Dr. Marcus Dittmann: Auch bei offensichtlichen Massenschreiben kann es sich um berechtigte Abmahnungen handeln

Interview mit Dr. Marcus Dittmann
Wir sprechen mit Rechtsanwalt Dr. Marcus Dittmann, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz sowie für IT-Recht aus der Kanzlei Ihde & Partner Rechtsanwälte, über Abmahnungen und der Verfolgung von Rechtsverletzungen.

Massenabmahnungen sorgen immer wieder für Aufsehen und Ärger bei den Betroffenen. Was sollten Unternehmen und Privatpersonen unternehmen, wenn eine Abmahnung im Briefkasten liegt?

Dr. Marcus Dittmann: Es ist wichtig, dass man ein Abmahnschreiben ernst nimmt und nicht etwa den Kopf in den Sand steckt. Man sollte sorgfältig und kritisch lesen, wie der Vorwurf lautet und ob etwas dran sein kann. Ganz wichtig ist es, auf die Frist zu achten, die für eine Antwort gesetzt ist. Es empfiehlt sich, rechtzeitig vor Fristablauf rechtlichen Rat einzuholen. Selbst wenn die Abmahnung im Grunde berechtigt sein sollte, heißt das noch lange nicht, dass man direkt alles unterschreiben und zahlen soll, was die Gegenseite fordert. Häufig gibt es hier Unklarheiten und Spielräume, die man ausnutzen kann und sollte.

Welche sind die häufigsten Fälle, aus denen abgemahnt wird?

Dr. Marcus Dittmann: In der Vergangenheit waren dies häufig Urheberrechtsverletzungen von Privatleuten an Filmen oder Musik, Stichwort Filesharing, oder Produktfotos oder auch Stadtplanausschnitte im gewerblichen Bereich. Das hat aber zahlenmäßig etwas nachgelassen. Als Unternehmer und insbesondere Online-Händler hat man außerdem sehr häufig mit kleineren oder größeren Fehlern im eigenen Online-Auftritt oder Shop zu kämpfen: Informationspflichten, Impressum, AGB-Klauseln, Widerrufsbelehrung, Preisangaben. Klassische Abmahnfälle sind darüber hinaus natürlich Wettbewerbsverstöße wie irreführende Werbeaussagen, unzureichende Produktangaben oder Markenverletzungen. Datenschutzrechtliche Probleme sind ebenfalls zu beachten, sind aber in der Praxis meist weniger Gegenstand von Abmahnungen, sondern eher ein Thema für die Aufsichtsbehörden.

Lassen sich ungerechtfertigte Massenschreiben auf Anhieb identifizieren oder ist immer anwaltlicher Rat notwendig?

Dr. Marcus Dittmann: Leider ist es oftmals gar nicht so einfach zu erkennen, ob eine Abmahnung ungerechtfertigt bzw. missbräuchlich ist. Auch bei offensichtlichen Massenschreiben kann es sich durchaus um berechtigte Abmahnungen handeln. Es ist ein Irrglaube anzunehmen, nur weil offensichtlich Textbausteine verwendet werden bzw. es sich um ein Massenphänomen handelt, brauche man auf eine Abmahnung nicht einzugehen. Unter Juristen gibt es den Spruch: Massenhafte Verletzungen erfordern massenhafte Abmahnungen. Dessen ungeachtet haben die Gerichte und der Gesetzgeber vielerlei Ansatzpunkte entwickelt, um dem Missbrauch von Abmahnungen einen Riegel vorzuschieben. Im Einzelnen sind die Regeln aber kompliziert. Maßgeblich ist vor allem, ob sich dem Abmahnschreiben eindeutig der konkrete Vorwurf und die Identität des Abmahners hinter dem Rechtsanwalt entnehmen lassen. Im Übrigen kommt es immer auf den Einzelfall an. Im Zweifel würde ich immer dazu raten, kompetenten rechtlichen Rat einzuholen. Erstberatungen müssen nicht teuer sein, und es gibt häufiger die Möglichkeit, Abmahnkosten oder Schadenersatzzahlungen zu reduzieren oder unnötige Fehler bei Unterlassungserklärungen zu vermeiden.

Ist es notwendig bei ungerechtfertigten Abmahnschreiben zu handeln?

Dr. Marcus Dittmann: Auch wenn sich eine Abmahnung als ungerechtfertigt herausstellt, sollte man sie in der Regel nicht ignorieren. Es besteht die Gefahr, dass der Abmahner einseitig gerichtliche Schritte einleitet, namentlich einen Antrag auf einstweilige Verfügung stellt. Dadurch steigen Aufwand und Kostenrisiko. Mit einer gut begründeten, fristgerechten Antwort kann man dann dem Abmahner vorab den Wind aus den Segeln nehmen. In manchen, schwerwiegenderen Fällen wie zum Beispiel beim Vorwurf einer Marken- oder Patentverletzung, der sich als unbegründet herausstellt, kann es auch sinnvoll sein, Schutzschriften bei Gericht zu hinterlegen oder eine Gegenabmahnung auszusprechen.

Wie sollte vorgegangen werden, wenn der Grund der Abmahnung korrekt ist? Wer trägt in diesen Fällen die Kosten?

Dr. Marcus Dittmann: Wenn die Abmahnung zu Recht erfolgt ist, weil man etwas falsch gemacht hat, dann wird man in der Regel nicht umhin kommen, erstens das beanstandete Verhalten zu beenden, gegebenenfalls das relevante Material von Webseite (und, was häufig vergessen wird: auch vom Webserver!) zu löschen, zweitens eine sogenannte strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, um die Wiederholungsgefahr rechtssicher auszuschließen, und drittens die Abmahnkosten zu bezahlen. Dabei ist es von Rechts wegen wirklich so, dass derjenige, der zu Recht abgemahnt worden ist, in den meisten Fällen die Abmahnkosten erstatten muss. Das ist geltendes Recht. Im Einzelfall kann es hier aber Spielräume geben, um die im Raum stehenden Beträge niedriger zu berechnen und so etwas Geld zu sparen. Manchmal darf man auch noch gewisse Aufbrauch- und Übergangsfristen für die Umstellung in Anspruch nehmen.

Wie lassen sich die typischen Abmahngründe im Vorfeld vermeiden?

Dr. Marcus Dittmann: Jeder, der unternehmerisch tätig ist, muss sich bewusst sein, dass es umfangreiche und detaillierte gesetzliche Vorgaben gibt zu Informationspflichten, Produktkennzeichnung, Preisangaben, Verkaufsaktionen und Verbraucherschutz. Hier empfiehlt es sich, von vorne herein seinen Außenauftritt selbstkritisch zu überprüfen und auch im täglichen Geschäft ein Problembewusstsein zu entwickeln. Bei der Auswahl von Firmennamen oder Produktbezeichnungen empfiehlt sich ein Blick ins Markenregister, um nicht versehentlich mit eingetragenen Marken in Konflikt zu geraten. Eine große Fehlerquelle liegt auch in der Nutzung von Bildmaterial und anderen urheberechtlich geschützten Inhalten. Hier sollte man sich unbedingt versichern, dass man die notwendigen Lizenzen erworben hat. Gerade Online-Händler, selbst wenn sie nur in vergleichsweise geringem Umfang tätig sein sollten, sind gefährdet und sollten besonderes Augenmerk darauf richten, sich bei ihren Angeboten rechtskonform zu verhalten. Damit lassen sich viel unnötiger Ärger und Kosten vermeiden.

Herr Dr. Dittmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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