Dr. Wolfgang Schirp: „Wir brauchen eine schlagkräftige Finanzmarktaufsicht“

Interview mit Dr. Wolfgang Schirp
Wir sprechen mit Rechtanwalt Dr. Wolfgang Schirp von Schirp & Partner Rechtsanwälte mbB über den Skandal um den DAX-Konzern Wirecard. Die Kanzlei ist auf Kapitalanlagerecht, Bankrecht, Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht und Steuerrecht spezialisiert.

Der Skandal um den DAX-Konzern Wirecard hat die deutsche Finanzwirtschaft erschüttert. 1,9 Milliarden Euro sind verschwunden, der Konzern ist in der Insolvenz. Welche Aussichten haben die geschädigten Aktionäre wenigsten einen Teil ihres Investments wiederzusehen?

Dr. Wolfgang Schirp: Es gibt vernünftige Handlungswege, die man beschreiten sollte. Zum einen ist es sinnvoll, bis zum 26.10. beim Insolvenzgericht in München die Schadensersatzansprüche anzumelden, die jeder Aktionär aufgrund falscher ad hoc-Mitteilungen gegen die Wirecard AG hat. Dies wird allerdings bestenfalls zu einem quotalen Ausgleich des Schadens führen, denn die bei der Wirecard AG vorhandene Insolvenzmasse reicht nicht zum Begleichen aller Ansprüche aus. Daher ist zum anderen eine Schadensersatzklage sinnvoll. Diese ist sinnvollerweise gegen Ernst & Young zu richten, denn alle anderen in Betracht kommenden Gegner sind entweder in Insolvenz oder werden dies bald sein. Wir haben bereits für zahlreiche Mandanten Klagen gegen Ernst & Young beim Landgericht Stuttgart eingereicht und tun dies weiterhin.

Die Wirtschaftsprüfer von EY stehen massiv in der Kritik, weil sie zehn Jahre lang die gefälschten Bilanzen von Wirecard geprüft und testiert haben. Wie schätzen Sie die Chancen ein, EY auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen?

Dr. Wolfgang Schirp: Wie gesagt: Wir haben bereits für zahlreiche Mandanten Schadensersatzklagen eingereicht und tun dies weiterhin. Ernst & Young hat beim Testieren der Wirecard-Jahresabschlüsse gegen elementare Verpflichtungen verstoßen, die jedem Wirtschaftsprüfer obliegen. Insbesondere hat man zu Unrecht und unter Verletzung der üblichen Prüfungsgrundsätze die angeblichen Treuhandkonten testiert, auf denen zuletzt ein Fehlbestand von 1,9 Mrd. EURO aufgetreten ist. Wir sind der Auffassung, dass sich hieraus eine Haftung von Ernst & Young zugunsten geschädigter Anleger ergibt. Dabei stützen wir uns insbesondere auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Monat März 2020, in der der BGH näher dargelegt hat, wann ein Wirtschaftsprüfer gegenüber Anlegern des geprüften Unternehmens haftet. Die Voraussetzungen dieser Entscheidung sind nach unserer Prüfung auch im Falle Wirecard / Ernst & Young gegeben. Wenn wir uns damit erfolgreich durchsetzen können, werden unsere Mandanten vollständig schadlos gestellt werden.  

Die BaFin hat bei der Kontrolle von Wirecard wenig Engagement gezeigt und fühlte sich trotz öffentlicher Warnungen der Financial Times nicht zuständig. Was läuft schief bei der deutschen Finanzmarktaufsicht?

Dr. Wolfgang Schirp: Die deutsche Finanzmarktaufsicht hat in mehrfacher Hinsicht kein gutes Bild abgegeben. Die sonderbare Zweistufigkeit, bei der unterhalb der BaFin noch ein privatrechtlich organisierter Verein zuständig war (die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung, DPR) hat überhaupt nicht funktioniert und ist zu Recht zwischenzeitlich beendet worden. Bei der BaFin selbst stört das vollständige Fehlen jeder Verantwortlichkeit. Durch eine gesetzliche Sonderregelung (§ 4 Abs. 4 Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz) ist die BaFin von jeglicher Amtshaftung befreit, so dass Fehlleistungen und Versäumnisse aller Art ohne Ahndung bleiben. Und bei Wirecard hat sich die BaFin aufgrund formaler Begründungen für weitgehend unzuständig erklärt. So geht es keinesfalls weiter. Wir brauchen eine schlagkräftige Finanzmarktaufsicht.  

Die BaFin hat am 18. Februar 2019 eine Allgemeinverfügung erlassen, wonach es verboten war, neue Netto-Leerverkaufspositionen in Aktien der Wirecard AG zu begründen oder bestehende Netto-Leerverkaufspositionen zu erhöhen. Erstmals in der Geschichte wurde ein solches Verbot für eine einzelne Aktie verhängt. Wie erklären Sie diesen ungewöhnlichen Schritt?

Dr. Wolfgang Schirp: Das ist in der Tat ein äußerst ungewöhnlicher Schritt. Zwar werden Leerverkäufer (Short Seller) von vielen Marktbeobachtern misstrauisch betrachtet, weil sie in dem Verdacht stehen, bewusst negative Meldungen über ihre Zielunternehmen zu streuen. Offenbar ist auch die BaFin diesem allgemeinen Misstrauen erlegen und hat sich davon zu ihrem Schritt verleiten lassen. Es lagen aber im Februar 2019 bereits so stichhaltige Vorwürfe gegen die Bilanzierungspraxis bei Wirecard vor, dass die BaFin diesen Vorwürfen zwingend hätte nachgehen müssen, anstatt umgekehrt die Short Seller oder deren Informationsquellen zu attackieren. Man hat ja auch im Nachhinein sehen können, dass die Short Seller und die kritischen Journalisten Recht hatten. Kein Ruhmesblatt für die BaFin! Ich hoffe, dass der bald einsetzende Untersuchungsausschluss des Bundestages die Ereignisse im Februar 2019 und die Motivationslage der handelnden Akteure näher beleuchtet; dies ist dringend erforderlich.

Mitarbeiter der BaFin haben in großem Stil mit Wirecard-Aktien gezockt. Ist das legal?

Dr. Wolfgang Schirp: Es heißt in den bisherigen Stellungnahmen, dass die Geschäfte durch die Behördenleitung genehmigt gewesen seien. Das überrascht, denn eigentlich haben sich die Mitarbeiter der BaFin hier so verhalten wie ein Fußballschiedsrichter, der bei einem Spiel, das er zu pfeifen hat, auf die eine der beiden Mannschaften wettet. Das kann nicht richtig sein! Sollten diese Geschäfte nach den derzeit innerhalb der BaFin geltenden Regeln formal legal gewesen sein, so müssen diese Regeln dringend geändert werden. 

Die Staatsanwaltschaften haben nach Veröffentlichungen der Financial Times nicht gegen Wirecard-Verantwortliche, sondern die Journalisten ermittelt – ein ungewöhnlicher Schritt. Kann man von Behördenversagen sprechen?

Dr. Wolfgang Schirp: Definitiv ja. Jedem aufmerksamen Marktbeobachter war klar, dass sehr sachkundige Journalisten – allen voran Dan McCrum von der Financial Times in London – wichtige Details aufgedeckt und dabei Fragen gestellt hatten, die Wirecard nicht vernünftig beantworten konnte. Wie man bei dieser Sachlage das Betrüger-Unternehmen Wirecard schützen und zugleich die Whistleblower strafrechtlich verfolgen konnte, kann ich nicht begreifen. Ich bin der Meinung, dass auch die bayerische Staatskanzlei und die zuständigen bayerischen Ministerien und Behörden viele Fragen beantworten müssen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die Staatsanwaltschaft München ohne politische Rückendeckung gehandelt hat. Hier halte ich auch einen Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag für eine sinnvolle Aufklärungsmaßnahme.

Wie wirkt sich der Wirecard-Skandal auf das Ansehen des Finanzplatz Deutschland aus?

Dr. Wolfgang Schirp: Mit einem Wort: Verheerend. Wir haben viele Mandanten aus der Londoner City, aber auch aus vielen anderen europäischen und außereuropäischen Ländern.  Unsere Mandanten hätten sich niemals vorstellen können, dass ein Skandal wie Wirecard in Deutschland möglich wäre. Wir haben viel Ansehen verloren und müssen zusehen, dass wir es durch klare Aufklärungsarbeit zurückgewinnen.

Herr Dr. Schirp, wir danken Ihnen für das Gespräch

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