Dr. Sebastian Petrack: Rechte der Verbraucher wurden deutlich gestärkt

Interview mit Dr. Sebastian Petrack
Dr. Sebastian Petrack ist Rechtsanwalt in der Kanzlei MELCHERS Rechtsanwälte. Mit ihm sprechen wir über neu reformierte Kaufrecht für KFZ, Änderungen diesbezüglich sowie Beweislastumkehr beim Verbrauchsgüterkauf.

Seit 01.01.2022 gilt in Deutschland das neu reformierte Kaufrecht für KFZ. Was hat sich geändert?

Dr. Sebastian Petrack: Der deutsche Gesetzgeber hat im Wege der Umsetzung der europäischen Warenkaufrichtlinie die Rechte der Verbraucher deutlich gestärkt. Viele der neuen Regeln des Kaufrechts gelten ausschließlich bei Verträgen zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer (B2C). Einige der neuen Regeln gelten aber auch zwischen Verbrauchern (C2C) bzw. unter Unternehmern (B2B).

Die wichtigsten Änderungen betreffen folgende Punkte:

– Verkäufer sind verpflichtet, sogenannte Waren mit digitalen Elementen aktuell zu halten.

– Der Rücktritt vom Kaufvertrag wurde erleichtert.

– Mängelgewährleistungsrechte können nun unter Umständen auch in Anspruch genommen werden, wenn der Käufer den Mangel kennt.

– Die Frist zur Umkehr der Beweislast für das Vorliegen eines Mangels wurde von sechs Monaten auf ein Jahr verlängert.

– Die Verjährung der Mängelrechte verlängert sich infolge der Einführung einer neuen

Ablaufhemmung.

– Die Verjährung von Regressansprüchen innerhalb einer Lieferkette wurde angepasst.

Die wohl wichtigste Änderung liegt jedoch in einer Verschärfung an die Anforderungen an die Mangelfreiheit des Kaufgegenstands in § 434 BGB. Hierzu hat der deutsche Gesetzgeber vor allem den Sachmangelbegriff modifiziert und um – im Vergleich zum alten Recht – neue Bewertungsmaßstäbe für die Mangelfreiheit angereichert. Diese zentrale Norm des gesamten Kaufrechts gilt zunächst in allen Konstellationen, das heißt sowohl im B2C- als auch im C2C- und B2B-Bereich.

Das heißt, für Käufe ab dem 01.01.2022 gilt der geänderte Sachmangelbegriff gemäß § 434 BGB. Welche Änderungen wurden hier vorgenommen?

Dr. Sebastian Petrack: Im alten Recht war für die Mangelfreiheit noch entscheidend, dass die Sache die vereinbarte

Beschaffenheit hat bzw. bei Fehlen einer solchen Vereinbarung sich für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung eignete bzw. sich für eine gewöhnliche Verwendung eignete. Hier hat der Gesetzgeber die Anforderungen deutlich erhöht und die Systematik der Vorschrift modifiziert.

Eine Sache ist nunmehr frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang

– den subjektiven Anforderungen und

– den objektiven Anforderungen und ggf.

– den Montageanforderungen

entspricht.

Die neue Systematik hat ganz praktische (Rechts-)Folgen:

Unter Geltung des alten Rechts konnten sich zum Beispiel Käufer und Verkäufer darauf einigen, dass das zu verkaufende Fahrzeug keinen Motor und eine kaputte Windschutzscheibe hat. Das Fahrzeug war damit nicht mangelhaft. Schließlich entsprach es genau demjenigen, was die Parteien vorher als Beschaffenheit ausdrücklich vereinbart hatten. Das ist nach dem neuen Kaufrecht jedenfalls im B2C-Bereich nicht mehr so. Denn eine Sache ist nur noch dann mangelfrei, wenn sie dem entspricht was die Parteien vereinbart haben (subjektive Anforderungen) und zusätzlich auch den objektiven Anforderungen genügt. Im Falle des vorgenannten Fahrzeugkaufs bedeutet das konkret, dass das Fahrzeug zwar den subjektiven Anforderungen entspricht, weil sich die Parteien wirksam auf den fehlenden Motor und die kaputte Windschutzscheibe geeinigt haben. Jedoch entspricht das Fahrzeug nicht den objektiven Anforderungen, weil sich ein Fahrzeug ohne Motor nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei vergleichbaren Fahrzeugen nicht üblich ist. Damit wäre das Fahrzeug mangelhaft, unabhängig davon, was die Parteien vorher vereinbart haben. Selbstverständlich bleibt es aber auch weiterhin möglich, solche Fahrzeuge zu verkaufen, ohne dass Mangelansprüche entstehen. Hierfür müssen nach dem neuen Recht jedoch weitere Voraussetzungen erfüllt werden. Diese gibt § 476 Abs. 1 BGB vor. Im C2C- und auch B2B-Bereich reicht es aus, wenn sich die Beteiligten darüber einigen, dass das Fahrzeug keinen Motor und eine defekte Windschutzscheibe hat, sodass sich im Vergleich zur bisherigen Rechtslage keine Änderungen ergeben. Hier gehen die subjektiven Anforderungen, das heißt die individuelle Vereinbarung, den objektiven Anforderungen vor.

Ein anderes Beispiel:

Der Gesetzgeber hat in den Mangelkatalog die Fallgruppe neu aufgenommen, dass die Kaufsache nicht mit einer Probe bzw. einem Muster übereinstimmt, die/das der Käufer vom Verkäufer vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt bekommen hat. Dies kann zum Beispiel bei Fahrzeugkäufen relevant werden, bei denen der Verkäufer dem Käufer einen Wagen zur Probefahrt bereitstellt, der im Anschluss erworben werden soll. Dieses Fahrzeug ist nur dann mangelfrei, wenn es mit all denjenigen Funktionen ausgestattet ist, die der Käufer auch bei der Probefahrt nutzen und testen konnte. Im Wesentlichen erhalten geblieben, wenn auch in anderer sprachlicher Fassung, sind die sogenannte „IKEA-Klausel“ und die Haftung bei einer Geringlieferung. Bei der „IKEA-Klausel“ geht es vor allem um Fälle, in denen die Kaufsache mangelhaft montiert wird oder die Montageanleitung mangelhaft ist. Hierfür haftet der Verkäufer nach wie vor. Ebenso haftet der Verkäufer, wenn er dem Käufer eine andere als die Kaufsache liefert.

Unter den Voraussetzungen des § 476 BGB kann jedoch von dem üblicherweise zu erwartenden Standard abgewichen werden. Was muss der Verkäufer vor Vertragsschluss bei Abweichungen tun?

Dr. Sebastian Petrack: Nach§ 476 Abs. 1 BGB muss der (Unternehmer-)Verkäufer den (Verbraucher-)Käufer gemäß § 476 Abs. 1 BGB vor dem Kauf schriftlich über die Abweichung vom Normalzustand aufklären. Zusätzlich muss diese Abweichung auch nochmals in den Kaufvertrag aufgenommen werden. Konkret bedeutet das, dass der (Unternehmer-)Verkäufer dem (Verbraucher-)Käufer vor dem Vertragsschluss ein gesondertes Informationsblatt zur Verfügung stellen muss, mittels dem der (Verbraucher-)Käufer über das Fehlen des Motors und den Defekt der Windschutzscheibe aufgeklärt wird und welches von ihm zu unterschreiben ist. Im Kaufvertrag muss dies wiederholt werden (zum Beispiel: „Fahrzeug wird ohne Motor und mit einem im Fahrersichtbereich ca. 30 cm langem Riss in der Windschutzscheibe verkauft“). Das ist wesentlich förmlicher als nach der alten Rechtslage, erfordert also ein gewisses Mehr an Dokumentation, soll aber letzten Endes dem Verbraucher verdeutlichen, dass er im Begriff ist, sich auf etwas einzulassen, was nicht „die Regel“ ist. Das bedeutet, dass auch wenn der (Verbraucher-)Käufer im Vorfeld des Kaufs, wie im obigen Beispiel, von dem fehlenden Motor und der defekten Windschutzscheibe Kenntnis hatte und sich trotz allem für das Fahrzeug entschieden hat, der (Unternehmer-)Verkäufer nicht erfolgreich einwenden kann, dass der Käufer das doch gewusst habe, solange dies nicht ordnungsgemäß dokumentiert ist (also wenn entweder die vorvertragliche Information fehlt oder die Abweichung nicht nochmal explizit im Kaufvertrag aufgeführt worden ist). Deshalb werden auch Hinweise wie „gekauft wie gesehen“ zumindest im B2C-Verhältnis wahrscheinlich nach und nach unüblich werden.

Außerdem wurden für den Verbrauchsgüterverkauf mehrere Regelungen für Waren mit digitalen Elementen eingeführt. Welche zusätzlichen Voraussetzungen für die Mangelfreiheit dieser Ware wurde mit dem neuen Kaufrecht festgelegt?

Dr. Sebastian Petrack: Zunächst sind Waren mit digitalen Elementen solche, die in einer Weise digitale Produkte enthalten oder mit diesen derart verbunden sind, dass die Waren ihre Funktionen ohne diese digitalen Produkte nicht erfüllen können. Digitale Produkte sind wiederum digitale Inhalte, also Daten, die in digitaler Form bereitgestellt werden, oder digitale Dienstleistungen, zum Beispiel die Verarbeitung von Daten in digitaler Form. Eine solche Ware mit digitalen Elementen sind beispielsweise Navigationssysteme, denn sie verarbeiten Verkehrsdaten, zum Beispiel um den Nutzer auf dem aktuell kürzesten Weg ohne Staus zu einem Ziel zu navigieren. Das neue Kaufrecht sieht nunmehr vor, dass der (Unternehmer-)Verkäufer diese Waren mit digitalen Elementen dauerhaft kostenlos aktualisiert halten muss und den (Verbraucher-)Käufer auch auf die Aktualisierungen (zum Beispiel Updates, Upgrades) hinzuweisen hat. Ob der (Verbraucher-)Käufer die Aktualisierung tatsächlich durchführt, ist irrelevant, denn es reicht, wenn der (Unternehmer-)Verkäufer den (Verbraucher-)Käufer auf die Aktualisierungsmöglichkeit hingewiesen und die Aktualisierung bereitgestellt hat. Wie lange die Aktualisierungspflicht des (Unternehmer-)Verkäufers besteht, hat der Gesetzgeber nicht konkret festgelegt. Stattdessen legt das Gesetz einen flexiblen Maßstab an, bei dem es unter anderem darauf ankommt, wie lange üblicherweise mit Aktualisierungen gerechnet werden kann, was wiederum zum Beispiel von bestimmten Werbeaussagen, der Art der Ware mit digitalen Elementen oder deren üblicher Nutzungs- und Verwendungsdauer abhängig sein kann. Es ist bereits jetzt abzusehen, dass eine gewisse Klarheit bzw. grobe Orientierung erst geschaffen sein wird, nachdem Gerichte hierüber geurteilt haben.

Die Änderung des Kaufrechts betrifft allerdings auch andere Punkte wie der Rücktritt und Schadensersatz oder die Beweislastumkehr beim Verbrauchsgüterkauf. Können Sie uns abschließend sagen, was sich noch für Verbraucher konkret geändert hat?

Dr. Sebastian Petrack: Durch das neue Kaufrecht ist es für den Käufer im B2C-Bereich einfacher geworden, sich durch die Erklärung des Rücktritts im Nachhinein von einem Vertrag zu lösen. Unter Geltung des alten Rechts musste der Käufer den Mangel gegenüber dem Verkäufer zunächst anzeigen und ihm eine Frist zur Behebung des Mangels setzen. Der Verkäufer hatte in der Regel zwei Versuche, um den Mangel zu beseitigen. Erst wenn ihm das nicht fristgerecht gelang, konnte der Käufer zurücktreten. Diese verkäuferfreundliche Regelung wurde durch das neue Kaufrecht zugunsten des Käufers abgeändert. Der Verkäufer hat jetzt nur noch einen Versuch, um den Mangel im Rahmen der Nacherfüllung zu beheben, ansonsten kann der Verbraucher sofort den Rücktritt erklären. Weiter muss der Verbraucher auch keine ausdrückliche Frist mehr setzen. Nach dem neuen Kaufrecht reicht es aus, wenn der Unternehmer die Nacherfüllung innerhalb einer angemessenen Frist nicht vornimmt. Wie lange eine angemessene Frist ist, wird vom Gesetz nicht definiert. Jedoch muss diese Zeitspanne immer an den Einzelfall angepasst werden, um den Unternehmer nicht zu benachteiligen, wenn beispielsweise Ersatzteile bestellt werden müssen. Die Frist beginnt dabei bereits in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Verbraucher dem Unternehmer den Mangel anzeigt. Dies gilt ebenfalls für den Schadensersatzanspruch des Verbrauchers gegenüber dem Verkäufer. Wenn wir nun bereits über Gewährleistungsansprüche des Verbrauchers sprechen, sind in diesem Zusammenhang auch die neuen Regelungen der Beweislastumkehr bedeutsam. Nach dem alten Recht bestand bereits eine Vermutungswirkung zugunsten des Verbrauchers. Danach wurde vermutet, dass ein Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs (in der Regel der Übergabezeitpunkt an den Verbraucher) bestanden hat, wenn sich dieser innerhalb der ersten sechs Monate nach dem Gefahrübergang gezeigt hat. Diese Frist wurde nun zugunsten der Verbraucher auf ein Jahr verlängert. Hier möchte ich auch an die eingangs genannten Punkte anknüpfen: In der Regel verjähren die gesetzlichen Gewährleistungsansprüche innerhalb von zwei Jahren. Für Verbraucher gilt seit der Einführung des neuen Kaufrechts jedoch die Besonderheit, dass der Lauf der Verjährungsfrist pauschal um vier Monate unterbrochen wird, beginnend mit dem Zeitpunkt, an dem der Mangel auftritt (sogenannte „Ablaufhemmung“). Geht es um eine mangelbehaftete Aktualisierungspflicht, verjähren die Mangelansprüche nicht vor einem Zeitraum von zwölf Monaten ab Ende der Aktualisierungspflicht. Der (Unternehmer-)Verkäufer hat auch nach dem neuen Kaufrecht die Möglichkeit, seinen Lieferanten in Regress zu nehmen, wenn der (Verbraucher-)Käufer gegenüber dem (Unternehmer- ) Verkäufer seine Gewährleistungsrechte geltend gemacht hat. Diese verjähren in zwei Jahren nach Ablieferung der Sache. Das neue Kaufrecht sieht hierbei vor, dass die Verjährung der Regressansprüche des (Unternehmer-)Verkäufers gegen seinen Lieferanten frühestens zwei Monaten, nachdem der Verkäufer die Gewährleistungsansprüche seines Käufers erfüllt hat, einsetzt.

Herr Dr. Petrack, vielen Dank für das Gespräch!

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