Insolvenz-Tsunami für 2020 nicht mehr erwartet – Joachim Voigt-Salus (VOIGT SALUS)

Interview mit Joachim Voigt-Salus
Rechtsanwalt Joachim Voigt-Salus ist Fachanwalt für Insolvenzrecht sowie Insolvenzverwalter bei VOIGT SALUS. Im Interview spricht er über die Änderungen bei der Insolvenzantragspflicht und nennt verschiedene Verfahrensweisen.

Während der Corona-Pandemie war die Insolvenzantragspflicht zeitweise ausgesetzt. Was ändert sich ab Oktober und unter welchen Umständen sind Geschäftsführer verpflichtet Insolvenz anzumelden?

Joachim Voigt-Salus: Geschäftsführer oder Vorstände einer Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) müssen einen Insolvenzantrag stellen, wenn die Gesellschaft überschuldet und/oder zahlungsunfähig ist. Diese Verpflichtung hatte der Gesetzgeber bis zum 30.09.2020 ausgesetzt. Seit dem 1.10.2020 besteht die Insolvenzantragspflicht dann, wenn Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn über einen Prognosezeitraum von drei Wochen nicht 90% der fälligen Verbindlichkeiten bezahlt werden können. Bei der Überschuldung hat der Gesetzgeber das Moratorium bis zum Ende dieses Jahres verlängert. Überschuldet ist eine Gesellschaft dann, wenn die Verbindlichkeiten (also auch die nicht fälligen) höher als alle Vermögenswerte der Gesellschaft sind.

Droht jetzt eine zeitverzögerte Pleitewelle?

Joachim Voigt-Salus: Einen Tsunami der Insolvenzen wird es in diesem Jahr meines Erachtens nicht geben. Grund ist, dass der Staat mit den Hilfen und vor allem dem Instrument der Kurzarbeit den Unternehmen hilft. Ich rechne lediglich damit, dass die Unternehmen den Gang zu Insolvenzrichter antreten müssen, deren Geschäftsmodell mit der Corona Pandemie schwer beschädigt wurde. Dies betrifft vor allem die Gastronomie, Hotellerie und diejenigen, die sich mit Veranstaltungen beschäftigen.

Mit einem Anstieg der Insolvenzen ist jedoch voraussichtlich im neuen Jahr zu rechnen. Möglicherweise verschärft sich im nächsten Jahr die Lage, weil die Folgen der Corona Pandemie zu der bereits im Jahre 2019 eingetretenen wirtschaftlichen Schwäche der Automobilindustrie hinzutreten.

Wie verläuft ein Insolvenzverfahren üblicherweise?

Joachim Voigt-Salus: Der Gesetzgeber hat mit der Insolvenzordnung (InsO) im Jahre 1999 ein sehr modernes Recht geschaffen, das auf die Sanierung von Unternehmen setzt. Im Jahre 2012 hat er mit dem ESUG die Möglichkeiten der Eigenverwaltung noch einmal verstärkt. Es ist damit möglich, dass der Unternehmer in Eigenverwaltung mittels eines Insolvenzplans einen Vergleich mit seinen Gläubigern erzielt. Für einen Zeitraum von drei Monaten kann über das Insolvenzgeld erreicht werden, die Sanierung zunächst ohne Belastung der Lohnkosten anzugehen. Das Gericht stellt dem Eigenverwalter einen Sachwalter zur Seite.

Die noch aus der Konkursordnung bekannte typische Liquidation des Unternehmens ist damit nicht mehr die einzige Verfahrensweise. Diese kommt allerdings nach wie vor dann in Betracht, wenn ein Marktaustritt des Unternehmens organisiert wird. In diesem Fall werden in dem sogenannten Regelverfahren durch einen Insolvenzverwalter das Vermögen veräußert, die Forderungen eingezogen und etwaige Anfechtungs- oder Schadensersatzansprüche verfolgt. Die daraus resultierenden Einnahmen werden unter Beachtung von besonderen Vorrechten einiger Gläubiger (Absonderungsrechte oder besondere Ansprüche der Vermieter und Arbeitnehmer) gleichmäßig auf die Insolvenzgläubiger verteilt.

Das Bundesjustizministerium hat vor wenigen Tagen einen Entwurf vorgelegt, mit dem das Sanierungsrecht weiter verstärkt werden soll. Im Wesentlichen beruht dieser Vorstoß auf einer Richtlinie der Europäischen Union. Neben der Insolvenzordnung soll damit künftig ein weiteres Gesetz einen sogenannten Restrukturierungsplan ermöglichen, der den Verzicht der Gläubiger außerhalb eines Insolvenzverfahrens ermöglichen soll. Das Ministerium plant, dass dieses Gesetz bereits zum 1. Januar nächsten Jahres in Kraft tritt.

Ein Insolvenzverfahren kann für Unternehmen auch die Chance auf einen Neuanfang bedeuten. Wie funktioniert ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung?

Joachim Voigt-Salus: Mit einem Insolvenzplan kann der Unternehmer die Entschuldung seiner Person oder seiner Gesellschaft erreichen. Oft wird es jedoch nötig sein, dass eine vollständige Sanierung erst dann erreicht ist, wenn das Unternehmen eine neue Finanzierung erhält. Voraussetzung dafür ist regelmäßig, dass auch eine leistungswirtschaftliche Sanierung erfolgt. Dafür bietet das Insolvenzrecht Instrumente an. Insbesondere ist es möglich, einen etwaig notwendigen Personalabbau zu organisieren und durch besondere Kündigungsmöglichkeiten Verträge zu beenden.

Herr Voigt-Salus, vielen Dank für das Gespräch.

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