensstrukturierung signifikant vertreten sein sollte, aktuell darf es aber ruhig – anders als in den fast 10 Jahren zuvor – mit „angezogener Handbremse“ statt „übergewichtet“ sein. Im defensiven Bereich beispielsweise statt einer 20-prozentigen Aktienquote lediglich 14%, bei einer renditeorientierten Anlage statt 40% eher 30%, im ausgewogenen Bereich statt 60% etwa 45% und im offensiveren Bereich statt 80% Richtung 60-64%. Als „Brandschutzversicherung“ setzen wir ergänzend auf Edelmetalle und hier insbesondere auf Gold.

Wie schätzen Sie Deutschland als Investitionsstandort ein?

Andreas Grünewald: Lassen Sie mich dieses Thema bitte gleich auf Europa ausweiten. Wir müssen hier endlich aufwachen – ansonsten werden wir zwischen den USA und China zerrieben.

China und insbesondere auch seine Regierung wird gestärkt aus der Coronakrise herauskommen und auch international seine Machtposition weiter ausbauen sowie eine stärkere Einbindung in die Weltgemeinschaft einfordern. Hierbei treffen visionäre Pläne Chinas auf ein weitgehend planloses Europa. Das Coronavirus wird China nicht von seinem Ziel abbringen, bis zum Jahre 2025 zu einem Innovationsführer in allen wichtigen Schlüsseltechnologien aufzusteigen, siehe Energieerzeugung, E-Mobilität, Flugzeug-, Eisenbahn- und Schiffbau sowie Robotertechnik, Mobilfunk-Technologie und Medizintechnik. Die Ausgaben für Forschung & Entwicklung liegen bereits heute höher als in der gesamten EU und steigen schneller als in den USA. Die Anzahl der internationalen Patentanmeldungen ist mittlerweile größer als in Europa, USA und Japan zusammen. Auf internationaler Ebene gilt es, im Rahmen der neuen Seidenstraße ein interkontinentales Infrastrukturnetz zwischen Asien, Europa und Afrika voranzutreiben. Bis zum Jahre 2049, sprich dem 100-jährigen Gründungsjubiläum der Volksrepublik China, soll das Land modern, stark und wohlhabend sein – und wird die USA als Weltmacht Nr. 1 längst abgelöst haben. Wo hingegen ist unser Masterplan für Europa?

Es ist verrückt: Der Europäische Binnenmarkt erwirtschaftet weltweit das größte Bruttoinlandsprodukt, aber die USA und künftig immer stärker China bestimmen die Weltpolitik und setzen die wirtschaftlichen Regeln. Wir schaffen es bis dato verhängnisvollerweise nicht, unseren Europäischen Binnenmarkt als Volkswirtschaft – und diese wäre immerhin die größte der Welt – zu definieren. Es mangelt uns an Politikerinnen und Politiker, die mit breiter Brust und Weitsicht die Interessen Europas vertreten sowie mit einer begeisternden Informations- und Aufklärungspolitik das Volk mitnehmen. Dramatischerweise fängt das Problem allerdings schon weit vorgelagert an: Was sind überhaupt die zukünftigen Interessen von Europa? Wer definiert die langfristen Ziele unserer Europäischen Gemeinschaft? Wie sehen unsere Zukunftspläne, unsere Visionen auf Sicht der nächsten 5, 10 oder gar 20 Jahre aus?

Eigentlich unfassbar, auf die obigen Fragen kennen wir keine verbindlichen Antworten. Gleichzeitig fällt es selbst uns hierzulande relativ leicht einen umfassenden Vortrag darüber zu halten, welche Ziele das weit entfernte China hat. Die mittlerweile zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt nach den USA hat nicht nur seine auf den Parteitagen vorgestellten Fünfjahrespläne, sondern sogar einen visionären Plan für die kommenden 30 Jahre. Der chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping will das Land zur wohlhabenden, ökologischen Hightech-Nation machen. Hierbei setzt er auf einen Mix aus staatlicher Lenkung und Deregulierung sowie einer immer weiter geöffneten Volkswirtschaft.

Doch zurück zur Frage, was ist unser Masterplan? Wer kann und darf diesen aufstellen? Und nehmen wir mal optimistischer Weise an, die USA und China halten es künftig überhaupt noch für erforderlich, sich mit Europa abzustimmen oder wollen mit uns Verhandlungen führen. Wen rufen sie bitte an? Wer ist der Verhandlungsführer und wer hat die Entscheidungskompetenz? Der letzte Europa-Besuch von Xi zeigt eindrucksvoll unser Dilemma und wie unsere selbstverursachte Schwächung natürlich zur Spaltung ausgenutzt wird: Xi spricht in Paris mit unserer Bundeskanzlerin Merkel, dem Französischen Präsidenten Macron und dem Präsidenten der EU-Kommission Juncker. Er verhandelt zudem in Rom mit der italienischen Regierung und reist nach Kroatien zum Treffen der G16+1 Kooperation, welcher zahlreiche mittel- und südosteuropäische EU-Mitglieder angehören. Statt mit einer klaren Stimme zu sprechen, lassen wir uns bilateral gegeneinander ausspielen. Die EU hat unstrittig bereits sehr viel für seine Einwohner erreicht – zuvorderst Frieden, Wohlstand, freies Handeln und Reisen. Wir müssen nun aber dringend unsere an vielen wesentlichen Stellgrößen noch immer vorhandene Kleinstaaterei überwinden. Wir brauchen bei den großen bzw. globalen Themen mehr und nicht weniger Europa. Wir müssen mit einer Stimme sprechen und verhandeln. Langfristig wird selbst Deutschland, als heute noch viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, alleine betrachtet immer unbedeutender werden. Ganz zu schweigen von den meisten EU-Mitgliedsstaaten. Sofern wir nicht endlich aufwachen und vereint als Europa denken und (ver-)handeln sowie uns den wirklich wichtigen Dingen, wie Infrastruktur, Bildung, Kinder, Welthandel, Umweltschutz und unsere Schlüsseltechnologien massiv zuwenden – statt uns mit Brexit, DSGVO und einer immer stärker ausufernden (europäischen) Überregulierung zu belasten – werden wir zwischen den USA und China zerrieben.

Das Meridian-Einkommen in Deutschland liegt knapp über 2.500 Euro brutto. Welche finanzielle Empfehlung können Sie dieser Gruppe aussprechen?

Andreas Grünewald: Hier kann ich mich sehr kurzfassen. Wie bereits oben ausgeführt, ist – unabhängig vom Anlagevolumen – eine breite und effektive Risikostreuung nach Anlegeklassen, Regionen und Branchen, die spezifisch auf die Situation der Mandant*innen abgestimmt ist und im Einklang mit deren Chance-Risiko-Profil steht, sehr wichtig. Über den zuvor skizzierten Ansatz der sinnvollen Kombination vermögensverwaltender Fonds gilt es hier die Vorteile einer regelmäßigen Vermögensanlage über Sparpläne zu nutzen, siehe die FIVV-Muster-Strategien.

Worin sehen Sie die Herausforderungen in den kommenden Jahren für Ihre Branche?

Andreas Grünewald: Ich sehe hier zwei große Themenfelder: Auf der einen Seite die kontinuierliche Verunsicherung der Menschen durch die mediale Dauerbeschallung rund um die Krisen dieser Welt. Das zweite große Thema ist die Überregulierung. Privatanleger*innen, welche heute unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen möchten, müssen in der Regel eine große Anzahl an Formularen lesen, verstehen und unterzeichnen – und ständig kommen weitere Vorschriften hinzu. Unabhängig von den Formularen für die Anleger*innen sprechen wir auf Seiten des Vermögensverwalters beispielsweise von Organisationshandbüchern die mehrere Hundert Gliederungsunterpunkte enthalten und viele Ordner umfassen, einer Vielanzahl an zu erstellender Berichte rund um Compliance, interne Kontrolle, Geldwäsche, Beschwerdemanagement, Datenschutz, IT, Risikomanagement und es gilt das Mitarbeiter  sowie Beschwerderegister zu führen, Vergütungsgrundsätze und -verfahren zu dokumentieren und offen zu legen, Monatsausweise zu erstellen, das Zuwendungs-  sowie das Zuwendungsverwendungsverzeichnis zu pflegen und sich auch mit den Gefahren rund um die Terrorismusfinanzierung auseinander zu setzen sowie das Wissen rund um Verdachtsmeldungen vorzuhalten. Nicht zu vergessen die zu erstellenden Informationsblätter sowie die Durchführung und Dokumentation der Geeignetheits- bzw. Angemessenheitsprüfung. Neben diesen Herausforderungen gilt es natürlich sich umfassend mit den immer komplexer, vielfältiger und schnelllebiger werdenden Kapitalmärkten zu beschäftigen. Und nicht zuletzt fordern auch Themen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit sowie der Vielfach anstehende Generationswechsel an der Spitze der Unternehmen zwingend die Aufmerksamkeit der Unternehmensführung. Zum Glück haben wir hier unseren Branchenverband, den Verband unabhängiger Vermögensverwalter Deutschland e.V. (VuV), welcher uns bei all den hier genannten Themen sehr tatkräftig unterstützt und ohne dem nach meiner Überzeugung zumindest für die kleineren und mittleren Vertreter unserer Branche dies kaum noch zu bewerkstelligen wäre. Und ich bin davon überzeugt, dass längerfristig immer mehr Anleger*innen die Vorteile der unabhängigen Vermögensverwaltung gegenüber dem provisionsgetrieben Produktverkauf erkennen werden und entsprechend diesen Ansatz wertschätzen. Der Marktanteil der unabhängigen Vermögensverwalter wird entsprechend kontinuierlich zunehmen.

Was müsste sich ändern, dass die Branche ein starkes Wachstum erfährt?

Andreas Grünewald: Hier bin ich gar nicht skeptisch, denn unsere Branche erfährt ja bereits heute bezogen auf das verwaltete Volumen sowie den Marktanteil Wachstum. Und ich bin davon überzeugt, dass längerfristig immer mehr Anleger*innen die Vorteile der unabhängigen Vermögensverwaltung gegenüber dem provisionsgetriebenen Produktverkauf erkennen werden und entsprechend diesen Ansatz wertschätzen. Der Marktanteil der unabhängigen Vermögensverwalter*innen wird entsprechend auch weiter kontinuierlich zunehmen.

Unabhängig hiervon ist es ein Unding, dass die Vermögensanlage über Lebensversicherungen – welche in der Regel zu über 90% in kaum verzinste Staatsanleihen oftmals hochverschuldeter Staaten investieren – steuerlich gefördert wird, die Vorsorge über einen Fondssparplan oder das eigene Wertpapierdepot aber nicht. Diese eklatante Benachteiligung zu Lasten der Anleger führt zudem zur Wettbewerbsverzerrung. Die Lebensversicherungen kaufen massiv Staatsanleihen und erhalten im Gegenzug steuerliche Förderung – ein Schelm, wer dabei Böses denkt…. Die überfällige Korrektur dieses Zustandes würde zugleich die immer wichtigere, private Altersvorsoge und das Wachstum unserer Branche fördern.

Und last but not least: Es ist dringend notwendig, dass der Bürokratie-Wahnsinn abgemildert wird, damit für Anleger*innen auch mit kleineren Anlagesummen das Angebot der unabhängigen Vermögensverwaltung nutzbar bleibt bzw. wird. Parallel hierzu gilt es, die ökonomische (Schul-)Bildung seitens Politik und Aufsicht zu fördern – denn letztendlich ist Bildung der beste Anlegerschutz und nicht noch ein weiteres Formular!

Herr Grünewald, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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