Selbstgenutzte Immobilien sind keine Altersvorsorge – Thomas Kliem (netzwerk freier finanzberater)

Interview mit Thomas Kliem
Thomas Kliem ist Geschäftsführer der netzwerk freier finanzberater Thomas Kliem GmbH & Co. KG. Im Interview spricht der Finanzfachmann über sinnvolle Versicherungen und den gängigen Fehler selbstgenutzte Immobilien als Altersvorsorge zu betrachten.

Viele Menschen haben Probleme, die Produktvielfalt am Versicherungsmarkt zu überblicken. Welche sind die häufigsten Lebensrisiken, die es abzusichern gilt?

Thomas Kliem: Die Absicherung muss man sich wie eine Pyramide vorstellen. Die Basis ist ein festes Fundament, auf dem alle weiteren Stufen stabil ruhen. Selbstverständlich sind die abzusichernden Risiken eine Frage des Alters und der Lebenssituation. Und auch die finanziellen Möglichkeiten spielen eine Rolle. Grundsätzlich gilt: Es sollten die Risiken abgesichert werden, die im Schadenfall zu einer existenzbedrohenden finanziellen Situation führen können. Zusätzlich gibt es Pflichtversicherungen, wie zum Beispiel eine gesetzliche oder private Krankenversicherung, die jeder Bürger haben muss, eine Kfz-Haftpflichtversicherung für die Halter*innen von Kraftfahrzeugen und eine Hundehalterhaftpflichtversicherung für Hundehalter*innen. Eine der wichtigsten Absicherungen, die nicht den Pflichtversicherungen zuzuordnen ist, ist die Privathaftpflichtversicherung. Hier können mit sehr überschaubaren Beiträgen Schäden, die einer dritten Person zugefügt werden, abgesichert werden. Außerdem werden unberechtigte Schadenersatzansprüche von der Versicherung abgewehrt.

Für alle Menschen, die von ihrer Arbeitskraft leben, ist die Absicherung der Arbeitskraft sehr empfehlenswert, weil hier die staatlichen Leistungen recht gering sind. Der Königsweg ist häufig die private Berufsunfähigkeitsversicherung. Inzwischen gibt es einige weitere Produkte, die im Einzelfall eine Alternative darstellen können. Für Kinder, aber auch für Erwachsene, kann eine Invaliditätsabsicherung oder Unfallversicherung sinnvoll sein. Die Absicherung der Angehörigen für den Todesfall durch eine Risikolebensversicherung sowie eine zusätzliche private Pflegeversicherung runden die Absicherung der Person ab. Die Absicherung von Hab und Gut (z. B. Hausrat, Wohngebäude, Fahrzeuge aller Art) sollte vom jeweiligen Gegenwert abhängig gemacht werden. Eine Wohngebäudeversicherung ist fast immer ratsam. Meiden sollte man Versicherungen, die nur sehr geringe Risiken abdecken, die im Grunde nicht wie eine Versicherung, sondern wie ein Sparbuch funktionieren. Hier möchte ich zum Beispiel eine Zusatzversicherung für Brillen oder eine Handyversicherung nennen.

Welche Versicherungen sollte jeder Mensch haben?

Thomas Kliem: Neben den eben genannten Pflichtversicherungen sollte jeder eine Privathaftpflichtversicherung haben. Und für jede Person, die von ihrer Arbeitskraft lebt, ist eine private Berufsunfähigkeitsversicherung empfehlenswert.

Welche Kosten sind mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung verbunden und wie wird die Beitragshöhe ermittelt?

Thomas Kliem: Die Beitragshöhe wird anhand vieler Faktoren ermittelt. Alter, Ausbildung, ausgeübte Tätigkeit, genaue Ausgestaltung der Tätigkeit, Höhe der abzusichernden BU-Rente, Versicherungs- und Leistungsdauer des Vertrages, besondere berufliche und private Risiken und natürlich der Gesundheitszustand sind die wichtigsten – jedoch noch nicht alle – Punkte, die in die Ermittlung des Beitrags einfließen. Daraus ergibt sich, dass eine pauschale Aussage zu den Kosten nicht getroffen werden kann. Ich kann aber soviel sagen: Die meisten Menschen sind überrascht, dass eine Berufsunfähigkeitsversicherung günstiger ist, als sie gedacht hätten.

In Deutschland herrscht Krankenversicherungspflicht. Was sind die Folgen, wenn man sich trotz der Pflicht nicht versichert?

Thomas Kliem: Auch wenn es eine Pflicht zur Krankenversicherung für alle Personen mit Wohnsitz in Deutschland gibt, ist es keine Straftat, nicht krankenversichert zu sein. Arbeitnehmer*innen und verbeamtete Personen haben das Problem im Regelfall nicht. Das arbeitgebende Unternehmen bzw. die Dienstbehörde haben, zumindest bei Begründung des Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses, eine Mitverantwortung und „Kontrollfunktion“. Das Problem tritt meistens bei selbstständig arbeitenden Personen auf. Zum Beispiel, wenn sie sich die teilweise hohen Beiträge nicht (mehr) leisten können oder nicht leisten wollen. Auch nicht erwerbstätige Personen außerhalb gesetzlicher Versorgungsbezüge haben oft keine Krankenversicherung. Nicht versicherte Personen müssen mit einer Zwangseintreibung offener Beiträge rechnen. Versichert sich die Person später dann doch, müssen für die Zeiten der Nichtversicherung Strafzahlungen geleistet werden. Ist eine Person zahlungsunfähig bzw. aus anderen Gründen nicht krankenversichert, erhält sie lediglich eine Grundversorgung bei Notfällen. Wichtig: Ist eine Person krankenversichert und zahlt die Beiträge nicht, bleibt sie grundsätzlich versichert, hat aber nur Anspruch auf eine Grundversorgung bei Notfällen.

Neben den gängigen Versicherungen heißt es auch für das Alter sparen. Lebens- und Rentenversicherungen werden aber seit Jahren nur noch schlecht verzinst. Zudem sind viele Lebensversicherer laut dem Bund der Versicherten in finanziellen Schwierigkeiten. Welche Alternativen bleiben sicherheitsorientierten Anlegern?

Thomas Kliem: Dafür müsste erst einmal definiert werden, was „sicherheitsorientiert“ bedeutet. Wenn damit eine garantierte Rentenhöhe und/oder garantierte Auszahlung zum Rentenbeginn gemeint ist, sehe ich keine Alternative zu einer klassischen Rentenversicherung mit Garantie (mit oder ohne Investmentfonds) oder einer „Riester Versicherung“. Bei der „Riester Versicherung“ gibt es unabhängig von der Anlageform immer eine Garantie. Wenn die Bereitschaft besteht, kalkulierbare Risiken einzugehen, kommen Anlagen in breit gestreuten Aktienfonds (z. B. ETF oder vergleichbare Fonds) oder nachhaltigen Investments in Betracht. Das kann auch in eine Versicherungslösung eingebunden sein. Neben der Anlagestrategie muss auch die Solvenz des Anbieters sorgfältig geprüft werden.

In Deutschland ist die Aktionärsquote sehr niedrig. Sollten mehr Menschen den Gang an die Börse wagen?

Thomas Kliem: Unbedingt. Viele Menschen denken beim Wort Aktie sofort an „Risiko“. Und Risiken will man hierzulande eher ungern eingehen. Die andere Seite der Medaille mit der Prägung Risiko ist übrigens mit dem Begriff Chance geprägt. Wissenschaftliche Untersuchungen über den Zeitraum der letzten 100 Jahre zeigen eindeutig, dass die breit gestreute Anlage – damit meine ich weltweit und um die 10.000 verschiedene Titel – in Aktien langfristig betrachtet (mindestens 10 – 12 Jahre Anlagedauer) sehr erfolgreich ist. Je nach Betrachtungsweise sprechen wir von 6-8% Wertsteigerung pro Jahr. Wichtig ist, die Aktienanlage sehr breit zu streuen, investiert zu bleiben und die Kosten im Auge zu behalten.

Das kann sehr gut über Fonds (z. B. ETF oder ähnliche Fonds) dargestellt werden. Übrigens kann diese Strategie auf staatlich gefördert werden. Vermeiden sollte man Spekulationen in wenigen Einzelwerten. Das kann zwar für Nervenkitzel sorgen, langfristig ist das aber viel zu risikoreich.

Eignen sich Immobilien als Altersvorsorge?

Thomas Kliem: Ja, wenn wir über eine Immobilie als Kapitalanlage sprechen. Also eine Immobilie, die vermietet ist oder vermietet werden soll. Dennoch gibt es diverse Nachteile und Risiken, wie z. B. Instandhaltungskosten, politische Einflussfaktoren und natürlich das Marktrisiko. Es ist kein Naturgesetz, dass Immobilienpreise immer und zu jeder Zeit und an jedem Ort steigen. Zudem sind die Preise in den interessanten Lagen auf einem sehr hohen Niveau. Damit sinken die erzielbaren Mietrenditen.

Eine selbstgenutzte Immobilie betrachte ich keinesfalls als Altersvorsorge. Man erzielt keine Erträge, muss Zinsen für das Darlehen bezahlen, die man nicht steuerlich berücksichtigen kann und muss auf jeden Fall fortlaufend Instandhaltungsmaßnahmen (Dach, Heizung, Fenster, Fassade) durchführen, die wieder Geld Kosten und keine Erträge bringen. Ich halte es für wesentlich sinnvoller, zur Miete zu wohnen und Geld separat zu investieren. Zum Beispiel in Aktienfonds und nachhaltigen Investments. Eine selbstgenutzte Immobilie würde ich immer unter Lebensqualität und nie unter Altersvorsorge oder Geldanlage buchen.

Edelmetalle, vor allem Gold, erleben derzeit einen Boom. Sind Sachwerte eine gute Wertanlage?

Thomas Kliem: Sachwerte sind ja nicht nur Gold und andere Edelmetalle, sondern zum Beispiel auch Immobilien. Zum Thema Immobilien habe ich mich ja bereits geäußert. Edelmetalle wie z. B. Gold erwirtschaften keine Rendite. Allerdings kann man sie als Werterhaltungsmittel bezeichnen. Gold und andere Edelmetalle werden immer einen Wert verkörpern, auch wenn Bar- oder Giralgeld vielleicht irgendwann einmal wertlos sein sollten, kann man mit Gold noch immer Waren oder Lebensmittel kaufen. Es gibt eine nette Anekdote: Im 19. Jahrhundert kostete ein kompletter Anzug, inklusive Hemd, Schuhe und Krawatte den Gegenwert einer Feinunze Gold. Daran hat sich bis heute praktisch nichts geändert. 

Gibt es generell gültige Empfehlungen, worauf bei der Strukturierung der Altersvorsorge geachtet werden sollte?

Thomas Kliem: Natürlich. So früh wie möglich anfangen, nie alles auf eine Karte setzen, nur kalkulierbare Risiken eingehen und nur Anlagen wählen, die man zu 100% verstanden hat.

Herr Kliem, vielen Dank für das Gespräch.

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