Fintechs entscheiden sich wegen BaFin gegen Deutschland – Dr. Martin Weimann

Interview mit Dr. Martin Weimann
Im Interview kritisiert Rechtsanwalt Dr. Martin Weimann die Rolle der BaFin im Wirecard-Skandal und warnt vor Schäden für den Wirtschaftsstandort aufgrund von Regulierungs- und Aufsichtsproblemen.

Mit Wirecard ist erstmals ein DAX-Unternehmen in die Insolvenz gerutscht. Was ist der aktuelle Stand der Dinge?

Dr. Martin Weimann: Im Augenblick muss erstmal der relevante Sachverhalt durch den Insolvenzverwalter RA Dr. Michael Jaffé, die Staatsanwaltschaft in München, KPMG als Sonderprüfer für den Aufsichtsrat, EY als Abschlussprüfer, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und den Zoll (Geldwäsche) ermittelt werden. Im Ausland dürften weitere Stellen tätig sein. Erst auf der Grundlage der dann veröffentlichten Informationen kann man sich über anwaltliche bzw. gerichtliche Schritte Gedanken machen. Bei einem Schaden von mehr als 20 Milliarden Euro stellt sich dann aber sofort die Frage, welche Verursacher bzw. Versicherung in fünf bis zehn Jahren noch zahlungsfähig sein können.

Welche strafrechtlichen Tatbestände stehen im Raum?

Dr. Martin Weimann: Vermögensdelikte (z.B. Betrug und Untreue), Bilanzdelikte, Insolvenzverschleppung, Kapitalmarktrecht (meist mit Ordnungswidrigkeiten).

Neben dem Wirecard-Management gibt es auch Kritik an den Wirtschaftsprüfern. Zu Recht?

Dr. Martin Weimann: Hier kann man wohl von einem „multiplen Organversagen“ sprechen, das die Wirtschaftsprüfer eigentlich hätten hinterfragen müssen. Schließlich gab es viele Hinweise auf Bilanzierungsrisiken. Die Schutzgemeinschaft für Kapitalanleger (SdK) hat schon 2008 die Konzernrechnungslegung hinterfragt. Damals wurde EY von Wirecard mit der Überprüfung beauftragt. Anfang 2016 verschickte der Investor Fraser Perring eine Studie seiner Analysefirma Zatarra unter anderem auch an die BaFin. In den Jahren 2018 und 2019 meldete die Compliance Abteilung der Bayerischen Landesbank (Bayern LB) den Verdacht der Geldwäsche. Seit Anfang 2019 berichtet die Financial Times über einen „accounting scandal“. Im April 2020 legt KPMG einen Abschlussbericht mit Lücken bei der Sachverhaltsermittlung dem Aufsichtsrat vor. Jetzt stellt sich die Frage, ob es EY wie damals der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Anderson im Enron-Skandal ergehen wird.

Welche Haftungsansprüche gegen die Wirtschaftsprüfer kommen denn in Frage?

Dr. Martin Weimann: Zunächst haftet EY gegenüber Wirecard aus Vertrag, was den Insolvenzverwalter interessieren wird. Gegenüber Anlegern besteht unter Umständen eine Dritthaftung aus §§ 322, 323 HGB, die aber auf vier Millionen Euro pro Prüfung gedeckelt ist.

Auch die BaFin wird massiv für ihr Verhalten kritisiert. Was ist schiefgelaufen bei der Finanzaufsicht?

Dr. Martin Weimann: Die BaFin hatte spätestens nach der Studie von Zatarra (2016) und der Berichterstattung in der Financial Times (2019) genügend Hinweise. Sie hat aber zunächst einmal am 18. Februar 2019 unter anderem Leerverkäufe untersagt. Jetzt redet man sich mit Zuständigkeitsfragen und die schleppende Arbeit der Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) e.V. raus.

S&K, P&R und jetzt Wirecard: Die BaFin versagt regelmäßig bei der Aufsicht. Ist die Behörde ein zahnloser Tiger?

Dr. Martin Weimann: Die jährlichen Tätigkeitsberichte zeigen den Schwerpunkt der Tätigkeiten und das Selbstverständnis dieser Behörde, das leider in eine andere Richtung geht. Auch bei anderen großen Skandalen wurde trotz eindeutiger Hinweise nicht rechtzeitig eingegriffen. In anderen Jurisdiktionen greift die Finanzmarktaufsicht durch, zum Beispiel die SEC in den USA.

Olaf Scholz will die BaFin reformieren. Welche Vorschläge stehen im Raum?

Dr. Martin Weimann: Eine „Reform“ der BaFin reicht nicht aus. Die Politik muss die Bedeutung der Kapitalmärkte für unsere Volkswirtschaft neu reflektieren und überlegen, wie der Wirtschaftsstandort Deutschland zum Beispiel für die Finanzbranche attraktiver wird. So wird berichtet, dass sich viele innovative Fintech-Unternehmen aus London bei einer Suche nach einem neuen Standort in der EU nach dem Brexit ganz bewusst gegen Deutschland entscheiden. Das wird fast immer mit der Arbeitsweise der BaFin begründet: Kleinen Unternehmen gelingt es nicht, der Aufsicht das Geschäftsmodell zu erklären.

Wie bewerten Sie die Pläne?

Dr. Martin Weimann: Deutschland steht hier vor einem strukturellen Neuanfang.

Die Wirecard-Insolvenz hat Milliardenschäden hinterlassen. Was können die geschädigten Aktionäre jetzt machen?

Dr. Martin Weimann: Zunächst müssen die oben genannten Ermittlungsergebnisse abgewartet werden, die Verjährung dauert wohl drei Jahre. Dann muss man nach Haftungsschuldnern suchen. So dürfte die Kapitalmarkthaftung aus Bonitätsgründen bzw. wegen zu erwartenden Vermögensverlagerungen auf z.B. Ehefrauen nicht in Betracht kommen. Wahrscheinlich läuft es auf eine Staatshaftung hinaus, wenn es dazu doch noch eine drittschützende Norm gibt. Sonst sieht es schlecht aus. Der Insolvenzverwalter hat einen Informationsvorsprung und ist daher schneller.

Herr Dr. Weimann, vielen Dank für das Gespräch.

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