Dr. Jan Baumann: „Einen 100%igen Schutz vor Abmahnungen gibt es nicht“

Interview mit Dr. Jan Baumann
Wir sprechen mit Rechtsanwalt Dr. Jan Baumann, Fachanwalt für Informationstechnologierecht der Kanzlei Baumann & Heising in Berlin Charlottenburg, über das Thema Massenabmahnungen.

Massenabmahnungen sorgen immer wieder für Aufsehen und Ärger bei den Betroffenen. Was sollten Unternehmen und Privatpersonen unternehmen, wenn eine Abmahnung im Briefkasten liegt?

Dr. Jan Baumann: Auch wenn es abgedroschen klingen mag: die Ruhe bewahren. Der Tonfall ist fordernd, teils drohend und oft werden äußerst knappe Fristen gesetzt, so dass der Erhalt einer Abmahnung in der Regel erst einmal zumindest zu Verunsicherung führt. Aufgrund der Fristsetzung sollte die Abmahnung auch nicht erst einmal beiseitegelegt werden, sondern schnellstmöglich anwaltlicher Rat eingeholt werden. Das Einschalten eines auf Wettbewerbsrecht spezialisierten Anwalts empfiehlt sich auch in den Fällen, in denen die Abmahnung berechtigt ist. Denn zum einen sollte eine vorformulierte Erklärung, wie die geforderte Unterlassungserklärung, nicht ohne vorherige Prüfung angegeben werden, zum anderen bestehen meist gewisse Spielräume, die ansonsten ungenutzt bleiben würden. Es ist zudem oft möglich, die knapp gesetzten Fristen verlängern zu lassen und den Vorwurf aufzuarbeiten und eine Verteidigungsstrategie auszuarbeiten. Unbedingt ist zu bedenken, dass es bei Massenabmahnungen nicht wirklich um die eigentliche Abmahnung geht, sondern darum, das – vorschnell – abgegebene Vertragsstrafeversprechen auszunutzen. Die Abgabe einer vermeintlich kostengünstigen Unterlassungserklärung kann sich noch nach Jahren als Kostenfalle herausstellen, wenn wegen eines ähnlichen Verstoßes Vertragsstrafen fällig werden.

Welches sind die häufigsten Fälle, aus denen abgemahnt wird?

Dr. Jan Baumann: Die häufigsten Abmahnungen im eCommerce betreffen z.B. fehlende oder fehlerhafte (Verbraucher-)Informationspflichten und Belehrungen, unvollständige Angaben im Impressum, Grundpreisangaben, Verstöße gegen das Verpackungsgesetz und lebensmittelrechtliche Vorgaben und nicht verlinkte Garantiebedingungen. Oft werden auch fehlende Links zur Streitbeilegungsplattform oder – man mag es kaum glauben – deren fehlende Klickbarkeit abgemahnt. Außerhalb des Onlinehandels sind es meist irreführende Werbeaussagen oder Marken- und Designrechtsverstöße. Aber auch Verstöße gegen die Rückkehrverpflichtung von Mietwagen bei Personenbeförderungen, wie sie von Fahrdienstleistern wie UBER angeboten werden, werden regelmäßig abgemahnt. Privatpersonen werden immer wieder wegen Urheberrechtsverletzungen im Internet, wie z.B. beim Filesharing oder unerlaubter Fotonutzung, abgemahnt.

Lassen sich ungerechtfertigte Massenschreiben auf Anhieb identifizieren oder ist immer anwaltlicher Rat notwendig?

Dr. Jan Baumann: Grundsätzlich sollte wegen des eingangs Gesagten immer anwaltlicher Rat eingeholt werden. Zum einen sind „Massenabmahnungen“ nicht immer auf den ersten Blick zu identifizieren, zum anderen macht allein der Umstand, dass eine Abmahnung massenhaft ausgesprochen wurde, diese noch nicht unzulässig. Allein aus der Verwendung von Textbausteinen, unpersönlichen Ansprachen und dem auch sonst eher auf Masse getrimmten Charakter der Abmahnung folgt noch nicht deren Unzulässigkeit. Denn auch massenhaft begangene Wettbewerbsverstöße berechtigen zur Abmahnung, in dem Fall dann auch zur Massenabmahnung. Aus diesem Grund sind immer eine Einzelfallprüfung und eine Aufarbeitung des vorgeworfenen Verhaltens erforderlich.  Auch kann eine Abmahnung immer zum Anlass genommen werden, die eigenen Webseiten, Werbematerialien und Produktangebote einer wettbewerbsrechtlichen Prüfung zu unterziehen. So können neben dem unberechtigt abgemahnten Verhalten auch tatsächliche Verstöße identifiziert und so einer berechtigten Abmahnung zuvorgekommen werden.

Ist es notwendig bei ungerechtfertigten Abmahnschreiben zu handeln?

Dr. Jan Baumann: Nur, wenn der Abmahnung ihre Unzulässigkeit quasi auf die Stirn geschrieben steht, kann man die Abmahnung tatsächlich einfach ignorieren. Hierbei muss man aber bedenken, dass der Abmahnende meistens dennoch weitere Schritte, wie ein einstweiliges Verfügungsverfahren, einleiten wird. Spätestens wenn sich der Abgemahnte einer Vollstreckungsmaßnahme ausgesetzt sieht, wird er reagieren (müssen). Dies wird Kosten nach sich ziehen, die nicht immer der Gegenseite auferlegt werden können. Grundsätzlich gehört es nämlich zum allgemeinen Lebensrisiko, auch ungerechtfertigt in Anspruch genommen zu werden, weswegen eine Verteidigung gegen eine ungerechtfertigte Abmahnung erst einmal keine Kostenerstattungsansprüche gegenüber des Abmahnenden auslöst. Dies wird sich in Zukunft ändern, da im Wettbewerbsrecht ein Kostenerstattungsanspruch im Falle der ungerechtfertigten Abmahnung zugesprochen werden wird. Dennoch sollte aufgrund des ansonsten bestehenden Kostenrisikos und der Gefahr, dass doch etwas an der Abmahnung dran ist, anwaltlicher Rat eingeholt werden.

Wie sollte vorgegangen werden, wenn der Grund der Abmahnung korrekt ist? Wer trägt in diesen Fällen die Kosten?

Dr. Jan Baumann: In diesem Fall geht es in erster Linie um Schadensbegrenzung. Durch Verhandlungen sollte versucht werden, den Streitwert zu drücken und die – sofern bezifferten – Vertragsstrafen zu reduzieren. In jedem Fall ist das wettbewerbswidrige Verhalten abzustellen. Dies stellt meist die größere Baustelle dar, da es zum Teil das Umstellen ganzer Geschäftsmodelle oder zumindest Geschäftsprozesse bedeuten kann. Denn ist die geforderte Unterlassungserklärung mit Vertragsstrafeversprechen erst einmal abgegeben, beginnt der Abmahnende meist erst richtig mit seiner Suche nach weiteren – für ihn nun – lukrativen gleichartigen Verstößen. Erfüllt daher z.B. ein Marketplace-Händler auf Amazon nicht alle Informationspflichten, wird der Abmahnende nach Erhalt der Unterlassungserklärung auch bei dessen Händlerprofil auf eBay etc. nach demselben Verstoß suchen. Daher ist vor Abgabe irgendeiner Erklärung das eigene Geschäftsverhalten gründlich zu prüfen und es sind sämtliche Verstöße abzustellen. Gleiches gilt bei der Verwendung fremder Inhalte, wie Fotografien und Grafiken. Hier sind sämtliche Veröffentlichungen der unrechtmäßig verwendeten Bilder zu löschen. Oft werden dabei die eigenen Social-Media-Kanäle übersehen. Die Kosten trägt der Abgemahnte. Dies sind neben den Abmahnkosten auch die eigenen Anwaltskosten. Hinzukommen können zudem Gerichtskosten, die ebenfalls der Abgemahnte zu tragen haben wird.

Wie lassen sich die typischen Abmahngründe im Vorfeld vermeiden?

Dr. Jan Baumann: Einen 100%igen Schutz vor Abmahnungen gibt es nicht. Das Risiko kann man jedoch stark minimieren, indem man seine Webseiten und Werbemittel auf rechtliche Fehler überprüfen lässt und aktuell gültige und vollständige Rechtstexte verwendet. Gerade hinsichtlich der eingangs genannten „Klassiker“ kann eine rechtliche Prüfung bestehender Webseiten mit einem überschaubaren Aufwand erfolgen. Problematisch sind hingegen dynamische und ständig neue Inhalte. Wer wirklich sichergehen will, lässt jede Produktbeschreibung eines neu auf der Webseite veröffentlichten Produktes und jeden Werbetext von einem Anwalt freigeben und schult bzw. sensibilisiert seine Mitarbeiter entsprechend.

Herr Dr. Baumann, vielen Dank für das Gespräch.

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