Claudia Bärtschi: Sorgerecht – ein breites Themengebiet

Interview mit Claudia Bärtschi
Claudia Bärtschi ist Rechtsanwältin in ihrer Kanzlei in Kassel. Im Interview sprechen wir mit ihr über das gemeinsame Sorgerecht, religiöse Themen sowie Unterhaltsangelegenheiten.

Gemeinsames Sorgerecht bei getrennten Elternteilen wirft oft Fragen auf, wenn Eltern keinen Konsens finden, insbesondere in Bezug auf das Kindswohl. Wem geben die Richter recht, wenn es darum geht, ob das Kind geimpft werden soll oder nicht?

Claudia Bärtschi: Als erstes muss festgestellt werden, dass eine Impfung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist und daher nicht vom betreuenden Elternteil allein entschieden werden kann.

Bei Uneinigkeit der Eltern wird das Gericht daher die Entscheidungsbefugnis zur Impfung einem Elternteil übertragen. Wichtige Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts (STIKO). Der BGH hat in einem wegweisenden Urteil aus 2017 entschieden, dass im Zweifel der STIKO zu folgen sei. Die Gerichte entscheiden daher regelmäßig zugunsten desjenigen Elternteils, welcher der Empfehlungen der STIKO folgen will.

Ob dies für Corona-Schutzimpfungen auch gilt, bleibt abzuwarten. Längerfristige Erfahrungen zu den Nebenwirkungen der Corona-Impfung liegen noch nicht vor und das Impfverfahren mit den mRNA-Impfstoffen ist neuartig. Daher gehe ich davon aus, dass die Familiengerichte sich erstmals zurückhaltend zeigen werden, Kinder gegen den Willen eines Elternteils gegen Corona zu impfen.

Auch religiöse Themen spielen oft eine Rolle. Wie ist zu entscheiden, wenn ein Elternteil das Kind taufen lassen will, der andere aber nicht?

Claudia Bärtschi: Auch die Taufe oder andere religiösen Rituale sind Fragen von erheblicher Bedeutung, welche von beiden Eltern gemeinsam getroffen werden müssen. Erst ab 14 Jahren entscheidet das Kind über seine Religionszugehörigkeit selber. Bei einer gerichtlichen Entscheidung muss das Kindeswohl im Vordergrund stehen. Dazu wird das Gericht in jedem Einzelfall prüfen, welche Entscheidung dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Dabei ist zu beachten, dass religiöse Rituale wie Taufe oder Beschneidung Tatsachen schaffen, welche nicht so leicht rückgängig gemacht werden können. Wenn die Eltern aus verschiedenen Kulturkreisen stammen und das Kind mit beiden Elternteilen Umgang pflegt, geben die Gericht daher in der Regel den Weg nicht frei für eine Taufe gegen den Willen des anderen Elternteils.

Ein Kind in der Grundschule bis 10 Jahre soll auf eine weiterführende Schule, die Eltern können sich aber nicht einigen, ob nach der 4., 5. oder 6. Klasse aufs Gymnasium gewechselt werden soll. Kann das Kind dabei mitentscheiden?

Claudia Bärtschi: In allen sorgerechtlichen Fragen werden die Kinder mit ihren Wünschen und Bedürfnissen einbezogen. Die Entscheidung treffen allerdings die Eltern oder das Gericht. Häufig bestimmt das Gericht einen „Verfahrenspfleger“, welcher die Interessen des Kindes im gerichtlichen Verfahren wahrnimmt. Zusätzlich wird das Kind durch das Jugendamt und den Richter befragt. Je älter das Kind ist, desto stärker wird die Meinung des Kindes gewichtet.

Muss ein unterhaltspflichtiger Vater neben dem Unterhalt auch zusätzliche Beiträge für beispielsweise Sportvereine (Reiten, Tennis) entrichten?

Claudia Bärtschi: Der Kindesunterhalt, welchen der betreuende Elternteil erhält, soll alle laufenden Kosten des Kindes abdecken. Allerdings gibt es Kosten, welche vom laufenden Unterhalt nicht gedeckt werden können. Der Gesetzgeber hat nicht festgelegt, welche Kosten aus dem normalen Unterhalt zu bestreiten sind. Daher gibt es umfangreiche Rechtsprechung zu dieser Frage.

Erstmals ist zu prüfen, ob sich die Eltern einig sind, dass das Kind kostspielige Freizeitaktivitäten, wie z.B. Reit- oder Tennisstunden, ausüben soll. Je nach der finanziellen Situation der Eltern sind diese Kosten aus dem laufenden Unterhalt zu decken oder zusätzlich vom unterhaltspflichtigen Elternteil zu zahlen – in der Regel die Hälfte. Ab monatlichen Mehrkosten von 50-100 € dürfte dies in der Regel der Fall sein.

 

Wenn sich die Eltern räumlich in größere Entfernungen trennen (Umzug in eine andere Stadt), entscheidet dann die Mutter, ob das minderjährige Kind mitgeht oder muss ein Gericht entscheiden, ob der Umzug zulässig ist?

Claudia Bärtschi: Bei einem Umzug ist die Frage, bei welchem Elternteil das Kind zukünftig lebt, oft besonders schmerzhaft. Wenn sich die Eltern nicht einigen können, muss das Gericht eine Entscheidung treffen. Auf keinen Fall darf ein Elternteil ohne Zustimmung des anderen Elternteils mit dem Kind wegziehen. Dies gilt auch, wenn sich die Eltern vorher eigentlich geeinigt haben, dass das Kind z.B. zukünftig bei der Mutter leben soll. Häufig versucht das Gericht mit den Eltern zusammen, eine Lösung zu suchen. Zum Beispiel können sich die Eltern auf ein Umgangsrecht einigen, welches sich hauptsächlich auf die Feiertage und Schulferien konzentriert. Denkbar sind auf regelmäßige Telefontermine mit dem anderen Elternteil.

Wie sieht es mit der Urlaubsregelung aus, wenn die Eltern sich nicht entscheiden können, wann das Kind mit wem verreist? Gibt es eine klare Regelung oder muss jedes Mal neu entschieden werden?

Claudia Bärtschi: In der Regel sind getrenntlebende Eltern in der Lage, sich zum Umgang mit ihren Kindern zu einigen. Dies betrifft auch die Urlaubszeiten. Wenn dies nicht gelingt, kann die Hilfe des Jugendamts in Anspruch genommen werden oder das Gericht um Entscheidung gebeten werden. Dabei gibt es keine vorgegebenen Regelungen, sondern das Gericht versucht, mit den Eltern zusammen eine individuelle passende Lösung zu erarbeiten. Häufig reicht es aus, den kurz bevorstehenden Urlaub zu regeln. Manchmal ist es sinnvoll, eine allgemein gültige Regelung für mehrere Jahre zu finden, in der Hoffnung, belastende Streitigkeiten zwischen den Eltern in der Zukunft zu vermeiden. Ziel der gerichtlichen Verfahren um Umgang und Sorgerecht ist es immer, den Eltern Unterstützung zu bieten, die Verantwortung für ihre Kinder in Zukunft selber wahrnehmen. Häufig wird den Eltern nahegelegt, gemeinsam Erziehungsberatungsstellen aufzusuchen, damit sie Wege finden können, streitige Fragen selber zu klären. Zudem werden die meisten Sorge- und Umgangsverfahren mit Vereinbarungen beendet, mit welchen beide Eltern leben können.

Frau Bärtschi, vielen Dank für das Gespräch!

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