Es ist sinnvoller nicht gegen die Abmahnung vorzugehen – Alexander Günzel (Merlekerpartner Rechtsanwälte)

Interview mit Alexander Günzel
Alexander Günzel ist Partner bei der Kanzlei Merlekerpartner Rechtsanwälte. Im Interview spricht der Fachanwalt für Arbeitsrecht über die wichtigsten arbeitsrechtlichen Regelungen während der Corona-Krise und rät Arbeitnehmern davon ab gegen Abmahnungen gerichtlich vorzugehen.

Viele Unternehmen haben Kurzarbeit angemeldet. Was sind die Folgen für Arbeitnehmer?

Alexander Günzel: Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung von Kurzarbeit erfüllt sind, reduziert sich die Arbeitszeit der Beschäftigten, und damit auch deren Vergütung. Die Arbeitszeit kann sogar auf null reduziert werden (so genannte „Kurzarbeit null“). Als Kompensation erhalten die Beschäftigten Kurzarbeitergeld von der Bundesagentur für Arbeit. Es wird vom Arbeitgeber berechnet und ausgezahlt. Die Beschäftigten erhalten 60 Prozent des Netto-Entgelts als Kurzarbeitergeld (Beschäftigte mit mindestens einem Kind: 67 Prozent). Ab dem 4. Bezugsmonat kann sich das Kurzarbeitergeld erhöhen – vorausgesetzt, der Entgeltausfall beträgt im jeweiligen Monat mindestens 50 Prozent. Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen können vorsehen, dass der Arbeitgeber einen Zuschuss zum Kurzarbeitergeld leisten muss. In manchen Fällen stockt der Arbeitgeber freiwillig das Kurzarbeitergeld auf.

Dürfen Arbeitnehmer Kurzarbeit verweigern oder liegt die Entscheidung alleine beim Arbeitgeber?

Alexander Günzel: Für die Einführung von Kurzarbeit bedarf es immer einer rechtlichen Grundlage. Liegt diese nicht vor, kann der Arbeitnehmer Kurzarbeit verweigern. Rechtsgrundlage für Kurzarbeit kann ein Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder eine arbeitsvertragliche Regelung (Kurzarbeitsklausel) sein. Wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, benötigt der Arbeitgeber die Einwilligung des Beschäftigten zur Kurzarbeit oder muss über eine Änderungskündigung die Kurzarbeit einführen. In der Corona-Krise war die Einführung von Kurzarbeit nach meiner Erfahrung in der Regel auch bei zunächst fehlenden Regelungen wie einer Kurzarbeitsklausel unproblematisch. Die meisten Beschäftigten willigten in die Kurzarbeit freiwillig ein.

Ausgelöst durch Corona erhalten immer mehr Menschen eine Kündigung. Gilt der Kündigungsschutz in der Pandemie nur noch eingeschränkt?

Alexander Günzel: Nein, der Kündigungsschutz für Beschäftigte gilt uneingeschränkt. Kündigungen können sogar ausgesprochen werden, wenn im Betrieb noch Kurzarbeit geleistet wird. Wenn also Beschäftigte über Kündigungsschutz verfügen (mehr als sechs Monate in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigt), dann müssen betriebsbedingte, personenbedingte oder verhaltensbedingte Gründe vorliegen. Die Hürden für eine wirksame Kündigung bleiben hoch. Der Arbeitgeber muss bei betriebsbedingten Kündigungen darlegen, dass der Arbeitsplatz des gekündigten Beschäftigten dauerhaft entfällt. Da ihre weitere wirtschaftliche Entwicklung von den Unternehmen aber gegenwärtig häufig schlecht prognostiziert werden kann, dürften Arbeitgeber Schwierigkeiten haben, den Arbeitsgerichten die erforderliche Prognose zum dauerhaften Arbeitsplatzwegfall darzustellen.

Die Kündigung ist im Briefkasten. Was ist jetzt zu tun?

Alexander Günzel: Beschäftigte können innerhalb von drei Wochen beim zuständigen Arbeitsgericht Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung erheben. Geschieht dies nicht, dann ist die Kündigung wirksam. Wenn eine gegebenenfalls unberechtigte Person die Kündigung unterzeichnet hat und dem Kündigungsschreiben keine Vollmacht beigefügt wurde, kann die Kündigung auch innerhalb von einer Woche zurückgewiesen werden. Hierdurch kann die Kündigung unwirksam werden. Trotzdem muss auch in solchen Fällen Kündigungsschutzklage erhoben werden.

Aufgrund der sehr kurzen Fristen im Arbeitsrecht sollte der Beschäftigte sich kurzfristig mit einer im Arbeitsrecht spezialisierten anwaltlichen Vertretung in Verbindung setzen, um das Vorliegen von Kündigungsschutz zu prüfen und die weitere Strategie zu besprechen. Häufig fehlen nicht nur Kündigungsgründe, sondern begehen Formfehler wie etwa bei der Anhörung des Betriebsrats oder bei Massenentlassungen. Daher ist es wichtig, fachlich versicherte Anwältinnen bzw. Anwälte hinzuzuziehen. Bei betriebsbedingten Kündigungen können Beschäftigte auch die Kündigung „hinnehmen“, müssen also nicht klagen. Eine Sperrzeit bei der Agentur für Arbeit droht in diesen Fällen nicht, wenn die maßgebliche Kündigungsfrist vom Arbeitgeber eingehalten wurde.

Häufig lassen sich Prozesse vermeiden. Was ist die beste Strategie für die Abfindungsverhandlung?

Alexander Günzel: Arbeitgeber und Beschäftigte haben unterschiedliche Strategien bei der Verhandlung von Aufhebungsverträgen. Im Fokus steht natürlich immer die Höhe einer Abfindung. Eine Abfindung steht Beschäftigten nur ausnahmsweise zu, zum Beispiel weil im Betrieb vom Betriebsrat ein Sozialplan verhandelt wurde, der Abfindungen vorsieht. Abfindungen müssen daher in der Regel zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten verhandelt werden. Arbeitgeber leisten Abfindungen, um sich einen kostspieligen Rechtsstreit zu ersparen, in dem sie gegebenenfalls bei Gericht unterliegen. Je höher die Risiken für den Arbeitgeber sind, desto eher wird er gewillt sein, eine hohe Abfindung zu leisten. Auf beiden Seiten ist es deshalb wichtig, sich über die rechtliche Ausgangssituation klar zu werden: Wie gut sind die Chancen der jeweiligen Partei, im Streitfall – also bei Ausspruch einer Kündigung – zu obsiegen. Zudem sollten beide Seiten sich feste Ziele hinsichtlich der Abfindungshöhe setzen. Häufig ist Verhandlungsbasis für die Berechnung einer Abfindung 0,5 Monatsgehälter pro Jahr der Beschäftigung. Ein spezialisierter Arbeitsrechtsanwalt kann aber häufig deutlich höhere Abfindungen für Beschäftigte im Verhandlungswege durchsetzen.

Was ist bei einem Aufhebungsvertrag zu beachten?

Alexander Günzel: Der Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung kann für den Beschäftigten zur Verhängung einer Sperrzeit bei der Bundesagentur für Arbeit führen. Die Beschäftigten erhalten dann für eine bestimmte Zeit kein Arbeitslosengeld. Es ist jedoch möglich, durch die Gestaltung der Aufhebungsvereinbarung bei personenbedingten Gründen (z.B. Kündigung aufgrund Krankheit) oder betriebsbedingten Gründen den Eintritt einer Sperrzeit zu vermeiden. Weiterhin sollten in der Aufhebungsvereinbarung neben der Abfindung auch Regelungen zu einer Freistellung, zum Urlaub, zum Zeugnis, zur Höhe einer etwaigen variablen Vergütung oder zur Abgeltung von Überstunden abschließend getroffen werden. Hierdurch wird vermieden, dass es nach Abschluss der Aufhebungsvereinbarung zu Streitigkeiten kommt.

Manche Arbeitgeber versuchen durch mehrfache Abmahnungen eine außerordentliche Kündigung herbeizuführen. Wie kann ich mich gegen falsche Abmahnungen wehren?

Alexander Günzel: Grundsätzlich wird die Wirksamkeit einer Abmahnung durch ein Gericht erst geprüft, wenn es zum Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung gekommen ist. Denn hier ist in der Regel Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung, dass es zu einer oder mehreren einschlägigen Abmahnungen gekommen ist. Beschäftigte haben verschiedene Möglichkeiten, gegen eine aus ihrer Sicht unwirksame Abmahnung vorzugehen. Sie erheben Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Ich empfehle diesen Weg in der Regel nicht. Zum einen kommt es durch die gerichtliche Geltendmachung zu einer Verschlechterung der Beziehung zwischen Beschäftigten und Arbeitgeber. Zum anderen kann der Arbeitgeber bei Feststellung, dass die Abmahnung aus formalen Gründen unwirksam ist, die fehlerhafte Abmahnung neu aussprechen. Es ist daher in der Regel sinnvoller, überhaupt nicht gegen die Abmahnung vorzugehen. Der Arbeitnehmer erleidet hierdurch keine Verschlechterung seiner Rechtsposition. Alternativ kann der Arbeitnehmer auch eine Gegendarstellung zum Sachverhalt abgeben. Diese Gegendarstellung muss der Arbeitgeber zur Personalakte nehmen.

Herr Günzel, vielen Dank für das Gespräch.

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