Dr. Stephan Anft: Versorgungsausgleich gehört zum Kernbereich der Scheidungsfolgen

Interview mit Dr. Stephan Anft
Dr. Stephan Anft ist Rechtsanwalt und Notar in der Kanzlei Rechtsanwälte + Notar Dr. Anft & Feller in Gießen. Mit ihm sprechen wir über Scheidungsfolgenvereinbarung, Versorgungsausgleich sowie Beratung durch einen Fachanwalt.

In Deutschland lassen sich rund 150.000 Paare jährlich scheiden. Geschiedene Ex-Partner müssen ihre Rentenanwartschaften in Form von einem Versorgungsausgleich aufteilen. Welche Versorgungen werden ausgeglichen und welche nicht?

Dr. Stephan Anft: Wird in Deutschland eine Ehe geschieden und haben die Eheleute nicht durch Ehevertrag oder im Wege einer Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs verzichtet, so wird der Versorgungsausgleich hinsichtlich sämtlicher während der Ehe aufgebauter Rentenanrechte durchgeführt. (§ 2, 3 Abs. 2 VersAusglG)

Hierzu zählen insbesondere die Rentenanrechte bei der

–          gesetzlichen Rentenversicherung,

–          die beamten- oder beamtenähnlichen Versorgungen,

–          die betrieblichen Altersvorsorgen,

–          die berufsständischen Versorgungswerke (bspw. Ärzte, Apotheker, Architekten, Rechtsanwälte etc.) sowie

–          sämtliche private Rentenversicherungen (Alter und Invalidität).

Auch erfasst werden

–          Versorgungen bei ausländischen oder internationalen Versorgungsträgern, auch

–          inländische Versorgungen, beispielsweise durch Sachleistung, Altenteil oder Leibrenten.

Insofern wird im Rahmen des Scheidungsverfahrens durch das zuständige Familiengericht der jeweilige Rententräger angeschrieben und um Auskunft hinsichtlich der während der Ehezeit aufgebauten Rentenanrechte ersucht.

Jedes Rentenanrecht, welches nach § 2 Abs. 2 des VersAusglG durch

–          Arbeit oder Vermögen geschaffen oder aufrechterhalten worden ist,

–          der Absicherung im Alter oder Invalidität insbesondere wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Berufsunfähigkeit oder Dienstunfähigkeit gilt und

–          auf eine Rente gerichtet ist sowie

–          jedes Anrecht, im Sinne des Betriebsrentengesetzes oder bei Altersvorsorgezertifizierungsverträgen

werden vom Versorgungsausgleich erfasst.

Lediglich solche Anrechte, die entweder aufgrund der kurzen Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers noch nicht hinreichend verfestigt sind oder solche, bei denen der Ausgleich unwirtschaftlich wäre, sowie solche Anrechte bei ausländischen oder überstaatlichen Versorgungsträgern, werden aufgrund fehlender sog. Ausgleichsreife im Versorgungsausgleich nicht ausgeglichen.

Diesbezüglich hat der berechtigte Ehegatte die Möglichkeit den sog. schuldrechtlichen Versorgungsausgleich nach §§ 20 ff. VersAusglG bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen zu verlangen.

Ferner werden auf Basis von § 18 VersAusglG auch solche Anrechte nicht ausgeglichen, bei denen sich nach Wertermittlung herausstellt, dass diese eine sich jährlich ändernde Geringwertigkeitsgrenze nicht überschreiten, da insoweit der Verwaltungsaufwand hierfür zu groß ist.

Dies gilt auch für Versorgungen bei demselben Rententräger (bspw. der Deutschen Rentenversicherung) wenn die Differenz der auszugleichenden Rentenanrechte, also das Rentenanrecht der Ehefrau und das des Ehemannes geringwertig ist.

Im Gesetz §2VersAusglG wird erfasst, welche Anrechte dem Versorgungsausgleich unterliegen. Was passiert mit der gemeinsamen Immobilie im Scheidungsprozess?

Dr. Stephan Anft: § 2 Abs. 4 des VersAusglG rekurriert ausdrücklich darauf, dass der Versorgungsausgleich grundsätzlich keinen Einfluss auf den Vermögensausgleich zwischen den Eheleuten hat.

Dieser ist zusätzlich zum Rentenausgleich ebenfalls durchzuführen.

Die gemeinsame Immobilie wird daher nicht in den Rentenausgleich mit einbezogen, sondern ist zwischen den Eheleuten gesondert auseinanderzusetzen.

Für viele Ex-Partner ist unklar, auf welche Zeit sich der Ausgleich der Anwartschaften erstreckt. Erstreckt sich ein Ausgleich nur auf die Anwartschaften, die die Ehepartner während der Ehe erworben haben?

Dr. Stephan Anft: Der Versorgungsausgleich erfasst (siehe Ziffer 1) sämtliche Rentenanrechte, die ein jeder Ehepartner während der Ehezeit erworben hat (§ 3 Abs. 2 VersAusglG).

Der Gesetzgeber hat insoweit die Vorstellung, dass bezogen auf die Ehezeit beide Eheleute in gleichem Umfang an dem während der Ehe aufgebauten Vermögen (Zugewinnausgleich) und Rentenanrechten partizipieren.

Zu diesem Zweck findet (§ 3 Abs. 1 VersAusglG) der Versorgungsausgleich lediglich für den Zeitraum (beginnend mit dem ersten Tag des Monats der Eheschließung und endend mit dem letzten Tag des Vormonats, bevor der Scheidungsantrag über das Gericht dem anderen Ehegatten zugestellt wird) statt.

Dies bedeutet in der Praxis, dass bei einer Eheschließung beispielsweise am 20. Mai der Rentenausgleich ab dem 01. Mai berechnet wird. Bei der Zustellung des Scheidungsantrags durch das Gericht an den anderen Ehegatten, zum Beispiel am 15. November ist der 31. Oktober (also der letzte Tag des Vormonats) für den Zeitraum der Berechnung der Rentenanrechte heranzuziehen.

§27VersAusglG regelt seit November 2016 Ausnahmen beim Ausgleich. In welchen Szenarien teilt das Familiengericht die Rentenansprüche nicht?

Dr. Stephan Anft: Grundsätzlich werden (siehe Ausführungen Ziffer 1) noch nicht ausgleichsreife Anrechte im Versorgungsausgleich nicht geteilt.

Gleiches gilt bei solchen Anrechten, die nach § 18 des VersAusglG geringwertig oder bei denen die Ausgleichsdifferenz geringwertig ist. Aber auch bei kurzen Ehen (§ 3 Abs.3 VersAusglG), also bei solchen, bei denen zwischen der Eheschließung und der Zustellung des Scheidungsantrages nicht mehr als drei Jahre liegen, wird ein Versorgungsausgleich in der Regel nicht durchgeführt, da der Gesetzgeber hierbei davon ausgeht, dass der Verwaltungsaufwand der für die Durchführung des Versorgungsausgleichsverfahrens erforderlich ist, kostenintensiver ist als der Wert des zu übertragenden Anrechts.

Darüber hinaus kann in seltenen Ausnahmefällen des § 27 VersAusglG, der lediglich bei einer „groben Unbilligkeit“ anzuwenden ist, ebenfalls der Versorgungsausgleich ganz oder teilweise nicht durchgeführt werden.

Dem Gericht obliegt in solchen Fällen die Entscheidung, ob der Versorgungsausgleich vollständig ausgeschlossen wird, oder lediglich einzelne Anrechte nicht dem Ausgleich unterliegen.

Eine Anwendung des § 27 VersAusglG kommt beispielsweise in Betracht, wenn der von Gesetzeswegen durchzuführende Versorgungsausgleich zu einem unbilligen Ergebnis führen würde.

Hier sind beispielsweise solche Fälle zu berücksichtigen, bei denen die haushaltsführende und kindererziehende Ehefrau gegenüber dem selbstständigen, nicht in ausreichendem Maße rentenvorsorgenden Ehemann ausgleichsverpflichtet ist und gleichzeitig aufgrund eines notariellen Ausschlusses des durchzuführenden Vermögensausgleichs keinen adäquaten anderweitigen Ersatz durch den Ehepartner erhält.

Eine lange Trennungszeit hingegen stellt entsprechend oberinstanzlicher Rechtsprechung keinen Grund dar, um eine entsprechende Unbilligkeit des Ausgleichs anzunehmen.

Leben die Eheleute also mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte voneinander getrennt und haben bislang kein Scheidungsverfahren eingeleitet, so partizipiert auch weiterhin jeder Ehegatte an den während des Trennungszeitraums aufgebauten Rentenanrechten des anderen Ehepartners.

Ansonsten ist jeweils einzelfallbezogen zu überprüfen, inwiefern ggf. der Ausschluss einzelner Anrechte oder des gesamten Versorgungsausgleichs durchgeführt werden kann.

Eine einvernehmliche Regelung des Versorgungsausgleichs kann auch erzielt werden. Können Sie uns Umstände nennen, in denen ein Versorgungsausgleich nicht erforderlich ist, bzw. ein Versorgungsausgleich wenig sinnvoll wäre?

Dr. Stephan Anft: Grundsätzlich ist es nach § 1408 BGB sowie § 6 und 8 VersAusglG möglich, dass die Beteiligten notariell oder durch eine gerichtlich zu protokollierende Regelung auf die vollständige oder teilweise Durchführung des Versorgungsausgleichs verzichten.

Da der Versorgungsausgleich jedoch zum Kernbereich der Scheidungsfolgen gehört, ist ein solcher Verzicht nur möglich, wenn derjenige Ehegatte, der insoweit von dem Rentenausgleich profitieren würde, entweder eine anderweitige Kompensation durch den anderen Ehegatten erhält (bspw. andere Vermögenswerte, Lebensversicherung, gemeinsame Immobilie etc.) und/oder beide Eheleute aufgrund der Kürze der Ehezeit und des noch bevorstehenden weiteren Erwerbslebens sowie etwaig bereits vorhandener Vermögenswerte, ausreichend Gelegenheit haben, noch weitere eigene Rentenanrechte aufzubauen.

Der vollständige oder Teilausschluss des Versorgungsausgleichs ist immer dann sinnvoll, wenn lediglich eine kurze Ehezeit bei jungen Eheleuten vorliegt. Darüber hinaus kann bei ausländischen Anrechten auf Seiten eines Ehegatten, die im Versorgungsausgleich nicht berücksichtigt werden, der teilweise Ausschluss der Durchführung des Versorgungsausgleichs durch notarielle Regelung und anderweitige Kompensation vereinbart werden.

Darüber hinaus ist auch bei einer hohen Altersdifferenz zwischen den Eheleuten eine notarielle Regelung sinnvoll, nämlich immer dann, wenn der ältere Ehepartner entweder unmittelbar vor dem Renteneintritt steht oder sogar selbst schon eine Altersrente bezieht, der andere Ehegatte aber erst in einigen Jahren die Altersgrenze, die zum Bezug der Rentenanrechte berechtigt, erreichen wird.

In diesem Fall würden bei einem durchzuführenden Versorgungsausgleich die Rentenanrechte des älteren Ehepartners unmittelbar gekürzt, eine Auszahlung an den anderen Ehegatten erfolgt allerdings nicht, da dieser die Voraussetzungen für einen Rentenbezug noch nicht erreicht hat.

Das bis zum 31.08.2009 für diesen Fall bestehenden Rentner und Pensionistenprivileg, bei dem eine Aussetzung der Rentenkürzung bis zum Renteneintritt des anderen Ehegatten bewirkt werden konnte, wurde mit der Reform des Versorgungsausgleichs abgeschafft.

Diese unbilligen Fälle sollten daher durch beide Eheleute im Rahmen einer sinnvollen Regelung zu einer angemessenen Lösung gebracht werden. Vorstehende lediglich auszugsweise getätigten Ausführungen zeigen, dass es bereits im Vorfeld einer angedachten Trennung zwingend erforderlich ist, sich von einem Fachanwalt für Familienrecht oder einem Notar umfangreich beraten zu lassen, um im Falle der Ehescheidung eine sinnvolle Regelung treffen zu können.

Herr Dr. Anft, vielen Dank für das Gespräch!

KONTAKT
Dr. Stephan Anft
Rechtsanwalt und Notar
Fachanwalt für Familienrecht

Eichgärtenallee 14
35394 Gießen

Tel. : 0641 / 495538 -12 
Fax.: 0641 / 495538-18

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