Dr. Daniel Siegel: Die Kündigung darf nicht sittenwidrig sein

Interview mit Dr. Daniel Siegel
Dr. Daniel Siegel ist Fachkoordinator Financial Services im Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. Mit ihm sprechen wir über Kontoführungsgebühren, Kündigung eines Bankkontos sowie Bildung von Rückstellungen.

Der BGH hat im April entschieden, dass Banken immer bei Änderungen der AGB eine Zustimmung der Kunden einholen müssen. Welche Auswirkungen hat das Urteil bezüglich der Kontogebühren?

Dr. Daniel Siegel: Die Auswirkungen hängen davon ab, ob die erhobenen Kontoführungsgebühren auf einer vertraglichen Grundlage beruhen, der der Kunde aktiv zugestimmt hat (entweder bei Abschluss des Kontovertrags oder im Nachhinein) oder ob die (ggf. höheren) Gebühren auf einer Änderung des Vertrages beruhen, denen der Kunde nicht aktiv zugestimmt hat (die beanstandeten AGB-Klauseln). Die Auswirkungen des Urteils auf die Kontoführungsgebühren können dem-nach für den einzelnen Kunden unterschiedlich ausfallen. Hat ein Kunde beispielsweise nach der letzten Preisanpassung sein Konto eröffnet, gelten die im Kontovertrag genannten Preise für diesen fort. Bei langjährigen Bestandskunden können hingegen auch mehrere Gebührenerhöhungen unwirksam sein. So sind ggf. auch Gebührenerhöhungen unwirksam, die auf Zeiträume entfallen, die vor dem Jahr 2018 (Verjährungsfrist für Rückforderungen) liegen.

Können sich jetzt alle Bankkunden über niedrigere Gebühren freuen?

Dr. Daniel Siegel: Nein. Soweit die Gebührenerhebung auf vertraglichen Grundlagen beruht, denen der Kunde aktiv zugestimmt hat, gelten diese fort. Zudem ist davon auszugehen, dass Banken künftig entsprechende Gebührenerhöhungen vornehmen werden. Einige Banken haben bekanntlich bereits angekündigt, die Geschäftsbeziehungen bei fehlender Zustimmung zu beenden.

Was können Bankkunden gegen Kreditinstitute tun, die in der Vergangenheit zu hohe Gebühren verlangt haben?

Dr. Daniel Siegel: Soweit das einzelne Kreditinstitut Gebühren, die auf einer nicht rechtswirksam geschlossenen Vereinbarung beruhen, nicht von sich aus zurückzahlt, steht es den Kunden offen, diese Gebühren von ihrem Kreditinstitut zurückzufordern. Soweit das Kreditinstitut die Auszahlung verweigert, stehen den Kunden verschiedene Wege offen:

•          Beschwerde beim Ombudsmann,

•          Beschwerde bei der BaFin,

•          Klageweise Geltendmachung von Rückzahlungsansprüchen.

Einige Banken reagieren auf Klagen mit Kontokündigungen. Sind die Kündigungen rechtswirksam?

Dr. Daniel Siegel: Die Kündigung eines Bankkontos durch das Kreditinstitut ist nach den AGB der Banken und Sparkassen grundsätzlich jederzeit unter Einhaltung einer angemessenen Frist zulässig. Ein sachlicher oder wichtiger Grund für die Kündigung ist also nicht erforderlich. Dies gilt selbst-redend vorbehaltlich abweichender vertraglicher Vereinbarungen. Bei der Bemessung der Kündigungsfrist müssen jedoch die berechtigten Belange des Bankkunden berücksichtigt werden. Zudem darf die Kündigung nicht sittenwidrig sein.

Die Finanzlobby hat gegenüber der Bundesregierung beklagt, dass den Banken hohe Belastungen drohen. Ist das Wolfsgejammer oder eine berechtigte Sorge?

Dr. Daniel Siegel: Die konkreten Auswirkungen für das einzelne Institut sind abhängig von den jeweiligen vertraglichen Gegebenheiten und dem individuellen Geschäftsmodell. Bei der Betrachtung der Auswirkungen kann jedoch eine Differenzierung im Hinblick auf die Rückzahlung von Gebühren und fehlende zukünftige Erträge vorgenommen werden.

Für die Rückzahlung von Gebühren, die auf einer Vereinbarung beruhen, denen der Kunde nicht zugestimmt hat, erwarten wir die Bildung von Rückstellungen, die bei einigen Instituten durchaus signifikant ausfallen können. Das wird nun die weitere Analyse der Auswirkungen des BGH-Urteils zeigen, die sich der jeweilige Wirtschaftsprüfer genau ansehen wird. Dabei wird der Abschlussprüfer auch untersuchen, ob die erforderlichen Schätzungen des Instituts angemessen vorsichtig ausfallen.

Gleichzeitig wird die Ertragslage der Kreditinstitute dadurch negativ beeinflusst, dass der Differenzbetrag zwischen unwirksam erhöhten und rechtlich „sicheren“ Gebühren grundsätzlich nicht erfolgswirksam vereinnahmt werden darf. Zudem ist mit einer höheren Wechselbereitschaft der Kunden bei zukünftigen Gebührenerhöhungen zu rechnen. Außerdem verursacht das nun notwendige und deutlich aufwändigere Verfahren der aktiven Zustimmung bei Gebührenänderungen zusätzliche Kosten. Eine verminderte Vermögens-, Finanz- und Ertragslage bedingt i.d.R. auch verminderte Risikobudgets im Rahmen der Gesamtbanksteuerung. Dies könnte die Möglichkeiten der Kreditinstitute beeinträchtigen, Kredite zu vergeben. In der Folge könnte sich die Ertragslage ggf. auch durch niedrigere künftige Zinserträge verschlechtern.

Könnten einige Banken durch das BGH-Urteil tatsächlich in finanzielle Schieflage geraten?

Dr. Daniel Siegel: Konkrete Informationen liegen uns hierzu nicht vor. Zum Halbjahr haben wir gesehen, dass Institute auf Basis von Schätzungen Rückstellungen bilden. Abhängig von den individuellen Gegebenheiten können sich ggf. für einzelne Kreditinstitute signifikantere Auswirkungen ergeben.

Herr Siegel, vielen Dank für das Gespräch!

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