BGH hat Prüfungspflichten der Suchmaschinenbetreiber erweitert – Jens K. Fusbahn (KÖTZ FUSBAHN Rechtsanwälte)

Interview mit Jens K. Fusbahn
Jens K. Fusbahn ist Partner bei der Kanzlei KÖTZ FUSBAHN Rechtsanwälte. Im Interview spricht der Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz über die Löschung von unliebsamen Beiträgen aus Suchmaschinen sowie die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen im Ausland.

Negative Berichte und Kommentare im Internet sind ein häufiges Ärgernis für Unternehmen. Welche Möglichkeiten gibt es eine Löschung oder Richtigstellung zu erreichen?

Jens Fusbahn: Die angesprochene Rechtsprechung befasst sich mit Pflichten der Suchmaschinenbetreiber. Gegenüber Suchmaschinenbetreibern geht es um Ansprüche auf Auslistung, rechtlich also die Löschung aus den Suchergebnissen bzw. das Unterlassen der weiteren Listung: Richtigstellungen können gegenüber Suchmaschinenbetreibern nicht durchgesetzt werden. Dies ist ein Thema des Presse- und Äußerungsrechts im Verhältnis zur Presse und anderen Content-Lieferanten.

In den neuen Entscheidungen ändert der BGH seine Rechtsprechung, da inzwischen die Datenschutz-Grundverordnung in Kraft getreten ist. Zitat aus der Pressemitteilung Nr. 095/2020  des BGH: „An seiner noch zur Rechtslage vor Inkrafttreten der DS-GVO entwickelten gegenteiligen Rechtsprechung (Senatsurteil vom 27. Februar 2018 – VI ZR 489/16, BGHZ 217, 350, 363 Rn. 36 i.V.m. 370 f. Rn. 52) hält der Senat insoweit nicht fest.“

Die Ansprüche der DS-GVO gelten jedoch nur für natürliche Personen und nicht für Unternehmen. Daher haben diese Entscheidungen keine Auswirkungen auf die Rechte von Unternehmen. Relevant sind diese aber für Ansprüche von Unternehmern und den Personen in Unternehmen.

Unternehmen können gegen negative Berichte und Kommentare mit den klassischen Mitteln des Presse- und Äußerungsrechts vorgehen, gestützt auf das sog. Unternehmenspersönlichkeitsrecht.

Häufig haben die Betreiber der Webseiten ihren Sitz im Ausland. Ist die Durchsetzung einer Löschung dennoch möglich?

Jens Fusbahn: Die Löschung von Suchmaschinentreffern sind Ansprüche, die im Verhältnis zu den Suchmaschinenbetreibern durchgesetzt werden. Diese haben den Sitz ebenfalls im Ausland. Die klageweise Geltendmachung von Rechten von Betroffenen in Deutschland vor deutschen Gerichten ist aber gut möglich.

Gibt es Unterschiede bei der Durchsetzbarkeit deutscher Urteile im EU-Ausland und Nicht-EU-Ausland?

Jens Fusbahn: Die Durchsetzung von deutschen Gerichtsentscheidungen außerhalb der Europäischen Union ist deutlich schwieriger. Die Suchmaschinenbetreiber halten sich aber an gerichtliche Entscheidungen gebunden.

Der BGH hat im Jahr 2014 das „Recht auf Vergessen“ bestätigt. Was ist damit gemeint?

Jens Fusbahn: Die Entscheidung aus 2014 ist die sog. Google-Spain-Entscheidung des EuGH. Darin hat der EuGH entschieden, dass Google unter bestimmten Voraussetzungen und auf Verlangen des Betroffenen Einträge in den Suchergebnislisten mit persönlichen Daten löschen müsse (Urt. v. 13. Mai 2014 C-131/12 – Google Spain).

Ein solches Recht ist inzwischen in der Datenschutz-Grundverordnung normiert:

Die maßgebliche Vorschrift der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) lautet:

Art. 17 Recht auf Löschung („Recht auf Vergessenwerden“)

(1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern einer der folgenden Gründe zutrifft:

a) Die personenbezogenen Daten sind für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig. (…)

c) Die betroffene Person legt gemäß Artikel 21 Absatz 1 Widerspruch gegen die Verarbeitung ein und es liegen keine vorrangigen berechtigten Gründe für die Verarbeitung vor, oder die betroffene Person legt gemäß Artikel 21 Absatz 2 Widerspruch gegen die Verarbeitung ein.

d) Die personenbezogenen Daten wurden unrechtmäßig verarbeitet. (…)

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, soweit die Verarbeitung erforderlich ist

a) zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information (…)

Seit einem BGH-Urteil im Jahr 2018 (BGH, Urteil v. 27.2.2018, Az. VI ZR 489/16) haben Suchmaschinenbetreiber mit Verweis auf fehlende „Kenntnis von einer `offensichtlichen´, auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung“ die Löschung i.d.R. abgelehnt. Wie haben die LG und OLGs auf dieses Urteil reagiert?

Jens Fusbahn: Die Rechtsprechung des BGH bindet die Instanzgerichte; diese haben die Rechtsprechung daher umgesetzt und es war wesentlich schwerer, Suchergebnisse löschen zu lassen. Das Landgericht Frankfurt am Main hat aber bereits im Juni 2019 entscheiden, dass die Anforderungen an einen Prüfungs- und Handlungspflichten des Suchmaschinenbetreibers auslösenden Hinweis des betroffenen in Bezug auf einen „offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverstoß“ nicht so hoch ausfallen dürfen, dass es den betroffenen Personen faktisch nie gelingt, einen diese Pflichten auslösenden Hinweis zu erteilen. Jeder Fall ist also als Einzelfall zu prüfen und zu entscheiden.

Mit der Entscheidung vom 27. Juli 2020 (VI ZR 405/18 und VI ZR 476/18) hat der BGH seine Rechtsprechung geändert. Wie beurteilen Sie die neue Rechtslage?

Jens Fusbahn: Mit den neuen Entscheidungen hat der BGH klargestellt, dass ein Suchmaschinenbetreiber nicht erst dann tätig werden muss, wenn er von einer „offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung“ des Betroffenen Kenntnis erlangt. Eine so hohe Hürde macht es dem Suchmaschinenbetreiber zu leicht, sich jeder rechtlichen Prüfung einfach dadurch zu entziehen, dass der Hinweis als nicht ausreichend bewertet wird, eben diese „Offensichtlichkeit“ und „Erkennbarkeit auf den ersten Blick“ zu gewährleisten.

Dies ist sehr zu begrüßen und erweitert die Prüfungspflichten der Suchmaschinenbetreiber erheblich. Jetzt muss jeder Hinweis, der aus sich heraus verständlich ist, in der Sache geprüft werden.

Zugleich ist aber wichtig hervorzuheben, dass es keine Vermutung eines Vorrangs der Schutzinteressen des (von der Berichterstattung) Betroffenen gibt, sondern es sind die sich gegenüberstehenden Grundrechte gleichberechtigt miteinander abzuwägen.

Es ist also in jedem Einzelfall eine umfassende Grundrechtsabwägung vorzunehmen und zwar auf der Grundlage aller relevanten Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs in die Grundrechte der betroffenen Person einerseits (Art. 7, 8 GRCh), der Grundrechte der Beklagten, der Interessen ihrer Nutzer und der Öffentlichkeit sowie der Grundrechte der Anbieter der in den beanstandeten Ergebnislinks nachgewiesenen Inhalte andererseits (Art. 11, 16 GRCh).

Wie die Suchmaschinenbetreiber damit umgehen, bleibt abzuwarten. Ich erwarte nicht, dass ein „overblocking“ droht, sondern gehe davon aus, dass die Suchmaschinenbetreiber weiter so wenig wie möglich Suchergebnisse tatsächlich auslisten werden. Es wird also weiter notwendig sein, Ansprüche auch anwaltlich und mit gerichtlicher Hilfe durchzusetzen.

Herr Fusbahn, vielen Dank für das Gespräch.

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