Meike Schoon: Menschen benötigen eben unterschiedlich viel Leidensdruck

Interview mit Meike Schoon
Meike Schoon ist Diplom-Psychologin, Personalerin und Inhaberin von MEIKE SCHOON Coaching und Beratung in Hamburg. Mit ihr sprechen wir über dauerhafte Über- und Unterforderung, Konflikte am Arbeitsplatz sowie Jobwechsel.

Es gibt zahlreiche Gründe, warum Beschäftigte unzufrieden mit ihrem Job sind. Für viele ist aber eine berufliche Neuorientierung keine Option. Was sind die häufigsten Gründe, die zu einer Jobunzufriedenheit führen?

Meike Schoon: Zweifel an der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns, dauerhafte Über- oder Unterforderung, Konflikte am Arbeitsplatz, fehlende Entwicklungsmöglichkeiten, zu wenig Anerkennung und Wertschätzung.

Woher weiß man, dass es Zeit ist den Job zu wechseln, um sich neuen Herausforderungen zu stellen?

Meike Schoon: Die persönliche Schwelle zur Veränderung ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich hoch. Während der eine bereits seinen Job komplett in Frage stellt, weil er montags morgens ein paar Mal widerwillig aufgestanden ist, pflügt die andere auch mit Tinnitus noch unbeirrt durch ihren Alltag, selbst wenn Freunde und Familie schon längst zum Wechsel raten. Menschen benötigen eben unterschiedlich viel Leidensdruck, um sich unbequemen Wahrheiten zu stellen und große Veränderungen anzugehen.

Grundsätzlich sollte aber jeder Mensch allerspätestens dann hellhörig werden, wenn psychosomatische Beschwerden auftreten. Typischerweise sind das Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, Kopf- und Rückenschmerzen oder dauernde Gereiztheit. Und natürlich die „red flags“ Hörsturz und Burnout bzw. Erschöpfungsdepression. Spätestens dann sollte man sich fragen: Liegen die Gründe für meine Symptome im Job? Was belastet mich da genau? Was müsste sich ändern, damit es mir wieder besser geht? Welche Einflussmöglichkeiten habe ich in meinem aktuellen Job? Wo stoße ich an Grenzen?

Viele Beschäftigte über 35 haben Hemmungen sich neu zu orientieren. Kann man im fortgeschrittenen Alter noch adäquat Karriere machen?

Meike Schoon: Warum denn nicht? Als erstes sollte man sich aber die Frage stellen, wie man selbst eine adäquate Karriere überhaupt definiert. Ist es der steile Aufstieg auf der Karriereleiter mit kontinuierlich anwachsendem Gehalt? Dann kann eine komplette Neuorientierung im mittleren Alter durchaus mit gewissen Einbußen verbunden sein, zumindest zu Beginn. Schließlich fängt man etwas Neues an und ist in einigen Bereichen zunächst wieder Novize. Menschen, die mitten im Berufsleben einen Veränderungswunsch entwickeln, definieren Karriere allerdings oft ganz anders. Ihnen geht es weniger um den klassischen Aufstieg, sondern um die persönliche Passung. Sie möchten ein sinnerfülltes Leben führen, nicht nur privat, sondern auch beruflich. Sie wollen ihr Berufsleben so gestalten, dass die Work-Life-Balance gelingt, dass sie dauerhaft gesund bleiben und dass sie sich als Mensch mit ihren Stärken, Talenten und Interessen besser einbringen können. All das ist selbstverständlich auch noch mit 35+ möglich.

Ein Neuanfang ist immer schwer. Wie kann man mentale Hürden der Neuorientierung überwinden?

Meike Schoon: Indem Sie sich zunächst einmal Klarheit verschaffen über die eigenen Kompetenzen, Interessen, Bedürfnisse und Möglichkeiten. Und natürlich auch auf die Blockaden, Muster und Befürchtungen schauen. Dabei hilft eine Analyse der bisherigen Erwerbsbiografie genauso wie ein Blick in die Zukunft und auf die eigenen Ressourcen.

Was muss man also tun, damit eine berufliche Neuorientierung gelingt?

Meike Schoon: Neben der gerade genannten Bestandsaufnahme braucht es unbedingt eine gründliche Recherche und einen Reality Check. Und das nicht nur per Internet, sondern indem Sie sich hinaus wagen in die Welt und mit Menschen sprechen, die in den Bereichen tätig sind, in die Sie vorstoßen möchten.

Was raten Sie Beschäftigten, die mit dem Gedanken spielen, den Beruf zu wechseln?

Meike Schoon: Drängen Sie den Gedanken nicht beiseite, sondern schauen Sie ihn sich genauer an. Am besten mit der Haltung eines neugierigen Forschers, unvoreingenommen und ergebnisoffen. Über einen Berufswechsel nachzudenken, muss auch nicht zwingend in einer kompletten Neuorientierung münden. Oft sind es ganz andere Baustellen, die nach Bearbeitung rufen, damit Sie wieder mehr Freude und Zufriedenheit im Job empfinden. Vielleicht braucht es in Wirklichkeit eine Konfliktklärung, einen Abteilungswechsel, eine Fortbildung, ein besseres Verständnis der eigenen Muster und Trigger oder eine ähnliche Stelle bei einem anderen, besseren Unternehmen. Egal was am Ende dabei herauskommt, es lohnt sich auf jeden Fall immer, eine Standortbestimmung vorzunehmen und die eigenen Zweifel ernst zu nehmen.

Frau Schoon, vielen Dank für das Gespräch!

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