Helen Dill: Schweigen des Kunden darf nicht als Zustimmung gewertet werden

Interview mit Helen Dill
Helen Dill ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Ohr. Mit ihr sprechen wir über Auswirkungen des BGH-Urteils bzgl. der Kontogebühren sowie niedrige Gebühren.

Der BGH hat im April entschieden, dass Banken immer bei Änderungen der AGB eine Zustimmung der Kunden einholen müssen. Welche Auswirkungen hat das Urteil bezüglich der Kontogebühren?

Helen Dill: Das Urteil des BGH vom 27.004.2021 (Az.: XI ZR 26/20) hat Wirkungen für die Vergangenheit sowie für die Zukunft. Für die Vergangenheit bedeutet das Urteil, dass Bankkunden nunmehr Geld von ihrer Bank zurückfordern können. Voraussetzung hierfür ist, dass die Bank entweder die zu Vertragsbeginn vereinbarten Gebühren mit der Zeit erhöhte oder gar einführte, ohne hierfür die Zustimmung des Kunden eingeholt zu haben. Denn das Schweigen des Kunden darf nicht als Zustimmung gewertet werden. Für die Zukunft bedeutet das Urteil, dass Banken nur dann Gebühren erhöhen oder einführen dürfen, wenn der Kunde diesem Vorgang aktiv zugestimmt hat. Das Urteil wird damit zur Folge haben, dass die Kreditinstitute ihre Kunden nunmehr zur Zustimmung auffordern werden. Bei Verweigerung der Zustimmung können die Institute das Konto kündigen. Für die Kündigung durch die Bank bedarf es hierzu keines Grundes. Die Kündigungsfrist beträgt mindestens 2 Monate. Anbei ein Auszug aus den AGB der Postbank: https://www.postbank.de/dam/postbank/pdf/allgemein/Postbank-Allgemeine-Geschaeftsbedingungen-676-030-011-0621.pdf. Deren Kündigungsklausel ist wie folgt ausgestaltet:

Das Recht der Sparkassen zur ordentlichen Kündigung ist hingegen vom Vorliegen eines sachgerechten Grundes abhängig. Hintergrund ist, dass die Sparkassen Teil des Staates sind und daher mehr Pflichten haben als reine Privatunternehmen. Ob eine fehlende Zustimmung zur Gebührenerhöhung oder Einführung einen solchen sachgerechten Grund darstellt bleibt damit abzuwarten. Anbei ein Auszug aus den AGB der Sparkasse Kaiserslautern: https://www.stadtsparkasse-kaiserslautern.de/content/dam/myif/ssk-kaiserslautern/work/dokumente/pdf/vertragsbedingungen/AGB.pdf

Ferner haben viele Kunden ihr Konto eröffnet, als die Banken noch keine Kontoführungsgebühren erhoben haben. Erst sukzessive wurden diese eingeführt. Da der Kunde dem in der Regel nicht zugestimmt hat, haben die Konditionen zum Vertragsbeginn zu gelten.

Können sich jetzt alle Bankkunden über niedrigere Gebühren freuen?

Helen Dill: Die Institute, die bereits in der Vergangenheit Gebühren – ohne Zustimmung – erhöht oder eingeführt haben, werden meines Erachtens diese nicht herabsetzen.

Vielmehr gehe ich davon aus, dass die Kunden zur Zustimmung aufgefordert werden bei gleichzeitiger Androhung der Kündigung.

Meines Wissens erhebt z.B. die Sparkasse Kaiserslautern weiterhin Gebühren, ohne die aktive Zustimmung ihrer Kunden einzuholen. Da die vorstehende Entscheidung des BGH zu den AGB der Postbank erging, argumentiert die Sparkasse wie folgt: „Ob sich hieraus (aus dem Urteil) Auswirkungen für die AGB der Sparkasse Kaiserslautern ergeben, muss zunächst analysiert werden.“  Daraus lässt sich durchaus eine gewisse Haltung ableiten.

Was können Verbraucher und Unternehmen tun, die in der Vergangenheit zu hohe Gebühren verlangt haben?

Helen Dill: Verbraucher, die in der Vergangenheit zu hohe Gebühren bezahlt haben, können diese von ihrer Bank zurückfordern. Hierzu gehören z.B. Kontoführungsgebühren, Entgelte für Ein- und Auszahlungen, Entgelte für Kontoauszüge, Entgelte für SMS-Tan-Verfahren. Für die Gebührenhöhe müssen die Kontoauszüge nicht durchgesucht werden und die Gebühren aufwendig für jeden Monat zusammengerechnet werden. Hier empfehle ich, zur Bank zu gehen und nach einer kostenlosen Entgeltaufstellung zu Fragen. Dieser lässt sich einfach entnehmen, ob und in welcher Höhe Gebühren bezahlt wurden. Der nächste Schritt wäre die Bank anzuschreiben und diese unter Fristsetzung aufzufordern, die unrechtmäßig erhobenen Gebühren zurückzuerstatten. Hierfür kann ein von der Verbraucherzentrale zur Verfügung gestellt kostenfreie Musterbrief genutzt werden (https://www.verbraucherzentrale.de/aktuelle-meldungen/geld-versicherungen/unzulaessige-vertragsaenderungen-so-koennen-sie-bankgebuehren-zurueckfordern-60926#3).

Lehnt die Bank eine Nachzahlung ab oder reagiert diese gar nicht, so kann nur ein Gang zum Rechtsanwalt helfen. Derzeit wird unter Berufung auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofs davon ausgegangen, dass die 10-jährige Verjährungsfrist gilt. Diese beginnt erst mit Kenntnis des Verbrauchers vom aktuellen Urteil zur Unwirksamkeit der Gebührenanpassungsklausel.

Damit können die Gebühren ab 2011 zurückgefordert werden. Damit sind auch die Entgeltaufstellungen ab dem Jahre 2011 anzufordern.

Einige Banken reagieren auf Klagen mit Kontokündigungen. Sind die Kündigungen rechtswirksam?

Helen Dill: Siehe Antwort zur Frage 1.

Im Ergebnis ist hier zu differenzieren zwischen den Privatbanken und den Sparkassen als Anstalten des öffentlichen Rechts. Die Privatbanken können ohne Angabe von Gründen von ihrem ordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch machen. Die Sparkassen bedürfen für die ordentliche Kündigung hingegen einen sachgerechten Grund. Ein sachgerechter Grund ist gegeben, wenn die Umstände, die die Sparkasse zur Kündigung veranlassen, derart beschaffen und zu bewerten sind, dass ein unvoreingenommener, vernünftiger Beobachter das Verhalten der Sparkasse für eine nachvollziehbare und der Sachlage nach angemessene Reaktion halten muss (vgl. BGH, NJW 2019, 2920 Rn. 45). Meines Erachtens kann eine verweigerte Zustimmung keine Kündigung rechtfertigen. Denn eine solche Verweigerung bzw. Nichtzustimmung müsste eine erhebliche Verletzung der vertraglichen Pflichten des Kunden gegenüber der Sparkasse bedeuten. Damit wird die Kündigung einer Sparkasse nicht ohne Weiteres wirksam sein.  

Die Finanzlobby an die Bundesregierung beklagt, dass den Banken hohe Belastungen drohen. Ist das Wolfsgejammer oder eine berechtigte Sorge?

Helen Dill: Selbstverständlich kann die Angelegenheit für die Banken teuer werden. Dies setzt allerdings voraus, dass die Verbraucher aktiv werden und die Gebühren zurückfordern und bereit sind, ihre Ansprüche gegebenenfalls auf dem Klageweg durchzusetzen. An dieser Bereitschaft scheitert es meist, sei es, weil man die guten Beziehungen zur Bank bewahren will, dass man keine Rechtsschutzversicherung hat oder einfach nicht die Energie oder auch Lust hat, sich mit der Bank anzulegen.

Könnten einige Banken durch das BGH-Urteil tatsächlich in finanzielle Schieflage geraten?

Helen Dill: Das kann ich leider nicht beantworten. Hierzu müsste ich entsprechende Einsicht in die finanzielle Situation des jeweiligen Kreditinstitutes haben. Ferner lässt sich derzeit nicht abschätzen, wie viele Kunden die Ansprüche durchsetzen werden.

Frau Dill, vielen Dank für das Gespräch!

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