Es gab eine Zeit nach Mad Men, die viele kennen. Eine Zeit, in der Agenturen zu Spielplätzen wurden. Kicker, Tischtennisplatten, Räume für Mittagsschläfchen, Bierkühlschränke – und richtig funky war es, wenn man ein Bällebad hatte. Die Krönung einer Agentur: offene Büros. „Es bleibet daaahabei, die Gedaaaahanken sind frei!“ Ohrwurm? Gern geschehen. Alles schrie: Wir sind so kreativ! Und die Kunden fanden das gut. Die Kunden wollten DAS! Aber das hat sich geändert.
Gastbeitrag von Johannes Bohn, Geschäftsführer von Leuchtend Laut
In so einer Agentur habe ich angefangen. Große Sitzmöbel für Kreativrunden, hippe Küche aus Kupfer mit fetter Kaffeemaschine, alles aus Glas – und in der Mitte der Agentur ein Lichtschacht mit Bällebad. Und was soll ich sagen? Ich liebte und liebe das. Ich brauche diese Umgebung und habe mich unter anderem ihretwegen für diese Branche entschieden. Aber schon zum Arbeitseinstieg wurde mir gesagt, dass keiner mehr in das Bällebad steigt. Da drinnen würde es stinken und so viel Spaß macht es auch nicht mehr. Und noch schneller wurde klar: Die Illusion, dass kreative Ideen am besten in bunten Bällebädern und offenen Büros entstehen, war offenbar genau das – nur eine Illusion. Aus dem Spiel mit Bällen wurde mittlerweile ein Spiel mit Zahlen. Und das mit steigender Tendenz.
Noch vor 5–6 Jahren kamen von „Underdog-Agenturen“ wie Dojo mehrmals im Jahr Kampagnen, die etwas ausgelöst haben. Das mag eine gefühlte Wahrheit sein, aber ich nehme klar wahr: Die Kampagnen mit großem Bums werden immer seltener. Und ich weiß, dass Dojo nicht das Problem ist.
Wie sagt man im Volksmund: Jede Erfolgsgeschichte beginnt mit einer Excel-Tabelle! – Steve Jobs hat die Unterhaltung verlassen. (Achtung: Ironie!) Einfach ganz viel Geld in Media stecken, so wie Mario Adorf einst in Kir Royal: „Isch kauf disch einfach. Isch scheiß disch sowat von zu mit meinem Geld, dat de keine ruhige Minute mehr hast!“ Performance-Marketing, E-Mail-Marketing, PPC-Advertising, SEO, SEA. DAS sind die neuen Könige. Und KPIs, ROIs und CTRs sind die neuen Heiligen. Kreativität – nicht messbar, nicht relevant. Branding – nicht messbar, nicht relevant. Was unterscheidet dann euer Angebot von der Konkurrenz? „Wir sind billiger!“ Grandios.
Doch führen diese Zahlen immer mehr zu einem kreativen Dürretanz. Aus Modern Dance wurde ein langsamer Walzer. Aus wilden Tanzschritten wurde ein um sich selbst drehendes Tanzgebilde. Aus Kreativität wurde eine Formel für die Langeweile. Weil das, was einmal funktioniert hat, nochmal funktionieren wird. Wie Trends auf TikTok. „Das Video war lustig. Komm, wir machen das auch.“ Und nach dem fünften Video dieser Art drückt man es weg. Egal, ob sich diese Personen etwas Neues haben einfallen lassen. Was bei TikTok vielleicht gut funktionieren mag, geht im Marketing immer seltener auf. Dieser Copy-Paste-Modus führt zu Werbebotschaften, die so spannend sind wie ein Buttertoast ohne Butter und Toast. Neueste Erkenntnis einer Bierwerbung auf einem Transporter einer eher kleineren Brauerei: „Schmeckt echt urig!“ Mmmega! Daran denke ich nächstes Mal, wenn ich vor dem Kühlregal stehe. Aber wie hieß die Biermarke noch gleich? Kein Witz – ich habe sie wirklich vergessen.
Und trotz allem habe ich Verständnis für diese Situation. In der warmen Mitte kann nicht so viel passieren. Keine Shitstorms, aber auch keine Jubelschreie. Wer in einem stillen Saal voller Menschen nicht pupst, wird auch nicht angefeindet. Vor allem der eigene Job ist nicht gefährdet. Aber Stagnation wird unweigerlich zum Schleudersitz. Stellen Sie sich einen Supermarkt vor, der seit Jahren dasselbe Sortiment anbietet und keinerlei Veränderungen oder Innovationen einführt. Während die Konkurrenz ihre Produktpaletten regelmäßig aktualisiert, auf Kundenbedürfnisse eingeht und innovative Einkaufserlebnisse schafft, bleibt dieser Supermarkt in seinen alten Mustern gefangen. Die logische Konsequenz: Das Unternehmen erkennt, dass die stagnierende Strategie zum Rückgang der Marktanteile geführt hat. Um die Firma zu retten, wird eine radikale Umstrukturierung nötig.
Mutige Marken als Leuchtturm
Natürlich gibt es Ausnahmen. Big Brands wie Coca-Cola, Nike, Apple. „Man kann doch einen Konzern nicht mit uns vergleichen!“ Zugegeben – stimmt größtenteils. Die haben gigantische Werbebudgets und durch ihre riesigen Marktanteile auch nicht mehr viel zu verlieren. Nur die können sowas machen. Wobei – ich glaube, Fritz Limo, True Fruits und Co. sehen das anders. Und diese Marken wurden nicht groß mit Botschaften wie „Unser Getränk schmeckt echt urig. Die 0,5-l-Flasche jetzt für nur 89 Cent den ganzen Lidl-Supersamstag lang!“
„Wieso mit sowas vergleichen? Das sind coole Beverage-Marken, die verkaufen Lifestyle. Wir machen doch was ganz anderes!“ Die Antwort habt ihr selber gegeben. Das sind Beverage-Marken, die Lifestyle verkaufen! Lifestyle, nicht Getränke. Also macht etwas anders. Weg von der korrekten Mitte, in deren Sicherheit nichts passieren kann. Ihr wollt, dass sich was ändert? Dann ändert was. Es braucht nicht die große Botschaft mit politischem Gewicht, Humor an der Grenze oder Tränendrüsenspots mit fragwürdiger Ernsthaftigkeit zur Weihnachtszeit. Es braucht Verständnis für die Zielgruppe, Verständnis für das eigene Produkt und das Wichtigste: Es braucht Verständnis für die Marke selbst. Red Bull weiß doch, dass ihr Produkt qualitativ niemals einen Michelinstern ergattern wird und viele Menschen das Getränk abstoßend finden. Aber mit Blick auf das Marketing der letzten 25 Jahre: Mic Drop. Ohne Risiko kein Gewinn. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. No risk, no fun.
Egal. Ich kauf jetzt ein uriges Bier von…
Ach, ich nehme einfach wieder ein Giesinger.
Ist ‘ne coole Marke.