Thomas Mademann: Es kann durchaus Materialengpässe geben

Interview mit Thomas Mademann
Thomas Mademann ist Geschäftsführer der GMVK Procurement GmbH. Mit ihm sprechen wir über derzeitigen Materialmangel, besonders stark betroffene Unternehmen sowie einzuleitende Maßnahmen.

Lieferprobleme von Rohstoffen und Bauteilen haben in der Corona-Pandemie zugenommen. Bremst der Materialmangel die Wirtschaft aus?

Thomas Mademann: Sicher ist der derzeitige Materialmangel ein das nachholende Wachstum nach der Corona-Krise begrenzender Faktor. Die Wirtschaft wird aber nach unseren konkreten Erfahrungen nicht und schon gar nicht umfassend aus-, sondern schlimmstenfalls gebremst. Jedoch entsteht in vielen produzierenden, und vor allem in den Kunststoff-, metallverarbeitenden und Halbleiter-benötigenden Industrien ein erhöhter Aufwand in Einkauf und Supply-Chain, um die Produktions- und Verkaufsfähigkeit ungeschmälert aufrecht halten zu können. Manche Industrien sind überhaupt nicht, manche recht massiv betroffen. Überhaupt nicht betroffen ist zum Beispiel die Zellstoff- und die Glasindustrie.

Welche Branchen sind von den Lieferproblemen besonders stark betroffen?

Thomas Mademann: Besonders stark sind Unternehmen betroffen, die die Rohstoffe Holz, Kunststoff und (Eisen)metall verarbeiten sowie Unternehmen, die Halbleiterbauelemente benötigen. Damit haben die metallverarbeitende Industrie, der Fahrzeug- und Maschinenbau, die elektrotechnische Industrie sowie die Kunststoff-verarbeitende Industrie mit erhöhtem Aufwand und stark steigenden Beschaffungspreisen zu kämpfen.

Woraus resultiert der derzeitige Mangel bzw. die Lieferverzögerungen?

Thomas Mademann: Die Ursachen sind sehr unterschiedlich. Der Holzmangel hat seine Ursache zum Teil in der verspäteten Bekämpfung von Dumping-Holzimporten, der in der Phase knapper Materialien nun kontraproduktiv wirkt. Der Mangel an Stahl unterschiedlicher Qualitäten hat seinen Ausgangspunkt in der weltweiten Herausnahme von Produktionskapazitäten auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie. Die Erholung der Wirtschaft verlief dann schneller als vorhergesehen, so dass es zeitweilige reale Engpässe gab. Diese sorgten dann wiederum für eine Vervielfachung der Bestellungen bei unterschiedlichsten potenziellen Lieferanten. Infolgedessen ist eine Nachfrageblase entstanden, die den realen Bedarf deutlich übersteigt. Da speziell die Stahlpreise vor Corona an der Kostengrenze lagen, war diese Entwicklung den Stahlproduzenten und -Händlern auch nicht ganz unrecht, um wieder zu einem profitablen Preisniveau zu kommen.

Bei einigen Kunststoffen wurden Produktionsanlagen zusätzlich zu Normaljahren gewartet, es gab aber Ausfälle durch Naturkatastrophen und Havarien sowie ebenfalls die zuvor beschriebene Bugwellen aus Krise und Aufschwung. Da hier die Chemiekonzerne aber schon wieder große Gewinne einfahren, ist mit Besserung zu rechnen. Speziell bei Asien-Importen kommt eine Verknappung der Transportkapazitäten aus Asien nach Europa als weitere Herausforderungen in Richtung Materialverfügbarkeit und Kosten dazu.

Viele Handwerksbetriebe befürchten Zwangspausen aufgrund von Materialengpässen. Sind diese Befürchtungen berechtigt?

Thomas Mademann: Das hängt von der Flexibilität der Handwerksbetriebe und von deren Kostentoleranz ab. Es kann durchaus für einige Monate Materialengpässe geben. Aber insgesamt ist der Mangel an Fachpersonal sicher umsatzbegrenzender als punktuelle Lieferschwierigkeiten auf der Materialseite. Viele Handwerksbetriebe haben seit Beginn der Pandemie Hochkonjunktur, da die Kaufkraft nicht mehr in Urlaubsreisen, sondern in Heim, Haus und Hof fließt.

Wann können wir mit einer Entspannung der Situation rechnen?

Thomas Mademann: Die Entspannung wird sich uneinheitlich vollziehen. Bei den Rohmaterialien wie Stahl rechnen wir mit einer Entspannung spätestens innerhalb der kommenden 6 Monate. Bei verarbeiteten Produkten wie warm- und kaltgewalzten oder gezogenen Produkten wird es einen Zeitversatz von 2 bis 3 Monaten geben. Bei Holz ist von einer langsamen Entspannung in den kommenden 6 Monaten auszugehen. Am längsten wird die Entspannung bei den Halbleiterprodukten dauern, da wir es in diesem Markt (als einzigem) mit einer grundsätzlichen Unterdeckung des Bedarfs durch die aktuell vorhandenen Fertigungskapazitäten zu tun haben.

Welche Maßnahmen sollten betroffene Unternehmen ergreifen, um kurzfristig die Situation zu überstehen und sich langfristig besser zu rüsten?

Thomas Mademann: Unternehmen sollten kurzfristig Task-Forces bilden, die die Unternehmen operativ handlungsfähig halten. Kann man Lieferverpflichtungen entzerren, Material mit Partner tauschen, in der Handelsstufe zusätzliche Lieferquellen akquirieren? Ist es möglich, Materialien zu standardisieren oder zu substituieren? Lassen sich Beschaffungsmärkte neu erschließen? Krisenzeiten sind gute Zeiten, um die Breite der Lieferantenbasis zu erhöhen und um vermeintlich nicht ersetzbare Lieferanten „herauszufordern“. Das hilft dann auch in der Zeit danach. Langfristig hilft nur ein verbessertes Risiko-Management und erhöhte Transparenz zu Lieferketten und Beschaffungsmärkten. Gelingt es dem Einkauf, Manager der externen Wertschöpfung zu werden, dann kann er auch in Krisensituationen sicherstellen, dass das eigene Unternehmen im Zusammenwirken von externer und interner Wertschöpfung jederzeit lieferfähig bleibt.

Hier helfen Instrumente wie Business Intelligence, wissensbasierte Beschaffungsstrategien auf Materialgruppenebene und ein gutes und wachsames Lieferantenmanagement. Kluge Mittelständler nutzen übrigens die künftig umzusetzenden Verpflichtungen des Lieferkettengesetzes, um auch solche Ziele zu erreichen.

Herr Mademann, vielen Dank für das Gespräch!

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