Frank Walter: Wer heute zu viel bezahlt, riskiert morgen negativ überrascht zu werden

Interview mit Frank Walter
Wir sprechen mit Frank Walter, Geschäftsführer der Erste Finanz- und Vermögensberater efv GmbH, über die Entwicklung der Tech-Aktien.

Die großen Indizes Dow Jones, DAX oder Nikkei verzeichnen regelmäßig neue Höchststände. In deren Fahrwasser starten Tech-Aktien voll durch. Wo gibt es noch Einstiegs-Potenzial?

Frank Walter: Wie bei allen Investments muss auch bei den Unternehmen der Tech-Werte das Verhältnis zwischen Preis und Wert betrachtet werden. Investoren sollten sich –unabhängig von den eigenen Erwartungen oder Überzeugungen zum Geschäftsmodell an sich- die Frage stellen, wie rational das derzeitige Bewertungsniveau ist und welches weitere Kurspotenzial die Aktien noch haben können. Auch Technologiewerte in toto werden nicht ewig stark wachsen; wer heute zu viel bezahlt, riskiert morgen negativ überrascht zu werden. Speziell Rücksetzer bei den FANG‘s (Facebook, Amazon, Netflix, Google) und Microsoft sollten daher bevorzugt und um damit präzise auf die Frage einzugehen, immer noch für einen Einstieg genutzt werden. Insbesondere Apple hat einen enormen und treuen Kundenstamm als Substanz, der weiterhin die primären (=Hardware) und peripheren (=Dienste und Skills) Produkte des Unternehmens nachfragt. Jedem iPhone Nutzer können Kopfhörer, die Apple Watch, Streaming, ApplePay und andere Dienstleistungen verkauft werden. Dies bietet für das Unternehmen enormes, vergleichsweise trendunabhängiges Potenzial. Auch Microsoft ist aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken und hat unter CEO Satya Nadella seit 2014 viele positive Fortschritte gemacht.

Kann man den Anstieg der Tech-Werte Amazon, Apple, Netflix und Tesla fundamental erklären?

Frank Walter: Der aktuelle Anstieg der Technologiewerte ist nach unserer Auffassung, im Vergleich zur Dotcom-Blase bis März 2000, zumindest zu großen Teilen auch rational begründet und damit nachvollziehbar: Die COVID-19-Pandemie löste weltweit eine Digitalisierungswelle aus. In vielen gesellschaftlichen Bereichen war es notwendig mindestens vermehrt auf die Internetinfrastruktur auszuweichen. Dieser Trend an sich ist nicht neu, die Pandemie beschleunigte jedoch die Digitalisierung von Unternehmen und der Gesellschaft erheblich und sorgte für ein starkes Umsatzwachstum bei vielen Unternehmen. Dass viel Wachstum branchenspezifisch hingegen im Prinzip nur „vorgezogen“ sein kann, sehen wir derzeit zum Beispiel bei Netflix. Konnte der US-Streaming-Gigant im ersten Quartal 2020 mehr als 15 Millionen neue Abonnenten gewinnen, schwächte sich das Wachstum im zweiten und dritten Quartal deutlich ab und blieb hinter den Erwartungen zurück. Auch das Unternehmen bestätigte, dass Verbraucher, welche während des Lockdowns sich nicht für ein Netflix-Abonnement entschieden hatten, sich auch in den nächsten Jahren für keines entscheiden werden. Für jedes Unternehmen gilt jedoch identisch: 1€ heute ist mehr wert als 1€ in 5 oder 10 Jahren. Dies, in Verbindung mit einem niedrigeren Zinsniveau, plausibilisiert auch finanzmathematisch ein höheres Bewertungsniveau. Unternehmen wie Tesla und Apple profitierten zwar weniger unmittelbar von der Digitalisierung, konnten jedoch auch während der Pandemie ihre Produktverkäufe wegen des anhaltenden Trends (z.B. Elektromobilität) und der Position der Unternehmen im Wettbewerbsumfeld steigern. Dies weckte bei Anlegern natürlich Wachstumsfantasien, denn was soll ein Unternehmen überhaupt stoppen, wenn nicht die schlimmste Rezession seit mehr als 10 Jahren? Inwiefern die Kursentwicklung überzogen ist und ob die Wachstumsraten aufrechterhalten werden können, wird sich in den nächsten Monaten und Jahren zeigen.

Alle Welt spricht von Gold als sicheren Anlage-Hafen. Soll man trotzdem dem Trend der Tech-Werte folgen und Aktien kaufen?

Frank Walter: Anlegern sollte bewusst sein, dass auch Gold, im Einsatz als Instrument einer Kapitalanlage, heftigen Kursschwankungen unterliegen wird. Unter Diversifikationsgesichtspunkten und mit dem Ziel der Ertragsstabilisierung zeigt -wissenschaftlich/analytisch betrachtet – die Vergangenheit eine geringere Korrelation zwischen Goldkurs und der Inflationsrate. Wir sehen Gold als Anlageklasse differenzierter: eher als eine Art „Versicherung“ gegen extreme Ereignisse, wie beispielsweise eine Währungsreform. Gold sollte entsprechend unserer Beratungspraxis, ebenso wie Technologieaktien, eine Komponente in einem strukturierten Vermögensplan sein. Anleger sind gut beraten, sowohl das Edelmetall (ganz gleichgültig ob als Wertinstrument oder als „ultimative Währung“), als auch Aktien gleichberechtigt zu allokieren und langfristig investiert zu bleiben. Innerhalb der Aktienauswahl sollten auch Themen wie Technologiewerte (ggfls. als Fonds) berücksichtigt werden.

Wo sehen Sie das größte Wertsteigerungspotenzial bei den nicht etablierten Werten?

Frank Walter: Die Aktien vieler Unternehmen spiegeln bereits hohe Erwartungen an die zukünftige Geschäftsentwicklung wider, weshalb es für die Unternehmen nicht einfach sein wird, diese Erwartungen zu übertreffen. Doch auch in einem „gut gelaufenen Markt“, lassen sich potenziell gute Investments finden. Wer nach Technologieaktien mit Potenzial sucht, wird auch außerhalb der USA fündig werden. Der deutsche Onlinehändler für Haustiernahrung Zooplus wächst seit vielen Jahren stark und konnte während der „Corona-Krise“ seine operativen Margen stark steigern. Schafft es das Unternehmen die neu gewonnen Kunden zu halten und weiteres Wachstum zu generieren, hat der Kurs langfristig ein deutliches Potenzial nach oben. Das künftige Wachstum sollte von einem steigenden E-Commerce-Anteil am Markt für Haustiernahrung gestützt werden.

(Hinweis zu möglichen Interessenkonflikten: Zooplus ist eine Position des Nachhaltigkeits-Aktienfonds Perspektive OVID Equity Fonds (A2ATBG), Stand: 02.11.2020)

Die Schweizer Temenos AG entwickelt und vertreibt Cloud Software für Banken und andere Finanzinstitute. Der Kurs des Unternehmens konsolidierte seit Ende Juli stark und befindet sich derzeit auf einem attraktiven Niveau. Temenos profitiert von der immer stärker werdenden Notwendigkeit, dass auch Banken im Rahmen der Branchen-Disruption ihr Geschäftsmodell digitalisieren. Einmal gewonnene Kunden bleiben dem Unternehmen in der Regel langfristig erhalten, da eine Systemumstellung hohe Wechselkosten verursacht. Für mutige Investoren lohnt sich auch ein Blick auf die deutsche Eventim. Als einer der größten europäischen Konzertveranstalter und Betreiber der größten europäischen Online-Ticketplattform leidet das Unternehmen derzeit stark unter der COVID-19 Pandemie. Die solide Finanzlage und die etablierte Stellung des Unternehmens im Markt sollte es jedoch ermöglichen, die wirtschaftlich schwierige Phase als Profiteur zu überstehen. Eventims Ticket-Plattform zieht sowohl eine hohe Anzahl an Veranstaltern, als auch viele Verbraucher an. Der entstandene Netzwerkeffekt verschafft Eventim einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Wettbewerbern und sollte in den Jahren nach der Pandemie für neues Wachstum sorgen. 

Ist es ratsam, jetzt Gewinnmitnahmen zu machen und zu verkaufen, wenn man bereits an den Kursanstiegen gut verdient hat?

Frank Walter: Wer an den hohen Kurssteigerungen der letzten Monate (Stand Anfang November 2020) partizipieren konnte, weil er z.B. mutig antizyklisch im Kursrutsch des ersten Lockdowns Ende des 1. Quartals kaufte, kann aufgrund der Kurzfristigkeit der Gewinne durchaus einen Teil seiner Gewinne -unter Berücksichtigung individueller kapitalertragsteuerlicher Gegebenheiten- realisieren. Die bereits hohen Bewertungen und Erwartungen rechtfertigen in diesem Fall ein niedrigeres Tech-Exposure. Anleger die mit frischem Geld in Aktien engagiert sein wollen, können alternativ auf die bewertungstechnisch zurückgebliebenen Zykliker oder auf „nachhaltige“ Aktien setzten. Insbesondere diese sollten von den zu erwartenden Konjunkturprogrammen in Europa und den USA profitieren.

Wie robust wird sich z.B. der Tec-Dax im Zuge der Corona-Krise Ihrer Meinung nach zeigen?

Frank Walter: Der TecDAX® zeigte sich bisher bei weitem nicht so robust wie der US-amerikanische Nasdaq. Das ist auch nachvollziehbar, weil im deutschen Index mit nur 30 im Vergleich zu 100 Titeln in den USA auch keiner der sog. „FANG“-Titel enthalten ist. Logischer Weise ist auch der internationale Focus auf den Nasdaq konzentriert. Das ist auch nachvollziehbar in den deutschen Depots: analysiert man die uns vorgelegten Depots aktienaffiner Selbstentscheider, so findet man regelmäßig mindestens zwei FANG‘s, aber in den seltensten Fällen einmal eine SAP. Wie sich ein gesamter Index – insbesondere wenn es um einen Vergleich geht – entwickeln wird, ist schwer zu prognostizieren, da hierfür jedes im Index geführte Unternehmen individuell betrachtet werden muss. Der TecDAX® verfügt aber auf jeden Fall über Unternehmen, die von einer fortschreitenden Digitalisierung profitieren werden, wie beispielsweise SAP, Compugroup, Infineon, Nemetschek oder TeamViewer. Insofern sollte der TecDAX® zumindest stärker von diesem Trend profitieren als der DAX®.

Herr Walter, vielen Dank für das Gespräch.

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