Dr. med. Bastian Willenborg ist ärztlicher Direktor der Oberberg Tagesklinik Kurfürstendamm. Mit ihm sprechen wir über Burnout-Syndrom, chronische Belastungen am Arbeitsplatz sowie Überforderung im Beruf.

Der Begriff Burnout ist in der Arbeitswelt weit verbreitet. 2018 hatten rund 176.000 Beschäftigte in Deutschland ein Burnout. Was genau versteht man unter diesem Krankheitsbild?
Dr. med. Bastian Willenborg: Ein Burnout-Syndrom gilt als so genannte Risikokonstellation für psychische und körperliche Erkrankungen im Zusammenhang mit arbeitsbedingtem Stress, aber (noch) nicht als eigenständige Erkrankung. [*Fußnote]
Eingeführt wurde der Begriff durch den New Yorker Psychotherapeuten Herbert Freudenberger in den 1970er Jahren. Er beschrieb einen Zustand von Personen in sozialen Berufen, die bei dem Gefühl der Überforderung auch unter Lustlosigkeit, Erschöpfung und unterschiedlichen körperlichen Symptome litten.
Wie kommt es zu einem Burnout, was sind die Auslöser?
Dr. med. Bastian Willenborg: Burnout-Syndrome entstehen in der Regel als schleichend zunehmende zunächst psychische, dann aber auch körperliche Reaktionen auf chronische Belastungen am Arbeitsplatz oder im Arbeitskontext („Erschöpfungssyndrom“). Dabei sind neben den objektiven Bedingungen am Arbeitsplatz die individuelle Bewertung der Belastung und die vorhandenen Möglichkeiten und Maßnahmen, mit Belastungen umzugehen oder die Situation zu verändern, entscheidend. Bei individueller chronischer Überforderung der Bewältigungsmöglichkeiten ist das Risiko für die Entstehung von Burnout hoch, gleichwohl gibt es große Unterschiede: während die einen den empfundenen Stress erstaunlich mühelos wegstecken und selbst in den brenzligsten Situationen ihre emotionale Kontrolle behalten, brechen andere unter diesen Belastungen regelrecht zusammen. Nicht selten wird dann zwar versucht, mit „Hilfe“ von Beruhigungs- und Schlaftabletten, Aufputschmitteln oder Alkohol gegen die zunehmenden seelischen und körperlichen Beschwerden anzugehen. Aber das geht in der Regel schief – und so entwickeln sich auf dem Boden des Burnout-Syndroms manifeste psychische Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen – und nicht selten zusätzlich eine Sucht.
Auslöser, d.h. eine kritische Konstellation bei der Entstehung von Burnout ist in der Regel ein Ungleichgewicht zwischen beruflicher Anforderung, eigenen Ansprüchen und hohem Einsatz („Verausgabung“) einerseits und der für diese Anforderungen erhaltenen Gratifikationen und Unterstützungen andererseits. Aufgaben und Anforderungen stehen auf der einen Seite, ideelle, immaterielle und materielle Wertschätzung und Unterstützung auf der anderen. Insbesondere bei einem Mangel an Gratifikation gerät das System ins Ungleichgewicht. Die Gefahr eines Burnouts steigt („Gratifikationskrise“).
Wie äußert sich der Burnout am menschlichen Körper? Welche Symptome treten auf?
Dr. med. Bastian Willenborg: Das ist sehr heterogen. Es wurden bereits mehr als 150 unterschiedliche Symptome geschildert.
Die folgenden drei Dimensionen beschreiben, was ein Burnout kennzeichnet:
1) starke emotionale und körperliche Erschöpfung: Energiemangel, Niedergeschlagenheit, die Unfähigkeit sich zu entspannen, Schlafstörungen, aber auch körperliche Symptome wie Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen.
2) Zynismus: Bei zunehmender Frustration distanziert man sich von der Arbeit, wertet diese ab und wird zynischer den Kollegen oder Kunden gegenüber, was in der Folge Schamgefühle auslösen kann.
3) verringerte Arbeitsleistung bzw. Leistungsfähigkeit: Es entsteht der Eindruck weniger leistungsfähig, kompetent oder kreativ zu sein, was eine Arbeitsunzufriedenheit verstärken kann.
Welche Berufsgruppen sind besonders betroffen und warum ausgerechnet diese?
Dr. med. Bastian Willenborg: Grundsätzlich können alle Berufsgruppen betroffen sein, vor allem aber diejenigen, die mit Aufgaben betraut werden oder mit Situationen konfrontiert werden, die einerseits von hoher Verantwortlichkeit und großem Anspruch geprägt sind und gleichzeitig aber kaum oder nicht dauerhaft zu bewältigen sind und zudem in der Regel mit einem Mangel an Gratifikation einhergehen.
In der Pandemie sind einige Rollen und Berufsgruppen sicherlich zudem besonders belastet. Zunächst denkt man an die „helfenden“ Berufe, sowohl im Gesundheitswesen (Krankenschwestern und –pfleger, Ärztinnen und Ärzte auf COVID-Stationen, Pflegende Angehörige etc.) als auch bei Polizei, Feuerwehr und Katastrophenschutz. Aber ebenso Lehrerinnen und Lehrer mit der Doppelbelastung Home-Schooling und Präsenzunterricht vorzubereiten. Zu anderen jedoch auch etwa Alleinerziehende, die bereits ohne Pandemie bereits mit Doppel- und Mehrbelastung (Arbeit, Familie) häufig an ihren psychischen und körperlichen Grenzen angekommen sind.
Insgesamt können Angehörige verschiedenster Berufsgruppen betroffen sein, wenn die genannten Risiken, d.h. anhaltende Belastung im Zusammenhang mit Arbeit und Tätigkeit, Überforderung der individuellen Bewältigungsressourcen und mangelnde Gratifikation, zusammenkommen. Dies kann vom Schüler bis zum Investmentbanker reichen.
Kann man Burnout präventiv vermeiden, wenn ja, wie?
Dr. med. Bastian Willenborg: Man kann sicherlich präventiv etwas tun, einerseits im Sinne einer Verhaltensprävention, d.h. sich selbst entsprechend protektiv und „präventiv“ zu verhalten. Wer Sport macht, sich gesund ernährt, genießt, sich Zeit für Freunde, Familie und Partnerschaft nimmt, erhält und verbessert seine seelische und körperliche Gesundheit und erhöht die Stress-Resilienz. Zudem ist von Zeit zu Zeit eine achtsame „Besinnung“ auf wirklich Wesentliches, auf seine eigenen Werte hilfreich und reduziert das Risiko, ein Burnout zu erleiden.
Andererseits ist der Erfolg sogenannter Verhältnisprävention nachweisbar: Es geht darum, die belastenden und zermürbenden Faktoren früh zu erkennen und wenn möglich zu ändern. Sei es, in dem belastende Situationen oder Konflikte am Arbeitsplatz geändert oder gelöst werden, Arbeitszeiten verändert werden („work-life-balance“), Hilfs- und Unterstützungsmittel in Anspruch genommen werden. Von Seiten der Arbeitgeber sind im Rahmen der Fürsorge für die Mitarbeiter Maßnahmen, die personelle, materielle (Vergütung, Prämien, aber auch technische und räumliche Ausstattung) und immaterielle Unterstützung (Gratifikation) und „Schutz“ bieten wirksam zur Vorbeugung von Burnout und daraus entstehenden Erkrankungen.
Wie lange dauert die Behandlung eines Burnout-Syndroms?
Dr. med. Bastian Willenborg: Wenn man ein Burnout-Syndrom bereits entwickelt hat, lohnt es, Beratung und Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich z. B. psychotherapeutisch behandeln zu lassen.
Wenn man die Entstehungszusammenhänge des Burnouts erkannt hat, kann man spürbare Verbesserungen bereits nach wenigen Wochen erfahren. Ärzte und andere professionelle Therapeuten können sicherstellen, dass mit störungsspezifischen Behandlungskonzepten nicht nur die Ressourcen der Patienten verbessert werden, sondern auch, dass überdauernde ungünstige „Muster“ erkannt und verstanden werden, damit nach der Therapie ein verändertes Umfeld zur Verfügung steht, dem sie sich gewachsen fühlen, was das Risiko eines wiederkehrenden Burnout-Syndroms – mit seinen Folgeerkrankungen – minimiert.
Leider liegen bei einem großen Teil der Betroffenen, die mit einem „Burnout“-Syndrom zu professionellen Hilfesystemen kommen, bereits manifeste psychische oder psychosomatische Krankheitsbilder (v.a. Angststörungen und Depressionen, Schlafstörungen) vor. Wenn sich bereits als Folge des anhaltenden Burnout-Syndroms eine psychische Erkrankung entwickelt hat, kann die Behandlung der Erkrankung einige Monate dauern.
Wann sollte man nach einem Burnout wieder anfangen zu arbeiten und sollte man danach wirklich demselben Beruf erneut nachgehen?
Dr. med. Bastian Willenborg: Wenn man Zusammenhänge erkannt hat und die Entscheidung getroffen hat, seine Arbeits- und damit auch Lebensrealität zu verändern, sollte man dies auch in Angriff nehmen. Die Erfahrung, die Arbeit, die einem vielleicht früher Spaß gemacht hat, wieder so zu gestalten, dass man wieder Freude erlebt, ist selbstwirksam und stärkt das Selbstbewusstsein.
Wenn man seine Arbeitsrealität nicht verändern kann, kann man im psychotherapeutischen Kontext schauen, ob man seine Haltung zur Arbeit verändern sollte und ob in der Gesamtbilanz, auch mit den anderen Werten im Leben, es „ok“ ist, weiterhin am Arbeitsplatz zu bleiben. Dies kann z. B. wenige Jahre vor der Rente oder Pensionierung durchaus der Fall sein.
Je nach individueller Situation kann es aber auch richtig und wichtig sein, die Arbeitsstelle oder gar den Beruf zu wechseln, wenn die dauerhafte Gefahr besteht und nicht durch andere Maßnahmen abwendbar ist, dabei psychisch oder psychosomatisch zu erkranken (Verhältnisprävention).
Herr Willenborg, vielen Dank für das Gespräch!
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[*Fußnote] Dies könnte sich mit der überarbeiteten Klassifikation von Erkrankungen der Weltgesundheitsorganisation (ICD-11, erscheint 2022) ändern: Künftig wird der verbreitete Belastungszustand voraussichtlich als Erkrankung mit drei Symptombereichen (Erschöpfung, negative Haltung zur eigenen Arbeit und reduziertes berufliches Leistungsvermögen) ausschließlich aufgrund von chronischem Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet wird, definiert.