Kim Gappa: Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung

Interview mit Kim Gappa
Kim Gappa ist Rechtsanwältin in der Kanzlei HFBP in Hannover. Mit ihr sprechen wir über digitale Krankmeldung, Voraussetzungen sowie Erleichterung für die Krankenkasse.

Ab 01.10.2021 wird die digitale Krankmeldung Pflicht. Diese Umstellung war schon lange geplant. Warum wird das Projekt doch erst jetzt in Angriff genommen?

Kim Gappa: Das Thema elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nur ein Baustein des Mammutprojekts „Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung“ und damit auch im zeitlichen Gesamtzusammenhang zu sehen. Bis zur Einführung der digitalen elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mussten erst einmal die technischen Grundvoraussetzungen in den Praxen implementiert werden. Dies beinhaltet:

•          einen Anschluss an die Telematikinfrastruktur (TI) – idealerweise mit einem Konnektor der neuen Generation, der die Komfortsignatur unterstützt;

•          Anschluss an einen Dienst für Kommunikation in der Medizin (KIM);

•          E-Arztausweis (eHBA) – mindestens der Generation 2.0;

•          ein Update der Praxis-EDV.

Bei der Ausstattung der Praxen mit diesen technischen Tools gab es in der Vergangenheit bereits Verzögerungen des Zeitplanes.

Ursprünglich war die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) bereits für den 01.01.2021 geplant gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sollten die Vertragsärzte verpflichtet sein, die Daten der Arbeitsunfähigkeit elektronisch an die Krankenkassen zu übermitteln. Da die technischen Voraussetzungen jedoch nicht flächendeckend für alle Praxen und Krankenkassen zu diesem Termin verfügbar waren und die Praxen ohnehin mit der Bewältigung der Corona-Pandemie zu tun hatten, wurde der Starttermin auf den 01.10.2021 verschoben.

Da jedoch zum 01.10.2021 höchstens die Hälfte der Arztpraxen eAU-fähig gewesen wären, wäre das Chaos vorprogrammiert gewesen, was wiederum der Akzeptanz der Telematikinfrastruktur insgesamt geschadet hätte. Somit wurde nach Abstimmung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mit den Krankenkassen der Starttermin nunmehr auf den 01.01.2022 verschoben.

Wird die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab 01.10.2021 ausschließlich digital ausgestellt?

Kim Gappa: Da der ursprünglich verpflichtende Termin für die elektronische Übermittlung vom 01.10.2021 nunmehr auf den 01.01.2022 verschoben wurde, ist die elektronische Ausstellung erst ab Anfang des Jahres verpflichtend. Bis dahin können Praxen, die noch nicht über die technischen Voraussetzungen verfügen weiterhin, wie gewohnt, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf dem Vordruck-Muster 1 (sog. gelber Schein) ausstellen. Sofern die jeweilige Praxis jedoch bereits auf das elektronische Verfahren umgestellt hat, erfolgt die Übermittlung an die Krankenkassen ausschließlich auf dem elektronischen Weg. Die elektronische Übermittlung ist ab dem Zeitpunkt der Umstellung verpflichtend und das alte Muster 1 ist als Nachweis der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr weiter nutzbar. Eine Ausstellung in Papierform ist dann lediglich im Wege des Ersatzverfahrens möglich. Dies gilt beispielsweise bei Versicherten der sogenannten Sonstigen Kostenträger (Polizei, Postbeamte, etc.).

Auf diese Weise kann zwar Digitalisierung im Gesundheitswesen einziehen, doch das Gesetz war nicht zwingend notwendig. Welche Vorteile hat die digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in der Praxis?

Kim Gappa: Die neue Regelung verspricht vor allem Erleichterungen für die Krankenkassen und die Patienten. Das Formular kommt durch den digitalen Übertragungsweg schneller bei den Krankenkassen an und kann dort ohne Verzögerung bearbeitet werden, sodass vor allem Patienten, die länger krank sind und Krankengeld beziehen davon profitieren, da das Geld zügiger an sie ausgezahlt werden kann. Auch bei den Krankenkassen wird der Prozess nun sehr viel komfortabler. Laufende Feldversuche zum Thema eAU lassen darauf hoffen, dass es weniger Nachfragen und Verzögerungen und damit Ärger auf beiden Seiten gibt.

Dass das elektronische Verfahren grundsätzlich funktioniert, zeigt ein Pilotprojekt der Techniker Krankenkasse. Können Sie uns sagen, wie der Prozess des „digitalen gelben Scheins“ seitens der Ärzte, Ärztinnen und Krankenkassen ab dem 01.10.2021 ablaufen wird?

Kim Gappa: Sobald die technischen Voraussetzungen in der Praxis geschaffen sind, kann der jeweilige Arzt auf die digitale Übermittlung umstellen. Die Praxis leitet die Arbeitsunfähigkeitsdaten digital mittels KIM, also eines E-Mail-Dienstes innerhalb der Telematik, an die Krankenkassen weiter. Vorerst (bis zum 30.06.2022) erhalten die Patienten jedoch weiterhin einen Papierausdruck für ihren Arbeitgeber und für sich selbst. Dies geschieht allerdings ab dem Moment der Umstellung in der Praxis nicht mehr auf dem Vordruck Muster 1, sondern einem einfachen Papierausdruck.

Da die digitalen Vordrucke in jedem Fall elektronisch signiert werden müssen, um rechtssicher zu sein, ist das Verfahren mit einigem zeitlichen Aufwand für die Ärzte verbunden. Für jede eAU muss der elektronische Heilberufsausweis in das Lesegerät gesteckt werden und zudem ist jedes Mal aufs Neue aus Gründen der Datensicherheit eine PIN einzugeben. Aus diesem Grund bieten die Konnektoren der neuen Generation Verfahren wie die Komfortsignatur oder Stapelsignatur an. D. h., dass die Ärzte mit ihrem Heilberufsausweis (eHBA) und ihrer PIN für einen bestimmten Zeitraum bis zu 250 Signaturen freigeben können oder bei der sog. Stapelsignatur mehrere Dokumente gleichzeitig qualifiziert elektronisch unterschreiben können.

Es gibt allerdings nach wie vor Praxen, die nicht an die Telematik angeschlossen sind. Diese Telematikverweigerer lassen bereits seit zwei Jahren ein Honorarabzug von 2,5% über sich ergehen, der als gesetzliche Sanktion für die Ablehnung des Anschlusses an die Telematik vorgesehen ist. Mit der verpflichtenden Anwendung der eAU, nunmehr zum 01.01.2022, drohen diesen Ärzten Disziplinarmaßnahmen und als Ultima ratio der Entzug der Zulassung. Hiervon sind bundesweit schätzungsweise noch 5.000 Arztpraxen betroffen.

Was ändert sich rechtlich für Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit dem Gesetz?

Kim Gappa: Erst einmal ändert sich im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer nichts. Der Patient erhält weiterhin einen vom Arzt unterzeichneten Papierausdruck für seinen Arbeitgeber. Dieser erfolgt allerdings auf ein Normalpapier und nicht dem Mustervordruck. Erst im zweiten Schritt ist dann die elektronische Übermittlung an die Arbeitgeber geplant. Hierfür ist der 01.07.2022 avisiert. Dann sollen die Krankenkassen den Arbeitgebern die AU-Informationen elektronisch zur Verfügung stellen.

Frau Gappa, vielen Dank für das Gespräch!

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