Dr. Torsten Walter: Ungeheure Meinungsmacht der Netzwerke

Interview mit Dr. Torsten Walter
Dr. Torsten Walter ist Rechtsanwalt mit Kanzlei in Berlin. Mit ihm sprechen wir über Löschung tausender Accounts, einstweilige Verfügungen sowie Schutz vor rufschädigender Berichtserstattung.

Nach den gewaltsamen Ausschreitungen und der Stürmung des Kapitols in Washington haben die großen Social-Media-Netzwerke Tausende Accounts gelöscht. Ist dieser Eingriff in die Meinungsfreiheit aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?

Dr. Torsten Walter: Nicht ohne weiteres. Die Abschaltung etwa des Twitter-Accounts „@realdonaldtrump“ mag von vielen begrüßt worden sein – sie offenbart gleichzeitig die ungeheure Meinungsmacht der Netzwerke. Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Twitter nehmen für sich das Recht in Anspruch, Beiträge von Nutzern oder deren Konten zu löschen, wenn darin ein Verstoß gegen ihre Nutzungsbedingungen gesehen wird. Diese Praxis ist äußerst umstritten – selbst offensichtlich satirische Äußerungen fallen immer wieder dem „Löscheifer“ der Netzwerkbetreiber zum Opfer. Oft folgen dann juristische Auseinandersetzungen, weil die Betroffenen von links bis rechts darin nicht ohne Grund eine unzulässige Beschränkung ihrer Meinungsfreiheit sehen. Auch wenn eine Sperrung oder Löschung gerichtlich überprüft werden kann – das kostet Zeit und Geld. Bis dahin entscheidet der Plattformbetreiber, was bei ihm gepostet werden darf und was nicht. Aber was den einen zu wenig ist, ist den anderen schon zu viel Meinungsfreiheit. Russland hat Twitter, Youtube und Co. soeben mit hohen Geldbußen belegt, weil sie Berichte über die jüngsten Nawalny-Demonstrationen nicht gelöscht haben. – Das Thema Meinungsmacht und Meinungsbeschränkung bei sozialen Netzwerken braucht jedenfalls eine intensive Diskussion und im Ergebnis eine kluge Plattformregulierung.

Äußerungen in der Öffentlichkeit sind in Deutschland nicht uneingeschränkt von der Meinungsfreiheit gedeckt. Welche Grenzen setzt das deutsche Recht der Meinungsfreiheit?

Dr. Torsten Walter: Die Meinungsfreiheit hat bei uns – oft auf Kosten des Ehrschutzes – überragende Bedeutung. Ihre Grenze ist bei uns in aller Regel bei Verleumdungen, Hassreden und/oder groben Beleidigungen erreicht. Es gibt aber auch Fälle, in denen wahre Behauptungen unzulässig sein können, etwa bei Mitteilungen aus der Privatsphäre. Hier haben Politiker, ebenso wie bei herabsetzenden Äußerungen, viel mehr hinzunehmen als „Normalbürger“, die nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen. Wie weit das gehen kann, hat uns ein niveauloses Spottgedicht über Erdogan vor Augen geführt oder kürzlich die Künast-Entscheidung der Pressekammer des Berliner Landgerichts. Da wurden selbst die übelsten Beschimpfungen der Grünenpolitikerin durch anonyme Online-Kommentare noch für zulässig erklärt. Die Empörung gegen das Urteil war berechtigt.

Welche Maßnahmen können Personen und Unternehmen ergreifen, um gegen rufschädigende Veröffentlichungen im Netz vorzugehen?

Dr. Torsten Walter: Zunächst erleichtert es das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Betroffenenrechte gegenüber Betreibern sozialer Netzwerke in Deutschland geltend zu machen. Bewertungs- und Lesermeinungsforen haben meist eine Beschwerdefunktion („unzulässigen Inhalt melden“). Im Prinzip gilt das auch bei Wikipedia-Falscheinträgen. Schwierig wird es bei anonymen Denunziationsseiten, bei denen Sie weder Impressum noch Verantwortlichen finden. Die Erstattung einer Strafanzeige und ein Ermittlungsverfahren können aber dabei helfen, die Identität eines anonymen Mobbers zu lüften. Und Sie können, wenn die Rufschädigung – wie so oft – erst über einen Suchmaschineneintrag verbreitet wird, gegen den Suchmaschinenbetreiber vorgehen und ihn auffordern, das Suchergebnis („Snippet“) zu blockieren.

Ist es möglich Plattformbetreiber wie Google oder Facebook gerichtlich zur Löschung von negativen Beiträgen zu zwingen? Wie kompliziert sind solche Verfahren?

Dr. Torsten Walter: Das ist möglich und im Prinzip auch nicht komplizierter als andere Gerichtsverfahren. Auch wenn die Plattform nur Beiträge anderer öffentlich zugänglich macht, ist der Betreiber aus dem Gesichtspunkt der „Störerhaftung“ verpflichtet, unwahre Tatsachenbehauptungen und/oder Beleidigungen, die in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreifen, zu löschen. Wenn er nicht „freiwillig“ einlenkt, kann er, sofern der Negativbeitrag in Deutschland bestimmungsgemäß abrufbar ist, auch von deutschen Gerichten dazu gezwungen werden.

Welche Anforderungen müssen für eine Einstweilige Verfügung gegen den Herausgeber von rufschädigender Berichterstattung erfüllt sein?

Dr. Torsten Walter: Ihm ist zunächst fristsetzend Gelegenheit zu geben, die rechtsverletzende Äußerung zu löschen bzw. ihre Wiederholung zu unterlassen, sonst fehlt in aller Regel das Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Durchsetzung. Lehnt er das ab, ist innerhalb der sogenannten Dringlichkeitsfrist eine einstweilige Verfügung bei Gericht zu beantragen. Die Berliner Pressekammer z.B. lässt dem Betroffenen ab Kenntnis der Berichterstattung hierfür grundsätzlich nur einen Monat Zeit. Außerhalb der Dringlichkeitsfrist kann der Betroffene natürlich jederzeit im Wege der sogenannten Hauptsacheklage vorgehen.

Sind die Gesetze zum Schutz von Geschädigten rufschädigender Berichterstattung ausreichend?

Dr. Torsten Walter: Eindeutig ja, was etwa die Durchsetzung von Unterlassungs- oder Schadenersatzansprüchen gegenüber sozialen Medien, Rundfunk und Presse anbelangt. Eindeutig nein beim „Cybermobbing“. Unser Gesetzgeber lässt anonyme und pseudonyme Posts in Kenntnis der Missbrauchsmöglichkeit zu. Das ist hoch umstritten und hat mit der überragenden Bedeutung der Äußerungsfreiheit für unser Gemeinwesen zu tun. Wichtig zu wissen ist aber auch, dass Persönlichkeitsrechtsschutz in vielem kein Gesetzes-, sondern Richterrecht ist. Denn das angerufene Gericht wägt immer einzelfallbezogen das Persönlichkeitsrecht gegen die Meinungsfreiheit ab. Im Ergebnis sieht es dann nicht in jedem herabsetzenden Beitrag eine justiziable Rechtsverletzung, was im Vorfeld nicht immer leicht einzuschätzen ist. Das bestehende Prozess- und Kostenrisiko hat schon manchen meiner Mandanten davon abgehalten, gerichtliche Hilfe zu suchen.

Herr Walter, vielen Dank für das Gespräch!

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