Dr. Anke Busch: Grundsätzlich sind beide Elternteile Inhaber der elterlichen Sorge

Interview mit Dr. Anke Busch
Dr. Anke Busch ist Rechtsanwältin in der Kanzlei TGH Thomas Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB. Mit ihr sprechen wir über Aufenthaltsbestimmungsrecht, Kindeswille sowie elterliche Vorsorge.

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ergibt sich aus §1631 BGB und ist Teil des Sorgerechts. Was darf der Elternteil mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht?

Dr. Anke Busch: Derjenige Elternteil, der das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ein Kind hat, darf darüber bestimmen, an welchem Wohnort und in welcher Wohnung das Kind lebt. Grundsätzlich sind auch im Falle einer Trennung beide Elternteile weiterhin Inhaber der elterlichen Sorge und insoweit auch Inhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Die Eltern können dann in gemeinschaftlicher Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts festlegen, bei welchem Elternteil und an welchem Ort das Kind lebt. Möglich ist auch, dass ein Wohnort bei Dritten (z. B. in einem Internat oder bei den Großeltern) festgelegt wird. Nur wenn eine Einigung zwischen den sorgeberechtigten Eltern über den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes nicht erzielt werden kann, muss das Aufenthaltsbestimmungsrecht als Teilbereich der elterlichen Sorge auf ein Elternteil übertragen werden. Dieser kann dann frei darüber entscheiden, wo und mit wem das Kind leben soll. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht eines Elternteils kann nicht dahingehend eingeschränkt werden, dass nur bestimmte Entscheidungen zum Wohn- oder Aufenthaltsort möglich wären. Der Elternteil, der das Aufenthaltsbestimmungsrecht hat, kann somit auch mit dem Kind umziehen, ohne dass der andere Elternteil zustimmen muss.

Im Wesentlichen regelt bei solch einem Gerichtsurteil ein Sachverständigengutachten den Aufenthalt des Kindes. Spielt der Kindeswille überhaupt eine Rolle?

Dr. Anke Busch: Wenn die Eltern sich nicht darüber einigen können, wo und bei wem das Kind in Zukunft seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben soll, muss das Gericht umfassend überprüfen, welche Entscheidung im Sinne des Kindeswohls für das Kind am besten wäre. Da im Rahmen einer solchen Entscheidung meist psychologische Gesichtspunkte eine Rolle spielen, holt das Gericht in der Tat oft fachkundigen Rat durch entsprechende Sachverständige ein. Bei der sachverständigen Begutachtung kommt es neben der allgemeinen Erziehungsfähigkeit der Eltern, ihren Förder- und Betreuungsmöglichkeiten und ihrer Bindungstoleranz ganz wesentlich auch auf die Bindungen an, die das Kind zu den Eltern und zu anderen nahestehenden Personen (z.B. den Geschwistern) hat. Der Kindeswille ist letztlich die verbale Äußerung des Kindes zu den Bindungen, die es zu den Eltern hat. Das Gewicht, dass dem Kindeswillen zukommt, hängt im Wesentlichen von der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes, seinem Alter, den zu ermittelnden Motiven des Kindes und seiner geistigen Reife ab. Je älter ein Kind ist, desto bedeutsamer wird sein Wille. Wenn beide Eltern in gleicher Weise erziehungsfähig sind und auch im Übrigen in gleicher Weise geeignet sind, sich umfassend um das Kind zu kümmern, fällt der Kindeswille besonders nachhaltig ins Gewicht. Gleichwohl dürfen weder Sachverständige noch Gericht übersehen, dass der Kindeswille auch beeinflusst werden kann, was ebenfalls genau zu überprüfen ist. Das Gericht ist außerdem in allen Fällen, in denen das Kind sich zumindest ein wenig äußern kann, verpflichtet, sich einen persönlichen Eindruck vom Kind zu machen, um dessen Willen zu hören und Rückschlüsse auf seine Bindungen ziehen zu können. Selbst dreijährige Kinder müssen schon angehört werden.

Welche Rolle spielt das Kindeswohl im Gerichtsurteil?

Dr. Anke Busch: Das Kindeswohl spielt eine zentrale Rolle in Gerichtsurteilen zum Aufenthaltsbestimmungsrecht. Das Gericht hat seine Entscheidung am Kindeswohl auszurichten. Insoweit kommt es ganz wesentlich darauf an, wer das Kind am besten fördern kann, wer es am besten betreuen kann, wer die Bindungen des Kindes auch zum anderen Elternteil am besten wahren kann, wer für Kontinuität im Alltag steht und wer auch die Bindungen zu anderen Menschen, die dem Kind wichtig sind, am besten unterstützt. Die Frage des Kindeswohls spielt auch dann die entscheidende Rolle, wenn der geäußerte Kindeswille nach objektiven Kriterien nicht mit seinem Wohl in Einklang zu bringen ist. Das kann z. B. der Fall sein, wenn ein Kind aufgrund seines Alters oder seiner Reife nicht erkennen kann, dass der Elternteil, bei dem es leben möchte, objektiv zur Erziehung nicht in der Lage ist.

Landläufig ist die Vorstellung, dass eine Aufenthaltsbestimmung leicht geändert werden kann. Warum ist es aber in der Realität so schwer, wenn es schon einen gerichtlichen Entscheid zur elterlichen Vorsorge gibt?

Dr. Anke Busch: Kinder benötigen in ihrem Leben Kontinuität und Sicherheit, wie es weitergeht. Es ist somit anerkannt, dass ein ständiger Aufenthaltswechsel eines Kindes sich nicht mit dem Kindeswohl vereinbaren lässt. Vor diesem Hintergrund sollen ständige Wechsel zum Aufenthaltsort möglichst vermieden werden. Wenn es aber triftige Gründe gibt, die das Wohl des Kindes nachhaltig beeinträchtigen können, kann eine Abänderung einer gerichtlichen Entscheidung verlangt werden (§ 1696 BGB). Einvernehmlich können Eltern allerdings untereinander auch anderweitige Regelungen treffen.      

Doch die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ist nicht immer unmöglich. In welchen Fällen kann eine Aufenthaltsbestimmung auf den anderen Elternteil übertragen werden?

Dr. Anke Busch: Eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts kann immer erfolgen, wenn die Eltern sich einig sind, es sei denn, das Kind ist mindestens 14 Jahre alt und widerspricht der Übertragung. Des Weiteren kann gem. § 1696 BGB auf Antrag eines Elternteils überprüft werden, ob aus Gründen der Kindeswohlgefährdung eine Änderung der Entscheidung erforderlich ist, weil sich wesentliche Umstände geändert haben, die der ursprünglichen Entscheidung zugrunde lagen. Darüber hinaus kann eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den anderen Elternteil auch von Amts wegen erfolgen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes beim betreuenden Elternteil akut gefährdet sind und der betreuende Elternteil nicht in der Lage oder Willen ist, Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr zu treffen. Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meinen Antworten weiterhelfen konnte und Sie hiermit arbeiten können.

Frau Dr. Busch, vielen Dank für das Gespräch!

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