Professionelles Bewerbercoaching- Worauf kommt es wirklich an?

Interview mit Michael Gerth
Wir sprechen mit Michael Gerth, Bewerbercoach und Geschäftsführer von Vitalis-C., über professionelles Bewerbercoaching für sowohl Berufseinsteiger als auch Professionals. Längst zählt nicht mehr nur ein sauberer Lebenslauf, um bei Unternehmen zu glänzen. Der persönliche Auftritt beim Vorstellungsgespräch ist essenziell für die letzte Entscheidungsebene. Wie man sich am besten für den nächsten Traumjob präsentiert und welche Faktoren aus Unternehmensseite wichtig sind, wird uns von Michael Gerth erklärt.

Sie unterstützen sowohl Berufseinsteiger als auch Professionals bei der Suche nach dem perfekten Job und dem perfekten Arbeitgeber. Was sind die Ziele und auch vor allem die Herausforderungen Ihrer Kunden in diesem Bereich?

Viele Berufseinsteiger*innen suchen nach einer Tätigkeit, bei der sie auch Freiräume für ihr soziales Leben, ihr Hobby oder der Partnerin/dem Partner haben. Sie ordnen dem Beruf nicht (mehr) alles unter. Da sie oftmals eine enge soziale Verwurzelung mit ihrem Standort haben, präferieren einige eine Tätigkeit vor Ort oder in der Nähe dessen, auch dann, wenn der Arbeitsmarkt dort aus strukturellen Gründen nicht so viel bieten kann. Dabei haben es diejenigen leichter, die kontaktfreudig und engagiert sind. Wer sich bereits während des Studiums außeruniversitär betätigt hat und Erfahrungen durch fachlich sinnvolle Praktika oder Nebentätigkeiten sammeln konnte, hat Vorteile. Selbst wenn ich durch ein Praktikum nicht bei dem Unternehmen landen kann, habe ich Menschen kennengelernt, die mir ggf. weiterhelfen können.

Bei den Professionals, dazu zähle ich diejenigen mit einigen Jahren Berufserfahrung, ist es differenzierter zu betrachten. Es gibt Sinnkrisen, unfreiwillige Arbeitslosigkeit, den Wechselwunsch durch zu hohe Belastungen oder geringe Weiterentwicklungsmöglichkeiten im aktuellen Beruf. Bei den ersten drei Aspekten ist das Stressempfinden oft sehr hoch. Verstärkt wird dies durch einen finanziellen Druck, sofern laufende Verpflichtungen (z.B. einen Hauskredit) bedient werden müssen. Auch funktioniert der Arbeitsmarkt längst nicht mehr so, dass ich mich darauf beschränken kann, nur auf ausgeschriebene Stellen zu schauen. Auch hier

sind Kontakte, Fürsprecher und Netzwerke ein wesentliches Hilfsmittel zur Erreichung der Ziele. Eine Herausforderung, die beide Berufsgruppen gemein haben, ist die Notwendigkeit der Reflexion der eigenen Person. Sie müssen in der Lage sein, sowohl die fachlichen als auch die persönlichen Schnittmengen zu dem Unternehmen und der entsprechenden Stelle herzustellen.

Wie wichtig sind Softskills heutzutage?

Jeder Mensch hat persönliche Stärken, Werte und soziale Kompetenzen. Wichtig ist insbesondere, sie zu kennen bzw. sich ihnen bewusst zu sein. Das bedingt auch das bewusste Einsetzen dieser. Ein Beispiel dazu: Wenn es eine meiner Stärken ist, auf Menschen zuzugehen und mich problemlos in eine Gruppe einfügen kann, brauche ich ein entsprechendes Umfeld, um meine Präferenz leben zu können. Wenn ich den wesentlichen Teil meiner Arbeit am Bildschirm verbringe oder Exceltabellen ausfülle, werde ich irgendwann frustriert sein. Das hat Auswirkungen auf meine Arbeitsleistung und die Kollegen. Es kommt folglich auf den richtigen Kontext an, in dem ich meine Soft-Skills auch leben kann! Auch in Bezug auf gruppendynamische Prozesse in Unternehmen sind soft Skills immer wichtiger. Die Geschwindigkeit in der heutigen Arbeitswelt ist durch die Möglichkeiten der Digitalisierung deutlich höher. Prozesse ändern sich häufiger, Produktzyklen verkürzen sich usw. Daher sind individuelle Fähigkeiten (Kritikfähigkeit, Zuhören, etc.) und soziale Kompetenzen (Empathie, Kommunikationsvermögen, Teamfähigkeit) gefragter denn je.

Damals war es ja ein No Go, wenn man aufgrund von beispielsweise Reisen eine Lücke im Lebenslauf aufwies. Wie sie es heutzutage aus? Wird es immer noch als Mangel gesehen oder kann es vielleicht sogar positiv gesehen werden?

Ich kenne viele Menschen, die sogenannte Lücken im Lebenslauf haben. Einige von ihnen hatten eine ungewollte Arbeitslosigkeit, andere nahmen sich eine bewusste Auszeit. Wichtig ist eine plausible Begründung der Lücke. Wenn mein Arbeitsplatz wegrationalisiert wurde, kann ich die Gelegenheit nutzen um mich entsprechend weiterzubilden. Dazu gibt es interessante von der Arbeitsagentur geförderte Programme. So kann sich der arbeitssuchende Redakteur z.B. Fähigkeiten im digitalen Marketing aneignen und die ungewollte Auszeit sinnvoll nutzen. Ich kenne einige Menschen, die sich eine bewusste Auszeit für verschiedene Auslandsreisen genommen haben, dort ihre Sprachkenntnisse vertieften, sich kulturell bereichert haben und/oder soziale Projekte vor Ort begleiteten. Das lässt sich sehr gut in einem Lebenslauf darstellen und wird oft sogar positiv gesehen.

Sowohl ein Bewerbermarkt ist vorhanden als auch gleichzeitig ein Fachkräftemangel. Theoretisch könnten Bewerber sich einfach die für sich passenden Unternehmen heraussuchen und sich eigenständig bewerben. Warum brauchen dennoch viele Bewerber Ihrer Meinung nach ein professionelles Coaching?

Gerade für Berufe, bei denen höhere Qualifikationen oder Erfahrungen nötig sind, sucht das Unternehmen möglichst passgenaue Kandidaten. Der Bewerber muss sowohl fachlich als auch persönlich in das Unternehmen bzw. die Abteilung passen. Fehlentscheidungen können dabei sehr teuer werden. Daher will sich das Unternehmen ein klares Bild von dem neuen Mitarbeiter machen. Vielen Bewerber*innen fällt es allerdings schwer, sich zu den Anforderungen des Unternehmens zu artikulieren. Die Bewerbungen sind dann inhaltlich nicht optimal auf die Stelle zugeschnitten bzw. in den Formulierungen nicht ergebnisorientiert genug. So kann z.B. ein Prozessmanager im Lebenslauf darstellen, dass durch die von ihm eingeführte Software deutliche Effizienzgewinne erzielt wurden, die Einführung durch begleitende durch ihn organisierte Trainings reibungslos verlief und dadurch die Mitarbeiterzufriedenheit stieg. Das ist vielsagender als die bloße Beschreibung der Tatsache der Einführung einer Software. Das gleiche gilt für ein Vorstellungsgespräch. Es geht darum, die Schnittmengen der eigenen Kompetenzen mit den Anforderungen der Stelle klar und deutlich vermitteln zu können. Erfahrungsgemäß hat jeder/jede Bewerber(in) solche Erfolgsstorys, die wir im Coaching identifizieren. Unsere Kund*innen lernen dabei gelebte Beispiele auf den Punkt gebracht zu kommunizieren. Dadurch wirken sie authentisch. Das ist ein guter Nährboden für Vertrauen bei den Gesprächspartnern.

Einige Kandidaten/-innen haben Probleme damit, sich zu präsentieren bzw. gut ins rechte Licht zu stellen. Würden Sie kurz anhand Ihrer Erfahrung aufzeigen, welche Probleme am häufigsten auftreten, bei denen Sie eingreifen und coachen müssen?

Gerade bei der Vorbereitung von Vorstellungsgesprächen haben Bewerber*innen oft das Gefühl, den Anforderungen der Stelle nicht gerecht zu werden. Nicht selten kommen die Kandidaten auch mit unschönen Erlebnissen aus der vorherigen Tätigkeit zu mir oder haben bereits einige Absagen kassieren müssen. Sie fühlen sich überfordert mit dem Gedanken, sich präsentieren zu müssen. Da sehe ich es zunächst als meine Aufgabe, die inneren Schätze der Kund*innen wieder zu heben und sie ihnen zu vergegenwärtigen. Dazu gibt es Reihe von Methoden, die hilfreich sind. Dieses gestärkte Gefühl nutzen wir dann, um griffige Formulierungen und Beispiele zu finden, die die Kund*innen charakterisieren und zur angestrebten Stelle passen. Daraus entwickeln wir dann einen persönlichen Pitch. Wir sammeln Ideen/Formulierungen zu den Engpassfragen wie z.B. Lücken im Lebenslauf, der Wechselmotivation, den eigenen Erfolgen oder Misserfolgen, Zielen und Verbesserungspotenzialen. Durch zahlreiche Rollenspiele zeigt sich, wie sich nach und nach Sicherheit einstellt, die sich durch die Wirkungsfaktoren wie Körpersprache, Stimme und natürlich auch dem Inhalt ausdrückt. Die Kund*innen kommen in eine authentische Haltung und ein positives Mindset.

Geben Sie uns doch bitte noch ein paar Einblicke davon, wie genau ein Coaching abläuft.

Das Coachingprozess besteht aus 6 Phasen:

1) In der Warm-Up-Phase wird geschaut, ob die Chemie stimmt und die Schwerpunkte der Karriereberatung/des Karrierecoachings werden festgelegt.

2) In der Analysephase identifizieren wir die Problemfelder, konkretisieren diese und

analysieren mögliche Blockaden und Potenziale.

3) In der Veränderungsphase schauen wir uns konkrete Wege sowie alternative

Verhaltensweisen an: Hier erarbeiten wir z.B. eine Selbstvermarktungsstrategie.

4) Phase 4 ist die Umsetzungsphase. Die Kund*innen trainieren Bewerbungsszenarien, Szenarien z.B. mit Hilfe einer VR-Brille in einem virtuellen Raum.

5) Bei der Erfolgskontrolle geht es darum, nach einer vereinbarten Zeit die Effizienz und den Erfolg der Maßnahmen zu reflektieren. Mithilfe eines digitalen Coachingtools helfen wir unseren Kund*innen begleitend.

6) Bei der Abschlussphase wird der Prozess resümiert und bewertet.

Wenn wir etwas näher auf die Berufseinsteiger und die Professionals eingehen, welche Anforderungen stellen Unternehmen an Bewerber, die neu in die Berufswelt einsteigen und die, die einen Berufs- bzw. Unternehmenswechsel vornehmen möchten?

Unternehmen möchten bei Berufseinsteigern den roten Faden erkennen, der sie zu dieser Stelle führt. Das drückt sich durch die passende Studienwahl/Spezialisierung im Studium, einschlägige Praktika oder sonstige Nebentätigkeiten aus. Auch die Soft-Skills müssen stimmig sein. Wenn ich mich z.B. als Trainee für die Geschäftskundenberatung bei einer Bank bewerbe, wird Kontaktfreude und ein freundliches zuvorkommendes Wesen sehr geschätzt. Eine Nebentätigkeit bei einer studentischen Initiative, die sich mit Marketingfragen befasst, kann ein hilfreicher Beleg für die dort erforderlichen Soft-Skills sein. Bei den Professionals erwarten die Unternehmen ein hohes Maß ein Reflexionsfähigkeit. Dazu gehört neben der Darstellung der eigenen Person auch, ein gutes Bild von der Tätigkeit zu haben. Bewerber sollten sich dabei auf keinen Fall ausschließlich auf die Informationen der

Stellenausschreibung verlassen, sondern auch darüber hinaus gehende Recherche betreiben. Sie sollten folglich gut Bescheid wissen, welche fachlichen und persönlichen Schnittmengen es gibt und wo noch Entwicklungspotenzial ist. Neben einer klaren Story sind die Ziele des Bewerbers, Wechselmotivation, die Wahl des Unternehmens und der Mehrwert Dinge, die das Unternehmen beantwortet haben möchte.

Herr Gerth, vielen Dank für das Interview.

Interview teilen: 

Facebook
Twitter
LinkedIn
WhatsApp
No related posts found for the provided ACF field.

Zum Expertenprofil von Michael Gerth

Michael Gerth

Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter diesem Link:

Weitere Interviews

die neusten BTK Videos