Die großen Indizes Dow Jones, DAX oder Nikkei verzeichnen regelmäßig neue Höchststände. In deren Fahrwasser starten Tech-Aktien voll durch. Wo gibt es noch Einstiegs-Potenzial?
Marcus Hüttinger: Sicherlich ist das Chance-Risiko-Verhältnis auch für Tech-Aktien nicht mehr so attraktiv wie beispielsweise im März, als wir unsere Aktienquote auf 85% erhöht haben uns auf Digitalisierungsgewinner und Dividendenaristokraten fokussierten. Obwohl wir seither zum Teil große Gewinne vereinnahmen konnten, sind wir unverändert überzeugt, dass technologiegetriebene Plattformunternehmen, wie Alphabet, Amazon, Microsoft und Wix.com auch weiterhin zu den langfristigen Gewinnern zählen werden. Gerade im aktuellen Umfeld der Corona-Krise nimmt die Abkopplung dieser Gewinner-Unternehmen vom Gesamtmarkt wieder an Fahrt auf.
Kann man den Anstieg der Tech-Werte wie Amazon, Apple, Netflix und Tesla fundamental erklären?
Marcus Hüttinger: Während es für einige Sektoren, wie beispielsweise die Reiseindustrie, Airlines und die Gastronomie leider keine schnelle Rückkehr zur Normalität geben wird, bieten Unternehmen wie Amazon oder Apple genau die Dienstleistungen und Produkte an, die in der jetzigen Krise verstärkt nachgefragt werden. Microsoft CEO, Satya Nadella, hat es sehr schön auf den Punkt gebracht, als er sagte: „Wir haben in nur zwei Monaten zwei Jahre der digitalen Transformation erlebt“. Diese Transformation von analogen zu digitalen Geschäftsmodellen wurde somit ungemein beschleunigt, was langfristig dazu führt, dass die IT-Infrastruktur zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor geworden ist und die Ausgaben in diesem Segment kontinuierlich steigen. Somit ist für einen Teil der von Ihnen genannten Unternehmen die rasante Rallye durchaus nachvollziehbar. Bei Tesla fällt es uns dagegen schwer, die Erträge der kommenden 3,5 und 7 Jahre abzuschätzen. Daher halten wir uns bei diesem Unternehmen zurück.
Alle Welt spricht von Gold als sicheren Anlage-Hafen. Soll man trotzdem dem Trend der Tech-Werte folgen und Aktien kaufen?
Marcus Hüttinger: Aktien sollten mittel- und langfristig die höchsten Erträge aller Anlageklassen liefern. Diese Überzeugung spiegelt sich auch in unserer aktuellen Aktienquote von 74% wider. Der Bullenmarkt der letzten 35 Jahre im Anleihesegment scheint vorbei zu sein und die Erträge werden bei Festzins-Investitionen in den kommenden Jahren deutlich geringer ausfallen. Für uns sind Investitionen attraktiv, wenn wir die zu erwartenden Erträge mit einer hohen Wahrscheinlichkeit abschätzen können und daraus eine auskömmliche Rendite ableiten. Gold hat den Nachteil, dass keinerlei Ausschüttungen vereinnahmt werden können und ein Kauf fast ausschließlich auf der Hoffnung basiert, später einen höheren Verkaufspreis zu realisieren. Ein solches Profil ist für uns nicht attraktiv.
Wo sehen Sie das größte Wertsteigerungspotenzial bei den nicht etablierten Werten?
Marcus Hüttinger: Wir setzen auch weiterhin auf die angesprochenen Digitalisierungsgewinner und auf sogenannte Dividendenaristokraten. Unternehmen, deren Geschäftsmodelle auch in Krisenzeiten so robust sind, dass Ausschüttungen auf einem hohen Niveau gehalten werden können. Sie haben neben der Ausschüttung das Potential für kontinuierliche Kurszuwächse, sofern die Zinsen niedrig bleiben – wovon wir ausgehen. Wir haben im März beispielsweise die Allianz mit einer Dividendenrendite von fast 8% kaufen können. Sie liefert auch heute noch nach der Kurserholung eine Dividendenrendite von über 5%. Ähnliches gilt für die Münchner Rück. Das ist sehr attraktiv. Neben den eindeutigen Profiteuren der Digitalisierung sind das etablierte Werte, die für uns ein großes Potential mit sich bringen.
Ist es ratsam, jetzt Gewinnmitnahmen zu machen und zu verkaufen, wenn man bereits an den Kursanstiegen gut verdient hat?
Marcus Hüttinger: Nein. Wenngleich wir von der der Geschwindigkeit positiv überrascht wurden, mit der sich die Aktienmärkte von den März-Tiefs erholten. Wir haben unsere Aktienquote zwar wieder etwas reduziert auf derzeit 74%, aber wir sind überzeugt davon, dass uns die richtigen Gewinnerunternehmen weit über die aktuelle Krise hinaus sehr auskömmliche Erträge liefern werden.
Wie robust wird sich z.B. der Tec-Dax im Zuge der Corona-Krise Ihrer Meinung nach zeigen?
Marcus Hüttinger: Entscheidend ist für uns nicht eine Indexzugehörigkeit, sondern vielmehr die Stärke des einzelnen Geschäftsmodells und welche Cash-flows daraus generiert werden können. Der ausschlaggebende Faktor für die signifikante Outperformance von US-Aktien in den vergangenen Jahren war das Wachstum der Unternehmensgewinne. Seit der Finanzkrise konnten die Firmen des S&P-Index den Gewinn pro Aktie um 75% steigern, während in Europa nur ein Wachstum von kläglichen 2% erreicht wurde. Ein großer Anteil dieser Margenausweitung ist auf den Tech-Sektor und das Silicon Valley zurückzuführen. Einige Unternehmen im Tec-Dax haben zwar langfristig das Potential für eine Erfolgsstory, in der Breite des Marktes spielt aber unverändert die Musik in den USA.