Götz Scharnhoop: Viele Verkehrsanwälte bieten ihren Mandanten eine kostenlose Erstberatung an

Interview mit Götz Scharnhoop
Wir sprechen mit Rechtsanwalt Götz Scharnhoop, Fachanwalt für Verkehrsrecht der Kanzlei Grygier Rechtsanwälte, über wichtige Verkehrsrechtsthemen.

Das Verkehrsrecht als Teil des Verkehrswesens umfasst die Bereiche „öffentliches Recht“ und „Privatrecht“. Als Anwalt für Verkehrsrecht beschäftigt man sich aber vor allem mit „Verkehrssündern“, oder ist das ein Vorurteil?

Götz Scharnhoop: Das anwaltliche Fachgebiet des Verkehrsrechts ist weit gefächert. Einen großen Anteil macht in der Tat der Bereich der Verkehrsstraftaten und Verkehrsordnungswidrigkeiten aus. Das geht von der Trunkenheitsfahrt über die Unfallflucht bis hin zur fahrlässigen Körperverletzung oder Tötung im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall. Gerade in Berlin ist in der letzten Zeit das neu in das Strafgesetzbuch aufgenommene „illegale Straßenrennen“ von großer Bedeutung, geregelt in dem neuen Paragraphen § 315 d StGB. Es wurde bei der Berliner Amtsanwaltschaft eine eigene Schwerpunktabteilung gegründet, die sich nur mit diesem Phänomen (Stichwort: Ku’damm-Raser) beschäftigt. Unsere Aufgabe als Strafverteidiger ist es, die Mandanten gegen unberechtigte Vorwürfe zu verteidigen und sie im Falle berechtigter Vorwürfe durch das Strafverfahren zu begleiten und auf die Wahrung der Prozessgrundrechte zu achten. Einen mindestens ebenso großen Teil macht das Schadensrecht aus, die Regulierung der Schadensersatzansprüche nach Verkehrsunfällen. Als Verkehrsanwälte klären wir zunächst die Haftungsfrage und setzen anschließend die Schadensersatzansprüche der Geschädigten durch, sowohl die Fahrzeugschäden, als auch Schmerzensgeld, Verdienstausfallschäden etc. Einen dritten Schwerpunkt bilden das PKW-Kaufrecht und das Werkstattrecht. Immer wieder kommen Mandanten zu uns, die Sachmängel am frisch erworbenen Kfz festgestellt haben oder mit der Reparaturleistung ihrer Kfz-Werkstatt unzufrieden sind. Wir setzen für unsere Mandanten die gesetzlichen Gewährleistungsansprüche durch. Große Aufmerksamkeit hat in letzter Zeit der Diesel-Abgasskandal erfahren, bei denen die Geschädigten ohne kompetente anwaltliche Unterstützung leer ausgegangen wären. Die vierte Säule des Verkehrsrechts ist das sog. Verkehrsverwaltungsrecht. Dies betrifft zum Beispiel das Thema der Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund von Eignungszweifeln, die behördliche Aufforderung zur MPU, die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage etc.

Der Bußgeldkatalog wurde im April dieses Jahres erst verschärft, dann aber wieder entschärft. Gab es plötzlich zu viele Vergehen und zu viel bürokratischen Aufwand, oder was war der Grund?

Götz Scharnhoop: Der Grund, weshalb der verschärfte Bußgeldkatalog in der aktuellen Praxis nicht angewendet wird, liegt in einem redaktionellen Fehler bei Abfassung der neuen Bußgeldkatalog-Verordnung vom 20.04.2020. Es fehlt in Bezug auf die dort geregelten Fahrverbote gemäß der Bußgeldkatalog-Nummern 11.1.5 und 11.1.6 an dem Verweis auf die Rechtsgrundlage (= § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG). Das klingt erst einmal unspektakulär, hat für die Betroffene aber gewichtige und ausnahmsweise positive Folgen. Denn aufgrund dieses redaktionellen Versehens verstößt die Verordnung gegen das gesetzgeberische Zitiergebot des Artikel 80 S. 3 GG, welches Verfassungsrang hat. Hieraus folgt, dass nicht nur die Anordnung von Fahrverboten rechtswidrig wäre, sondern die gesamte Verordnung vom 20.04.2020, mit welcher die Bußgeldkatalog-Verordnung geändert wurde, ist als nichtig anzusehen. Folglich gelten die Regelbußen des alten Bußgeldkatalogs fort. Weil der Fehler erst Anfang Juli 2020 auffiel, gibt es derzeit noch eine ganze Reihe von Bußgeldbescheiden, die auf der verschärften Fassung beruhen und gegen die sich die betroffenen Autofahrer mit anwaltlicher Hilfe zur Wehr setzen.

Ist es erlaubt, dass ich als Unfallverursacher dem Unfallgegner einen Zettel an die Scheibe hänge, wenn dieser nicht auffindbar ist?

Götz Scharnhoop: Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass man seinen Pflichten als Unfallbeteiligter genügt, wenn man nach einem Unfall einen Zettel mit seinen Daten an dem beschädigten Kfz hinterlässt. Tatsächlich begeht man auch dann eine Unfallflucht nach § 142 StGB. Verkehrsjuristen sprechen in diesen Fällen von einer sog. „Zettelflucht“. Um seinen Pflichten als Unfallbeteiligter zu genügen muss man entweder vor Ort Kontakt mit dem Geschädigten aufnehmen, oder die Polizei verständigen. Nach Ablauf einer gewissen Wartezeit darf man die Unfallstelle verlassen, muss sich jedoch auf direktem Wege zur nächsten Polizeiwache begeben und den Schaden dort melden. Der Hintergrund ist, dass die Zettel die Geschädigten oftmals nicht erreichen, weil sie unzureichend angebracht sind. Für die Polizei und die Versicherung ist es im Übrigen von großem Interesse, ob der Fahrer im Unfallzeitpunkt über eine gültige Fahrerlaubnis verfügte, ob er alkoholisiert war, etc. Diese Fragen können nur anlässlich einer sofortigen Unfallaufnahme geklärt werden. Erfahrenen Verkehrsanwälten gelingt es bei einer „Zettelflucht“ aber häufig, das Verfahren gegen Leistung einer Geldauflage zur Einstellung zu bringen.

Kann ich die Aufnahmen meiner „Dash-Cam“ (Cockpit-Kamera) als Beweis anführen, wenn es z.B. um die Schuldfrage bei einem Unfall geht?

Götz Scharnhoop: Diese Frage war jahrelang zwischen Verkehrsanwälten und Datenschützern umstritten, wurde jedoch vom BGH im Mai 2018 zugunsten der Geschädigten entschieden. Zwar stellt das permanente und anlasslose Aufzeichnen des Straßenverkehrs mittels Dashcam grundsätzlich einen Verstoß gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht der übrigen Verkehrsteilnehmer dar. Hieraus folgt jedoch kein Beweisverwertungsverbot für den Zivilprozess. Der BGH hat in seiner Entscheidung klar gemacht, dass der eher geringe Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Einzelfall gegenüber dem berechtigten Interesse des Unfallbeteiligten an der Findung der materiellen Wahrheit zum Zwecke der Durchsetzung berechtigter oder der Abwehr unberechtigter Ansprüche zurückstehen muss.

Wenn ich keine Rechtsschutzversicherung habe, muss ich dann einen Anwalt bezahlen, auch wenn ich Geschädigter bin, oder zahlt das die gegnerische Versicherung?

Götz Scharnhoop: Auch ohne Rechtsschutzversicherung muss man nicht auf die Hilfe eines Rechtsanwalts verzichten. Der Versicherer des Unfallgegners trägt auch die Anwaltskosten, die bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen aus Verkehrsunfällen entstehen. Als rechtlicher Laie hat man einen Anspruch darauf, sich professioneller Hilfe zu bedienen und auf diese Weise Augenhöhe mit den Versicherungen herzustellen. Es geht ja oftmals nicht nur um die Frage, wer Schuld am Unfall hat, sondern es sind im Zusammenhang mit der Regulierung von Unfallschäden viele Streitfragen zur Höhe der Ersatzansprüche zu klären. Wichtig ist, dass der Unfallgegner nur dann die Anwaltskosten übernimmt, wenn er die Haftung anerkannt und den Schaden reguliert hat. Bei einer Haftungsteilung und Zurückweisung der Schadensersatzforderung bleibt der Geschädigte auf einem Teil, beziehungsweise allen Kosten der Rechtsverfolgung sitzen. Viele Verkehrsanwälte bieten ihren Mandanten deshalb eine kostenlose Erstberatung an, um die Haftungsfrage vorab zu erörtern.

Lohnt es sich, ein „Blitzerfoto“ anzuzweifeln und gegen den Bescheid von der Bußgeldstelle vorzugehen?

Götz Scharnhoop: Diese Frage lässt sich so pauschal nicht beantworten. Tatsache ist, dass eine Vielzahl von Messungen im Straßenverkehr erfolgreich angefochten werden können, was eine entsprechende Expertise des Verkehrsanwaltes voraussetzt. Es gibt unterschiedliche Messsysteme mit jeweils eigenen Stärken und Schwächen. Nur anhand des Blitzerfotos lassen sich Messfehler nicht entdecken. Hierfür fordern wir stets die komplette Ermittlungsakte der Bußgeldbehörde an und werten sie aus, wobei uns die jahrelange Erfahrung aus zahllosen Bußgeldverfahren hilft. Wo es erforderlich ist, arbeiten wir auch mit technischen Sachverständigen zusammen. Denn oftmals bedarf es schon eines sehr konkreten Aufzeigens eines Messfehlers, um die Bußgeldbehörde, beziehungsweise die Amtsgerichte zur Einstellung der Verfahren zu veranlassen.

Wenn ich acht Punkte in Flensburg angesammelt habe, verliere ich dann sofort meine Fahrerlaubnis? Für wie lange, und wie kann ich diese zurückbekommen?

Götz Scharnhoop: Jede rechtskräftige Entscheidung in Bußgeldsachen, die mit einem Punkt bewehrt ist, wird seitens der Bußgeldstelle oder des Amtsgerichts an das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg gemeldet und in das dortige Fahreignungsregister eingetragen. Ergeben sich 8 Punkte oder mehr, meldet das Kraftfahrtbundesamt dies der örtlich zuständigen Fahrerlaubnisbehörde. Diese leitet dann das Entziehungsverfahren ein. Zuvor durchläuft der Fahrerlaubnisinhaber bereits ein abgestuftes Maßnahmensystem. Bei Erreichen eines Punktestandes von 4 Punkten wird er zunächst einmal von der Führerscheinbehörde ermahnt (§ 4 Abs.5 S.1 Nr. 1 StVG), bei Erreichen eines Punktestandes von 6 Punkten erhält er eine Verwarnung (§ 4 Abs.5 S.1 Nr. 2 StVG). Kommen nach Erhalt der Verwarnung weitere Punkte zur Eintragung, so dass 8 Punkte oder mehr erreicht sind, wird die Fahrerlaubnis entzogen. Um eine neue Fahrerlaubnis zu erwerben, muss ein Antrag bei der örtlichen Fahrerlaubnisbehörde gestellt werden. In Berlin ist dies das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO). Bei Entzug der Fahrerlaubnis aufgrund von 8 oder mehr Punkten darf eine neue Fahrerlaubnis frühestens 6 Monate nach Wirksamkeit der Entziehung erteilt werden. Die Frist beginnt mit der Ablieferung des Führerscheins (§ 4 Abs. 10 S.3 StVG). Vor Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis wird durch die Behörde gemäß § 4 Abs. 10 S. 4 StVG in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung angeordnet, die sog. MPU (Medizinisch-psychologische Untersuchung).

Herr Rechtsanwalt Scharnhoop, vielen Dank für das Gespräch.

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