Christina Wallraf: Viele Unternehmen bieten Boni für Neukunden an

Interview mit Christina Wallraf
Christina Wallraf ist Referentin für den Energiemarkt bei der Verbraucherzentrale NRW e.V. in Düsseldorf. Mit ihr sprechen wir über Belieferungsstopp von einigen Stromversorgern, Kündigungsfristen sowie realistische, monatliche Abschläge.

Die Strompreise steigen stetig und noch immer ist kein Ende in Sicht. Warum kündigen jetzt erste Discount-Anbieter ihre Verträge?

Christina Wallraf: Bereits im Oktober 2021 hat der erste Anbieter, immergrün, für einen Teil seiner Kunden und Kundinnen einen Belieferungsstopp verkündet. Dem sind weitere Anbieter gefolgt, im Dezember dann Stromio und Gas.de mit mehreren hunderttausend Kunden. Viele Anbieter haben Kündigungen oder Belieferungsstopps angekündigt, ohne dass sie insolvent sind. Das ist unserer Ansicht nach nicht in Ordnung, da die Verträge vorzeitig gekündigt wurden. Verbraucher:innen sollten widersprechen und Schadenersatz geltend machen. Musterbriefe dazu gibt es auf der Homepage der Verbraucherzentrale unter www.verbraucherzentrale.nrw/belieferungseinstellung. Anbieter begründen die vorzeitigen Kündigungen mit den hohen Beschaffungskosten bei Strom und bei Gas. Sie haben vermutlich überwiegend kurzfristig an der Strombörse beschafft, was nun sehr teuer wird.

Wie jeder Vertrag unterliegt auch der Stromvertrag einer Kündigungsfrist. Wie unterscheiden sich hierbei die Fristen von Grundversorgung der örtlichen Anbieter und anderer Stromversorger?

Christina Wallraf: Wer von einem Belieferungsstopp betroffen ist, fällt in die Grundversorgung oder in die Ersatzversorgung beim örtlichen Anbieter. Aus der Ersatzversorgung kommt man jederzeit heraus, die Grundversorgung lässt sich mit einer Frist von zwei Wochen kündigen. Bei Sondertarifen, also allen anderen Verträgen abgesehen von der Grundversorgung, muss man schauen, was in den AGB vereinbart wurde. Maximal 3 Monate Kündigungsfrist sind erlaubt. Entscheidend ist neben der Kündigungsfrist die restliche Vertragslaufzeit.

Viele Unternehmen locken mit einem Neukundenbonus. Können Sie uns erklären, was dem Kunden dabei versprochen wird und was für Tücken sich in diesen Tarifen verbergen?

Christina Wallraf: Viele Unternehmen bieten Boni für Neukunden an – wobei es gerade ein wenig ruhiger geworden ist im Wettbewerb um Neukunden. Denn viele Unternehmen kalkulieren gerade ihre Tarife neu und sind gar nicht mit Angeboten am Markt. Doch auch jetzt sind Bonustarife weit verbreitet. Das wichtigste bei Bonustarifen ist: der Anbieter macht aufgrund des hohen Bonus im ersten Jahr mit den Kund:innen Verlust, er möchte Kunden also gerne länger an das Unternehmen binden. Aus Verbrauchersicht sind Bonustarife aber ab dem zweiten Vertragsjahr sehr teuer, denn dann kommt der Bonus nicht mehr zum Tragen und die Tarife weisen in der Regel überdurchschnittlich hohe Preise auf, die dann voll durchschlagen. Verbraucher:innen sollten also nur ein Jahr im Bonustarif bleiben, und unbedingt kündigen, bevor sich der Vertrag verlängert. Sonst wird es in der Regel teuer. Es sind zwei verschiedene Arten von Boni verbreitet: der Sofortbonus und der Neukundenbonus. Der Sofortbonus wird in der Regel ein paar Wochen oder wenige Monate nach Vertragsschluss ausgezahlt, der Neukundenbonus üblicherweise erst nach einem Lieferjahr. Bei Bonustarifen sollte man überprüfen, ob man den versprochenen Bonus überhaupt erhalten hat. Zudem ist die Bonusauszahlung manchmal an Bedingungen geknüpft. War ich in den letzten Monaten bereits Kunde oder Kundin bei einem gleichen Unternehmen desselben Konzerns? Dann könnte der Bonus hinfällig sein. Am besten man überfliegt zumindest die Bonusbedingungen in den AGB. Zudem halten wir den Sofortbonus für verbraucherfreundlicher, denn er wird zeitnaher ausgezahlt. Bei einer Insolvenz eines Unternehmens ist der Bonus nämlich wertlos.

Um einen realistischen monatlichen Abschlag zu bezahlen, sollte man den eigenen Verbrauch kennen. Nach einem Umzug könnte die Berechnung schwer werden, da sich mit einer neuen Wohnung oder Haus der Verbrauch ändert. Haben Sie Tipps zur Wahl des richtigen Betrags?

Christina Wallraf: Der Stromverbrauch lässt sich ganz gut über typische Stromverbräuche einschätzen, die hier zu finden sind: https://www.verbraucherzentrale.nrw/sites/default/files/2019-09/brosch%C3%BCre-strom-sparen-tipps-im-haushalt.pdfEs ist insbesondere relevant, ob die Warmwasserbereitung anhand von Strom erfolgt oder anders. Zudem spielt die Anzahl der Personen und ob man in einem Haus oder einer Wohnung wohnt eine Rolle. Wer neue Geräte hat, verbraucht deutlich weniger als ein Haushalt mit alter, weißer Ware. Am besten liest man nach einigen Wochen in einer neuen Wohnung den Stromzählerstand ab, und schaut ob der Abschlag in etwa passt. Von einem zu hohen Abschlag ist unbedingt abzuraten wegen des Insolvenzrisikos von Energieanbietern. Beim Gasverbrauch ist es schwieriger, hier spielt insbesondere der Sanierungszustand des Hauses oder der Wohnung eine Rolle, und natürlich die Wohnfläche. Eine Orientierung zum Energieverbrauch gibt der Energieausweis. Auch das Verbrauchsverhalten ist wichtig. Auch hier sollte man unterjährig den Zählerstand ablesen und kann entsprechend hochrechnen: Von unserer Webseite unter: https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/energie/preise-tarife-anbieterwechsel/so-laeuft-der-anbieterwechsel-bei-strom-und-gas-ab-10645

Darüber hinaus sollte man noch auf zahlreiche andere Faktoren wie Vertragslaufzeit und Preisgarantie achten. Haben Sie noch einen Rat für Kunden, die den Anbieter wechseln wollen?

Christina Wallraf: Im Moment ist es schwierig, einen neuen, attraktiven Vertrag zu finden. Wer also noch einen Bestandskundenvertrag hat, kann sich in der Regel glücklich schätzen und sollte diesen behalten. Viele Verbraucher:innen erhalten aber gerade Preiserhöhungen und sollten einen Tarifvergleich durchführen, um ggf. den Anbieter zu wechseln. Hierzu nimmt man am besten ein Tarifvergleichsportal. Die Tarife, die dort dargestellt sind, sollte man unbedingt noch beim Anbieter überprüfen, denn der ein oder andere Tarif könnte aufgrund der aktuellen Lage nicht korrekt abgebildet sein. Einen Tarif mit Preisgarantie sollte man nur wählen, wenn das Preisniveau recht günstig erscheint. Tarife mit über 40 Cent/kWh sind das sicher nicht. Zu Beginn des Jahres 2023 soll die EEG-Umlage abgeschafft werden, das könnte für eine geringe Entlastung sorgen. Grundsätzlich raten wir dazu, sich nicht länger als ein Jahr an einen Anbieter zu binden.

Frau Wallraf, vielen Dank für das Gespräch!

Interview teilen: 

Facebook
Twitter
LinkedIn
WhatsApp
No related posts found for the provided ACF field.

Zum Expertenprofil von Christina Wallraf

Christina Wallraf

Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter diesem Link:

Weitere Interviews

die neusten BTK Videos