Dr. Jochen Blöse: Beim AGB-Recht handelt es sich um ein vergleichsweise dynamisches Rechtsgebiet

Interview mit Dr. Jochen Blöse
Dr. Jochen Blöse ist Rechtsanwalt in seiner Kanzlei Jacobs & Dr. Blöse in Troisdorf. Mit ihm sprechen wir über AGB-Recht, Vertragsgestaltung sowie Vorteil von Unternehmen.

Kaum eine Rechtsmaterie ist so bedeutend wie das AGB-Recht. Die AGB sind wohl der am häufigsten verwendete Bestandteil der Vertragsgestaltung. Was ist der Sinn und Zweck von den AGB?

Dr. Jochen Blöse: Die Rechtsbeziehungen zwischen Vertragsparteien beurteilen sich zunächst nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen. Wird z. B. ein Kaufvertrag geschlossen und nichts anderes geregelt als Kaufgegenstand und Kaufpreis, so regeln sich alle rechtlichen Rahmenbedingungen dieses Kaufvertrages nach den anwendbaren gesetzlichen Vorschriften, insbesondere den § 433 ff. BGB. Wollen die Vertragsparteien jedoch, dass nicht die gesetzlichen Regelungen, sondern individuell auf ihr Vertragsverhältnis zugeschnittene Bestimmungen gelten, so können sie auf Grundlage des das deutsche Zivilrecht beherrschenden Grundsatzes der Privatautonomie Vereinbarungen treffen, die die gesetzlichen Bestimmungen – im Rahmen des rechtlich Zulässigen – verdrängen. Sinn und Zweck von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und in gleicher Weise von Formularverträgen, auf die die AGB-rechtlichen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB ebenfalls anwendbar sind – ist es nun, vorformulierte Regelungen für die vertraglichen Vereinbarungen zu liefern. Dies bietet einerseits einen Effizienzvorteil, da durch die Verwendung von Formularverträgen und AGB nicht jeweils aufs Neue vertragliche Regelungen formuliert werden müssen.  Andererseits und vor allem sind Formularverträge und AGB für ihren Verwender aber zugleich ein Instrument, die eigene rechtliche Situation im Vertragsverhältnis vorteilhaft zu gestalten. AGB dienen deshalb dazu, Regelungen in das Vertragsverhältnis einzubeziehen, durch die insbesondere die Interessen des AGB-Verwenders gewahrt werden.

Eine gesetzliche AGB-Pflicht gibt es in Deutschland nicht, doch sind sie für Unternehmen nahezu unverzichtbar. Wie genau profitieren Unternehmen von den AGB?

Dr. Jochen Blöse: Der Vorteil von Unternehmen, die AGB verwenden, liegt genau in der vorerwähnten Möglichkeit, die Vertragsbeziehungen inhaltlich vorteilhaft auszugestalten. Ein gutes Beispiel dafür sind Verjährungsvorschriften, insbesondere Gewährleistungsfristen. Hier ist es regelmäßig das Bemühen des Verkäufers, Werkunternehmers usw. eine Regelung vorzusehen, durch die der Zeitraum, nach dessen Ablauf eine Verjährung eintritt, so kurz wie möglich gehalten wird. Umgekehrt geht das Interesse des Käufers, Bestellers etc. genau in die Gegenrichtung, dieser möchte, dass Verjährung so spät wie möglich eintritt.

Aber auch im Bereich der eigentlichen Leistungserbringung können AGB und Formularverträge hilfreich sein. So kann z. B. in ihnen auch geregelt werden, welche Mitwirkungspflichten der Vertragspartner des AGB-Verwenders hat. In diesen Fällen geht es dann in erster Linie nicht um eine vertragliche Abänderung der gesetzlichen Regelungen, sondern darum, die Vertragspflichten des Vertragspartners zu gestalten. Dies geschieht dann natürlich wiederum in einer Art, die für den AGB-Verwender Vorteile mit sich bringt.

Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass für ein Unternehmen, das AGB/Formularverträge verwendet, zwei Vorteile bestehen. Zum einen werden ungünstige gesetzliche Regelungen abbedungen oder zumindest abgeschwächt und zum anderen wird der Vertragsinhalt für den Verwender günstig gestaltet.

Pflegen Unternehmen Geschäftsbeziehungen zu anderen Unternehmen, und eines davon hat keine eigenen AGB, so gelten automatisch die Geschäftsbedingungen des Geschäftspartners. Warum ist das meist schlecht, und wie können sich Unternehmen vor Nachteilen durch die AGB des anderen schützen?

Dr. Jochen Blöse: Hinsichtlich dieser Frage ist zunächst klarzustellen, dass nicht automatisch die AGB des Geschäftspartners gelten. Voraussetzung dafür, dass AGB den Inhalt einer Vertragsbeziehung gestalten, ist, dass die AGB wirksam in das Vertragsverhältnis einbezogen sind. Zwar sind die Anforderungen an die wirksame Einbeziehung von AGB geringer, wenn ein Verbraucher an dem Rechtsgeschäft nicht beteiligt ist, jedoch gilt auch zwischen Unternehmen kein Automatismus des Einbezugs von AGB. Sind jedoch die AGB des anderen Vertragspartners wirksam in die Geschäftsbeziehung einbezogen, so gilt das vorstehend unter 2. Ausgeführte in umgekehrter Weise. Dies bedeutet, dass die Vorteile, die der Verwender mit seinen AGB zu erzielen sucht, spiegelbildlich zu Nachteilen für den Vertragspartner – also den so genannten AGB-Gegner – führen. Für die vorstehend genannten Beispiele bedeutet dies, dass in den AGBs eines Verkäufers Verjährungsfristen verkürzt werden und denen eines Käufers diesen Fristen verlängert werden. Die andere Vertragspartei hat mit anderen Worten weniger Zeit, ihre Ansprüche geltend zu machen oder sieht sich über einen längeren Zeitraum der Inanspruchnahme durch den AGB-Verwender ausgesetzt. Bei AGB-Regelungen, die die Leistungspflichten betreffen, wird es regelmäßig so sein, dass die Pflichten des AGB-Gegners tendenziell ausgedehnt werden, während die des AGB-Verwenders möglichst beschränkt werden. Da im Grundsatz gilt, dass der AGB-Verwender darauf abzielt, die eigene Rechtsposition durch die AGB möglichst zu verbessern und dies eben mit einer Verschlechterung der Position des Vertragspartners korrespondiert, sollte jedes Unternehmen, selbst dann, wenn es eigene AGB nicht verwenden möchte, darauf achten, dass es zumindest standardmäßig eine so genannte Abwehrklausel vorsieht, also eine Regelung, nach der fremde AGB ausdrücklich nicht Teil der Rechtsbeziehung zwischen den Parteien werden sollen. Dies kann entweder individualvertraglich vereinbart oder auch vorformuliert werden. Letzteres bedeutet dann, dass zumindest diese eine Klausel AGB darstellen.

Was muss man beachten, wenn man AGB verwenden möchte und woher bekommt man rechtssichere AGB?

Dr. Jochen Blöse: Will man seine Vertragsbeziehungen durch AGB gestalten, so sind zwei unterschiedliche Dinge zu beachten: Zum einen müssen die AGB wirksam in den Vertrag einbezogen werden, zum anderen müssen die AGB auch inhaltlich wirksam sein. Hinsichtlich der Einbeziehung ist zu unterscheiden, ob der AGB-Gegner Verbraucher oder Unternehmer ist. Gegenüber einem Verbraucher ist zur Einbeziehung einerseits der ausdrückliche Hinweis auf die AGB und andererseits die Möglichkeit von deren Kenntnisnahme Voraussetzung (§ 305 Abs. 2 BGB). Beides – also sowohl der ausdrückliche Hinwies als auch die Möglichkeit der Kenntnisnahme – muss bei Vertragsschluss gegeben sein. Hier werden häufig Fehler gemacht, da vielfach AGB erst mit der Auftragsbestätigung versandt werden. Dies ist jedoch zu spät, da dann die Erklärung des Verbrauchers, die zum Abschluss des Vertrages führt, bereits abgegeben worden ist und also der Hinweis auf die Geltung der AGB und die Möglichkeit von deren Kenntnisnahme nicht zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem der Verbraucher sich Gedanken darüber machen konnte, ob er einen Vertrag tatsächlich abschließen möchte, bei dem die AGB seines Vertragspartners eine Rolle spielen sollen. Das Erfordernis des Hinweises und der Kenntnisnahme bei Vertragsschluss dient aber gerade dazu, dem Verbraucher die Möglichkeit zu geben, bei seiner Entscheidung zum Abschluss eines Vertrages die AGB zu berücksichtigen. Der Hinweis auf die Geltung der AGB muss grundsätzlich ausdrücklich erfolgen, was bedeutet, dass er so angeordnet und gestaltet sein muss, dass er von einem Durchschnittskunden auch bei flüchtiger Betrachtung nicht übersehen wird. Hinsichtlich der Möglichkeit der Kenntnisnahme gilt, dass diese Voraussetzung am einfachsten durch Übersendung der AGB eingeräumt wird. Bei einem Vertragsschluss im Internet ist Voraussetzung, dass auf der Bestellseite ein gut sichtbarer Link angebracht wird, unter dem die AGB aufgerufen und ausgedruckt werden können. Ist AGB-Gegner ein anderer Unternehmer, so gelten geringere Anforderungen. So gilt insbesondere, dass dann, wenn der Verwender in einer Auftragsbestätigung auf seine AGB Bezug nimmt – was wie ausgeführt im Verhältnis zu einem Verbraucher nicht ausreichend wäre für eine Einbeziehung – diese AGB Vertragsinhalt werden, wenn der AGB-Gegner die vertragsgegenständliche Leistung widerspruchslos entgegennimmt. Hinsichtlich der Möglichkeit der Kenntnisnahme ist ausreichend, dass darauf hingewiesen wird, dass die AGB auf Wunsch übersandt werden. Zudem gilt, dass überraschende oder mehrdeutige Klauseln nicht Vertragsbestandteil werden. Überraschend ist eine Klausel dann, wenn sie einen objektiv ungewöhnlichen Regelungsinhalt hat, was nach den Gesamtumständen des konkreten Vertrages zu beurteilen ist. Beispiele aus der Rechtsprechung für solche Klauseln sind eine Verzinsungspflicht des Kaufpreises für einen vor dem Vertragsschluss liegenden Zeitpunkt oder ein Abfindungsanspruch für den Vermieter in Höhe einer Monatsmiete bei vorzeitiger Beendigung des Mietvertrages auf Wunsch des Mieters. Unklar oder mehrdeutig ist eine Klausel, wenn auch nach dem alle Auslegungsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden, immer noch Streit über die tatsächliche Bedeutung der Klausel bestehen kann. Schließlich muss die Klausel einer Inhaltskontrolle standhalten. Für AGB, die gegenüber Verbrauchern verwendet werden, sehen die §§ 308 und 309 BGB eine Reihe von AGB-Inhalten vor, die regelmäßig unwirksam sind. Ganz allgemein, d. h. nicht nur gegenüber Verbrauchern, sondern auch gegenüber anderen Unternehmen gilt die Generalklausel des § 307 BGB. Danach sind AGB-Regelungen unwirksam, die eine unangemessene Benachteiligung des AGB-Gegners darstellen. Davon ist dann auszugehen, wenn eine solche Regelung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder wenn wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, derartig eingeschränkt werden, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Unwirksam ist danach z. B. eine kaufvertragliche Regelung, nach der Rücksendekosten auch dann zu tragen sind, wenn berechtigterweise der Rücktritt vom Vertrag erklärt wird. Ein anderes Bespiel ist die zeitliche Beschränkung des Rücktrittsrechts beim Neuwagenkauf. So hat die Rechtsprechung eine Klausel für unwirksam erachtet, nach der ein Käufer erst vier Monate nach Auftreten eines Mangels vom Vertrag zurücktreten können soll. Die Frage, wie ein Unternehmen am besten zu passenden AGB kommt, ist zunächst so zu beantworten, wie man es nicht macht: Die unkritische Übernahme von im Internet kursierenden Mustern führt vielfach nicht dazu, dass die Ziele erreicht werden, die mit der Verwendung von AGB gesetzt werden. Passgenaue AGB oder Formularverträge setzen voraus, dass die Art der Geschäftsbeziehungen, die der AGB-Verwender begründet, und insbesondere die von ihm erbrachten Leistungen sowie die sich aus den Leistungen ergebenden gesetzlichen Rahmenbedingungen genau analysiert werden. Erst diese Analyse ergibt, inwieweit die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den AGB-Verwender eher ungünstig sind und welche Regelungsgegenstände daher in den AGB zu behandeln sind. Die Analyse und auf ihr basierend die Formulierung geeigneter Regelungen bedarf der juristischen Expertise, so dass immer zu empfehlen ist, geeigneten Rechtsrat einzuholen. Diesen bieten z. B. im AGB-Recht tätige Anwälte an.

Welche Konsequenzen drohen bei fehlerhaften AGB und unwirksamen Klauseln?

Dr. Jochen Blöse: Sind AGB nicht wirksam in den Vertrag einbezogen oder genügen sie inhaltlichen Anforderungen nicht, so beurteilt sich die Rechtsbeziehung auf Basis des sonstigen Vertragsinhalts und der einschlägigen gesetzlichen Regelungen. Das bedeutet, dass der mit der Verwendung der AGB erfolgte Zweck, die eigene Rechtsposition günstiger zu gestalten, nicht erreicht werden kann. Geht es um die inhaltliche Unwirksamkeit von AGB, so ist zu berücksichtigen, dass jede Klausel für sich zu beurteilen ist. Hier kann es vorkommen, dass AGB auch solche Regelungen enthalten, die für den AGB-Gegner tendenziell günstig sind, während andere Regelungen ausschließlich den Interessen des AGB-Verwenders dienen. Mitunter werden solche Gestaltungen gewählt, weil AGB-Regelungen immer in einer Gesamtschau des Vertrages zu beurteilen sind, d. h. mitunter können die nachteiligen Wirkungen einer AGB-Klausel durch korrespondierende den Vertragspartner begünstigende Regelungen ausgeglichen werden, so dass im Ergebnis auch die nachteiligen Regelungen wirksam sein können. Ist bei der Formulierung der AGB eine solche Konstruktion beabsichtigt, soll also die Wirksamkeit tendenziell nachteiliger Klauseln dadurch herbeigeführt werden, dass es korrespondierende vorteilhafte Klauseln gibt, besteht die Gefahr, dass trotz dieses Konstrukts die nachteiligen Klauseln für unwirksam erachtet werden. Dies führt im Ergebnis dazu, dass die für den AGB-Gegner ungünstige Klausel entfällt, während die für ihn vorteilhafte Regelung wirksam ist. Dies stellt dann eine gleich doppelt nachteilige Konsequenz für den AGB-Verwender dar. Zu berücksichtigen ist, dass es sich beim AGB-Recht um ein vergleichsweise dynamisches Rechtsgebiet handelt. Dies bedeutet, dass einmal formulierte AGB in regelmäßigen Abständen daraufhin überprüft werden sollten, ob sie den aktuellen rechtlichen Entwicklungen noch genügen oder ob mittlerweile – z. B. durch neuere Rechtsprechung – ehemals wirksame Klauseln nunmehr für unwirksam sind und daher eine Anpassung der AGB erforderlich ist.

Herr Dr. Blöse, vielen Dank für das Gespräch!

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