„Kündigungen sind oftmals nicht rechtmäßig“ – Rechtsanwältin Diana Göttke

Interview mit Diana Göttke
Diana Göttke ist Fachanwältin für Arbeitsrecht. Im Interview spricht die Juristin über rechtliche Grundlagen von Corona-bedingten Kündigungen, unberechtigte Abmahnungen und die richtige Strategie für Abfindungsverhandlungen.

Viele Unternehmen haben Kurzarbeit angemeldet. Was sind die Folgen für Arbeitnehmer?

Diana Göttke: Für die Arbeitnehmer sind hiermit in der Regel Gehaltseinbußen verbunden. Arbeitet der Arbeitnehmer gar nicht mehr – ist er also auf „Kurzarbeit Null“ – erhält er an Stelle seines vollen Arbeitsentgelts in den ersten 3 Monaten der Kurzarbeit nur 60% bzw. 67% des Nettoentgelts. Ab dem 4. Bezugsmonat gibt es dann – befristet bis zum 31.12.2020 – mit 70% bzw. 77%, ab dem 7. Bezugsmonat dann 80% bzw. 87% des Nettoentgelts etwas mehr, wobei sich der alternative Wert immer auf Beschäftigte mit mindestens einem Kind bezieht. Voraussetzung für die Erhöhung des Kurzarbeitergelds ist, dass der Arbeitnehmer im jeweiligen Kalendermonat von jedenfalls 50 Prozent Arbeitsausfall mit Entgeltausfall betroffen ist.

Denkbar ist aber, dass der Arbeitgeber das Kurzarbeitergeld aufstockt, Differenzbeträge also zum Teil oder auch vollständig trägt, so dass der Mitarbeiter schlussendlich doch wieder seinen vollen Lohn bekommt. Dies muss er aber nur dann vornehmen, wenn es eine Rechtsgrundlage dafür gibt. Gibt es im Unternehmen einen Betriebsrat, sehen entsprechenden Betriebsvereinbarungen zum Teil solche Aufstockungen vor. Zum Teil enthalten auch Arbeitsverträge eine solche „Aufstockungspflicht“ des Arbeitgebers. Schlussendlich ist noch an Tarifverträge zu denken. Neben den Gehaltseinbußen bedeutet Kurzarbeit natürlich auch eine – je nach Reichweite der Kurzarbeit – verringerte Arbeitszeit für den Arbeitnehmer.

Dürfen Arbeitnehmer Kurzarbeit verweigern oder liegt die Entscheidung alleine beim Arbeitgeber?

Diana Göttke: Das kommt – wie man so schön sagt – darauf an. Entscheidend ist zunächst, was im Arbeitsvertrag steht. Hat sich der Arbeitgeber hier wirksam die Anordnung der Kurzarbeit vorbehalten, dann liegt die Entscheidung grundsätzlich tatsächlich allein beim Arbeitgeber. In vielen „größeren“ Unternehmen haben sich Betriebsrat und Arbeitgeber auch in einer Betriebsvereinbarung darüber geeinigt, dass Kurzarbeit angeordnet werden kann. Auch in diesem Fall benötigt der Arbeitgeber regelmäßig nicht die Einwilligung des Arbeitnehmers.

Gibt es weder eine solche Betriebsvereinbarung noch eine Regelung im Arbeitsvertrag, dann braucht der Arbeitgeber demgegenüber in jedem Fall die Zustimmung des Arbeitnehmers. Oft haben sich die Arbeitgeber daher in den letzten Monaten seit Ausbruch der Pandemie an ihre Mitarbeiter gewandt und diesen ein Dokument vorgelegt, mit welchem die Arbeitnehmer ihr Einverständnis erklären sollten. Diese sind allerdings nicht immer wirksam. Das gilt im Übrigen auch für etwaige Betriebsvereinbarungen oder Anordnungsbefugnissen, die sich in Arbeitsverträgen finden. Existiert im Betrieb des Arbeitgebers ein Betriebsrat und ist dieser nicht bei der Einführung der Kurzarbeit beteiligt worden, ist die Anordnung durch den Arbeitgeber im Übrigen grundsätzlich auch rechtswidrig.

Ausgelöst durch Corona erhalten immer mehr Menschen eine Kündigung. Gilt der Kündigungsschutz in der Pandemie nur noch eingeschränkt?

Nein, das ist nicht der Fall. Es gelten die allgemeinen „Regeln“. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass nach dem Kündigungsschutzgesetz nur der Arbeitnehmer geschützt ist, welcher bei Zugang der Kündigung bereits sechs Monate für den Arbeitgeber tätig war und der Arbeitgeber auch regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer im Sinne des Kündigungsschutzgesetztes beschäftigt. Daher fallen Arbeitnehmer in kleineren Unternehmen oftmals aus diesem Schutzbereich „raus“, das heißt insbesondere, dass der Arbeitgeber keinen Grund für eine Kündigung braucht. Er kann die Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist dann grundsätzlich „einfach so“ aussprechen.

Das ist im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes anders. Da muss der Arbeitgeber, bei einer Klage gegen die Kündigung, dem Arbeitsgericht nachweisen, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt ist. Die Anforderungen für den Arbeitgeber diesen Nachweis bei Gericht zu erbringen sind hoch. Insoweit bestehen jedenfalls in den Fällen, in denen das Kündigungsschutzgesetz greift, regelmäßig eine gute Chance für Abfindungsverhandlungen oder Weiterbeschäftigung.

Die Kündigung ist im Briefkasten. Was ist jetzt zu tun?

Diana Göttke: Auch wenn das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, sind Kündigungen oftmals nicht rechtmäßig. So passiert es etwa häufig, dass Kündigungsfristen durch den Arbeitgeber nicht richtig berechnet wurden oder aber „der Falsche“ das Kündigungsschreiben unterzeichnet hat. In einem solchen Fall heißt es schnell handeln. Dem Arbeitnehmer bleiben regelmäßig nämlich nur drei Wochen Zeit gegen die Kündigung vorzugehen. Klagt er nicht innerhalb dieser Frist, wird die etwaige rechtwidrige Kündigung durch bloßes Nichtstun bestandkräftig.

Da der Arbeitnehmer oftmals auf den ersten Blick nicht erkennen kann, ob die Kündigung rechtmäßig ist, lohnt sich – aus meiner Sicht – der Weg zum spezialisierten Anwalt. Der kann dann auch klären, ob im konkreten Einzelfall nicht gegebenenfalls ein besonderer Kündigungsschutz – z.B. wegen Elternzeit oder wegen einer Schwerbehinderung – besteht. Oftmals ist es auch gar nicht so einfach zu ermitteln, ob die Mitarbeiterschwelle des Kündigungsschutzgesetzes (Beschäftigung von regelmäßig mehr als zehn Mitarbeitern im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes) erreicht ist, insbesondere, wenn es auch Teilzeitkräfte gibt oder der, von der Kündigung betroffene Mitarbeiter mit Arbeitnehmern eines anderen Unternehmens in einem Büro sitzt. Findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung lohnt sich meist ebenfalls der Weg zum Gericht. Alternativ kann im Einzelfall auch der Abschluss einer (außergerichtlichen) Abwicklungsvereinbarung Sinn machen.

Was ist die beste Strategie für die Abfindungsverhandlung?

Diana Göttke: Dies lässt sich leider nur schwer pauschal beantworten. Die Strategie hängt nicht zuletzt von der konkreten Situation des jeweiligen Arbeitnehmers sowie dessen Wünsche und Vorstellungen ab. Generell lässt sich sicherlich sagen, dass es meist hilfreich ist, die rechtlichen „Erfolgsaussichten“ einer (etwaigen) Klage zu kennen. Um so wahrscheinlicher es ist, dass die Kündigung vor Gericht Bestand hat, um so geringer wird die Motivation des Arbeitgebers sein, eine (hohe) Abfindung zu zahlen. Allerdings trägt der Arbeitgeber stets das sogenannte Annahmeverzugslohnrisiko. Dies bedeutet, dass er bei Unterliegen vor Gericht fürchten muss, dem klagenden Arbeitnehmer die gesamte Zeit bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils „nachzubezahlen“. Das ist für einen Arbeitgeber meist umso schmerzhafter, als dass er für diese Zeit regelmäßig keine Arbeitsleistung vom Arbeitsnehmer als Gegenleistung für seine Zahlungen erhalten haben wird.

Psychologisch soll es auch hilfreich sein, die erste „Zahl“ (als Gedankenanker) zu nennen. Aus Arbeitnehmersicht ist es insoweit oft ratsam, mit einem gegenüber dem gewünschten Zielbetrag höheren Abfindungsbetrag in die Verhandlungen zu gehen, um sich Verhandlungsmasse zu schaffen. Jedoch ist insoweit auch ein wenig Fingerspitzengefühl gefragt, um die Gegenseite nicht zu verprellen und sämtliche Abfindungsverhandlungen damit zum Scheitern zu bringen. 

Was ist bei einem Aufhebungsvertrag zu beachten?

Diana Göttke: Wichtig ist insoweit insbesondere, dass es bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages zur Verhängung einer Sperrzeit bei dem Bezug von Arbeitslosengeld kommen kann. Grundsätzlich geht die Agentur für Arbeit in einem solchen Fall nämlich von einer selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit aus und zahlt dem Arbeitnehmer bis zu 12 Wochen kein Arbeitslosengeld. Allerdings ist dies nicht zwingend und kommt nicht zuletzt auf die konkrete Gestaltung des Aufhebungsvertrages an. Gleiches gilt für eine drohende Anrechnung der Abfindung auf das Arbeitslosengeld. Auch das muss bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags im Blick behalten werden. In diesem Zusammenhang spielt oft auch die Absicherung des Arbeitnehmers in der Krankenversicherung eine Rolle.

Daneben ist aus Sicht des Arbeitnehmers natürlich immer wichtig, dass er nicht auf Ansprüche, die ihm noch gegen den Arbeitgeber zustehen, verzichtet. Das betrifft etwa ein (anteiliges) 13. Gehalt, Boni, Gratifikationen und Ähnliches. Durch die Aufnahme von sogenannten Abgeltungsklauseln in den Aufhebungsverträgen „passiert“ dies in der Praxis aber relativ schnell. Dem Arbeitnehmer ist meist gar nicht klar, was er da unterzeichnet und auf was er mit seiner Unterschrift gegebenenfalls verzichtet.

Manche Arbeitgeber versuchen durch mehrfache Abmahnungen eine außerordentliche Kündigung herbeizuführen. Wie kann ich mich gegen falsche Abmahnungen wehren?

Diana Göttke: Der Arbeitnehmer hat immer die Möglichkeit den Betriebsrat einzuschalten, wenn es einen solchen im Betrieb des Arbeitgebers gibt. Zudem kann er eine Gegendarstellung zur Personalakte zu reichen. Das bedeutet, er schildert schriftlich den Hergang aus seiner Sicht. Auch besteht die Möglichkeit, dass der Arbeitnehmer die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte verlangt. Dies erfolgt bestmöglich unter Fristsetzung. Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, kann der Arbeitnehmer gegen die Abmahnung auch klagen. Allerdings muss ihm klar sein, dass es dann zumeist auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinausläuft. Ist erst ein gerichtliches Verfahren zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer anhängig, ist das Vertrauensverhältnis meist so zerrüttet, dass es keine weitere Zusammenarbeit geben kann. Entweder spricht dann eine der Seiten die Kündigung aus oder aber – das ist auch denkbar – man einigt sich (im gerichtlichen Verfahren) auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, aus Arbeitnehmersicht bestmöglich unter Zahlung einer Abfindung.

Ist man sich als Arbeitnehmer demgegenüber noch nicht so sicher, dass der Arbeitgeber mit den unberechtigten Abmahnungen eine Kündigung „vorbereitet“ und/oder ob er selbst bereit ist, das Unternehmen zu verlassen, braucht er auch erst mal gar nichts tun. Erhält der Arbeitnehmer dann später (doch) eine Kündigung kann er sich gegen die Abmahnung immer noch in dem Kündigungsschutzverfahren vor Gericht wehren. Er muss dies also nicht „sofort“ machen und hat hierdurch auch erst mal keine Nachteile. Welches der beste Weg ist, hängt von der Situation des jeweiligen Arbeitnehmers ab. Was für den Einen gut ist, muss es für den Anderen noch lange nicht sein.

Frau Göttke, vielen Dank für das Gespräch.

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