Prof. Dr. Gerhard Röder: Arbeitnehmer hat grundsätzlich einen Kündigungsschutz

Interview mit Prof. Dr. Gerhard Röder
Prof. Dr. Gerhard Röder ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Gleiss Lutz Rechtsanwälte in Berlin. Mit ihm sprechen wir über Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, Angebot der Fortsetzung sowie Gründe hierfür.

Nicht jeder ist mit allen Formen einer Kündigung vertraut. Was versteht man unter einer Änderungskündigung?

Prof. Dr. Gerhard Röder: Änderungskündigung bedeutet die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, die zugleich mit dem Angebot der Fortsetzung desselben zu geänderten Arbeitsbedingungen verbunden ist. Ziel der Änderungskündigung ist es, den Inhalt eines abgeschlossenen Arbeitsvertrages abzuändern und dabei für ArbeitnehmerInnen einen Arbeitsplatz – wenn auch zu geänderten und häufig verschlechterten Arbeitsbedingungen – zu erhalten. Einer Änderungskündigung bedarf es übrigens nicht, wenn der Arbeitgeber eine andere Tätigkeit nach dem Inhalt des bereits bestehenden Arbeitsvertrages ArbeitnehmerInnen auch einseitig zuweisen kann. Ein einseitiges Weisungsrecht besteht aber nur, soweit der bereits abgeschlossene Arbeitsvertrag dieses hergibt.

Können Sie uns Gründe oder Situationen nennen, in denen eine Änderungskündigung häufig zum Einsatz kommt?

Prof. Dr. Gerhard Röder: Eine Änderungskündigung kommt in der Praxis vor allem dort vor, wo ein bestimmter Arbeitsplatz, den ein MitarbeiterIn bisher ausgeübt hat, wegfällt, an anderer Stelle ein Arbeitsplatz jedoch frei ist, den MitarbeiterIn nach den vorhandenen Qualifikationen gleich oder nach einer zumutbaren überschaubaren Einarbeitungszeit übernehmen kann. Beispiel: Der Arbeitsplatz als Staplerfahrer entfällt, MitarbeiterIn kann jedoch nach einer kurzen Einarbeitungszeit von drei Wochen in einer Montageabteilung eingesetzt werden. Entsprechendes gilt, wenn der bestehende Arbeitsvertrag auch inhaltlich zu den bisherigen Bedingungen wegen Veränderung etwa der betrieblichen Umstände nicht mehr weitergeführt, wohl aber zu geänderten Arbeitsbedingungen fortbestehen kann. Ein Beispiel ist etwa, wenn MitarbeiterIn bislang im Rahmen einer festen Arbeitszeit vormittags gearbeitet hat, die anfallenden Tätigkeiten aber künftig nur noch im Rahmen einer Nachmittagsbeschäftigung erfüllt werden können. Um eine wirksame Abänderung des Arbeitsvertrages zu erreichen, muss der Arbeitgeber eine Änderungskündigung aussprechen und dabei die Fortführung zu den möglichen geänderten neuen Arbeitsinhalten anbieten. Bei der Änderungskündigung sind im Regelfall die jeweiligen ordentlichen Kündigungsfristen einzuhalten.

Eine Änderungskündigung gemäß §2KSchG ist also eine „richtige“ Kündigung. Wann ist eine Änderungskündigung rechtmäßig und wann unwirksam?

Prof. Dr. Gerhard Röder: Eine Änderungskündigung ist nur rechtmäßig, wenn das bestehende Arbeitsverhältnis zu den bisherigen Bedingungen nicht mehr fortgeführt werden kann und die angebotene Änderung des Arbeitsvertrages verhältnismäßig ist. Für die Frage, ob ein Kündigungsgrund als solcher vorliegt, gelten zunächst die allgemeinen Kriterien und Gründe nach dem Kündigungsschutzgesetz. Für die Kündigung muss daher ein betriebsbedingter, personenbedingter oder verhaltensbedingter Kündigungsgrund vorliegen. In der Praxis geht es meistens darum, dass aus betriebsbedingten Gründen der bisherige Arbeitsplatz bzw. die bisherige Tätigkeit entfällt, jedoch an anderer Stelle zu geänderten Tätigkeiten die Fortsetzung möglich ist. Bei der Änderungskündigung kommt dann zusätzlich hinzu, dass die Veränderung, meist die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen unter Berücksichtigung des Kündigungsgrundes verhältnismäßig ist. Dies bedarf einer Abwägung der betrieblichen und persönlichen Gründe und muss den geringstmöglichen Eingriff in die bisherigen Arbeitsbedingungen darstellen.

Kommt es zu einer Änderungskündigung, hat der Arbeitnehmer wie bei einer konventionellen Kündigung verschiedene Reaktionsmöglichkeiten. Welche Optionen hat der Arbeitnehmer und was haben die einzelnen Reaktionen für Konsequenzen?

Prof. Dr. Gerhard Röder: Bei einer Änderungskündigung hat der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer zu seinen Gunsten drei verschiedene Optionen einer Reaktion auf eine Kündigung eingeräumt: Zum ersten kann MitarbeiterIn die geänderten in der Änderungskündigung angebotenen Arbeitsbedingungen schlicht annehmen. In diesem Fall ändert sich der Arbeitsvertrag entsprechend den geänderten Arbeitsbedingungen ab. Zum Beispiel: Abteilung A am Standort Berlin fällt weg, da die gesamte Abteilung an den Standort Potsdam konzentriert wird. Nimmt MitarbeiterIn die Tätigkeit – die im Übrigen für den Rest des Arbeitsvertrages nicht geändert wird – an, so wird der bisherige Arbeitsvertrag zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist dahin abgeändert, dass neuer Arbeitsort Potsdam wird. Im Übrigen verbleibt es bei dem bisherigen Inhalt des Arbeitsvertrages. Zum Zweiten kann das mit der Änderungskündigung verbundene Angebot auch abgelehnt werden. Die ausgesprochene Änderungskündigung wird dann automatisch zur Beendigungskündigung. Der Arbeitnehmer kann gegen die Wirksamkeit der Beendigungskündigung Kündigungsschutzklage erheben. Es wird dann nur geprüft, ob Kündigungsgründe nach dem Kündigungsschutzgesetz vorlagen. Es wird also „auf Sieg“ gespielt. Gewinnt MitarbeiterIn, besteht der bisherige Arbeitsvertrag fort. In unserem Beispiel wird also überprüft, ob die Abteilung in Berlin tatsächlich nach Potsdam verlagert wird. Ist das nicht der Fall, weil noch bestimmte umfängliche Funktionen am Standort in Berlin verbleiben, gewinnt MitarbeiterIn. Der Arbeitsvertrag besteht also mit dem Arbeitsort Berlin weiter. Verliert MitarbeiterIn, weil ein Kündigungsgrund vorlag, ist das Arbeitsverhältnis beendet. Wurde wie in unserem Beispiel der Arbeitsplatz also tatsächlich im Rahmen der Verlegung der gesamten Abteilung nach Potsdam verlegt, und ist damit ein Kündigungsgrund gegeben, wird MitarbeiterIn die Kündigungsschutzklage verlieren. Das Arbeitsverhältnis wird dann aufgrund der Änderungskündigung beendet werden. Zuletzt hat MitarbeiterIn die Möglichkeit, sozusagen „den Spatz in der Hand zu sichern und für die Taube auf dem Dach zu kämpfen“. Es besteht nämlich nach dem Kündigungsschutzgesetz die Möglichkeit, das geänderte Angebot unter Vorbehalt anzunehmen. MitarbeiterIn muss dann allerdings nach Ablauf der geltenden Kündigungsfrist zu den in den Änderungsschutzklage enthaltenen geänderten Arbeitsbedingungen weiterarbeiten. Im Beispiel müsste also der angebotene Arbeitsplatz in Potsdam angetreten werden. Der Arbeitsvertrag und ein neuer Arbeitsplatz bleiben damit gesichert. Zugleich kann MitarbeiterIn durch eine fristgerechte Erhebung einer sog. Änderungsschutzklage jedoch überprüfen lassen, ob für die Abänderung des bisherigen Arbeitsvertrages wirklich ein Kündigungsgrund vorlag, hier also die Abteilung wirklich komplett nach Potsdam verlegt worden ist und diese Änderung unter den gegebenen Umständen verhältnismäßig war, also die geringstmögliche Verschlechterung des bisherigen Arbeitsvertrages beinhaltete. Letzteres wäre etwa nicht der Fall, wenn der Arbeitgeber zugleich die bisherige Vergütung für die in Potsdam im Übrigen gleiche Tätigkeit verschlechtern wollte.

Wie verhält es sich mit dem Kündigungsschutzgesetz bei Änderungskündigungen?

Prof. Dr. Gerhard Röder: Auch bei der Änderungskündigung hat der Arbeitnehmer also grundsätzlich Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Das Kündigungsschutzgesetz bietet MitarbeiterIn verschiedene Optionen an, die Veränderung des Arbeitsplatzes zum einen gerichtlich durch Erhebung einer Änderungsschutzklage dahin überprüfen zu lassen, ob Gründe i.S.d. Kündigungsschutzgesetzes für die Veränderung des Inhalts des Arbeitsplatzes vorlagen und die angebotene Abänderung auch verhältnismäßig war. MitarbeiterIn sind dabei die erläuterten verschiedene sorgfältig abzuwägenden Optionen  der gerichtlichen Überprüfung an die Hand gegeben. Bei einer Annahme der geänderten Arbeitsbedingungen unter Vorbehalt und verbunden mit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage muss MitarbeiterIn im Regelfall zur rechtskräftigen Klärung zu den in der Änderungskündigung angebotenen veränderten Arbeitsbedingungen arbeiten – jedenfalls nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist.

Arbeitnehmer können verschieden mit der Änderungskündigung umgehen. Wann raten Sie Betroffenen dazu, eine Änderungskündigung abzulehnen und wie müssen diese dann dahingehend vorgehen?

Prof. Dr. Gerhard Röder: Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, unter welchen Voraussetzungen MitarbeiterIn welche Handlungsoptionen zu empfehlen sind. Dies hängt jeweils vom Inhalt der Änderungskündigung selbst, vor allem aber auch von der individuellen Situation des Arbeitnehmers und auch seiner persönlichen Einschätzung ab. Von folgenden Überlegungen und Erörterungen mit MitarbeiterIn sind bei der Beurteilung der Vorgehensweise gegen eine Änderungskündigung auszugehen: Sind die Gründe für die Änderungskündigung offensichtlich nur vorgeschoben und für MitarbeiterIn vor allem unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände schlicht nicht akzeptabel, sollte eine Änderungskündigung im Zweifel nicht angenommen werden. Die Kündigungsschutzklage wäre dann das Mittel der Wahl. Ist MitarbeiterIn vor allem auch im Hinblick auf die persönlichen Arbeitsmarktchancen auf einen Arbeitsplatz angewiesen, dann sollte die Änderungsschutzklage grundsätzlich vorrangig in Betracht gezogen werden. Vielfach geht es MitarbeiterIn aber auch darum, im Hinblick auf die – auch aus persönlichen Gründen – nicht in Betracht kommende Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, eine möglichst gute Abfindung herauszuholen. Hierfür ist dann meist die Erhebung einer Kündigungsschutzklage, also die Ablehnung des Angebots als solche, taktisch das bessere Mittel. Dies gilt vor allem dann, wenn MitarbeiterIn gute Chancen am Arbeitsmarkt hat und mit hoher Wahrscheinlichkeit bald einen anderweitigen gut bezahlten Arbeitsplatz finden kann. Bei jeder Beratung und Entscheidung sollte aber die persönliche Situation und auch die Frage, inwieweit MitarbeiterIn die Nervenstärke für die Beschäftigung unter veränderten Arbeitsbedingungen hat oder einen ggf. auch längeren Kündigungsschutzprozess durchstehen kann und möchte, in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.

Herr Prof. Dr. Röder, vielen Dank für das Gespräch!

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