Julia Fochler: Wann darf abgeschleppt werden?

Interview mit Julia Fochler
Wir sprechen mit Rechtsanwältin Julia Fochler, Fachanwältin für Verkehrsrecht in der Rechtsanwaltssozietät Dr. Schilde Fochler Kröger aus Berlin, über Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Abschleppen von abgestellten Fahrzeugen.

Immer wieder gibt es Streit, ob es notwendig war, ein Fahrzeug abzuschleppen oder ob der/die Halter/in stattdessen lediglich hätten verwarnt werden können. Wie groß ist da der Ermessensspielraum?

Julia Fochler: Das der Behörde zustehende Ermessen muss sie pflichtgemäß ausüben. Dabei hat sie stets die im Einzelfall maßgeblichen Gegebenheiten und die in Betracht kommenden Handlungsalternativen zu berücksichtigen und muss das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachten. Das Umsetzen eines Fahrzeugs ist dann nicht verhältnismäßig, wenn sich die Störung auch durch eine weniger belastende Maßnahme beseitigen lässt. Wenn beispielsweise ein parkendes Fahrzeug eine Feuerwehrzufahrt oder Rettungswege versperrt, besteht nahezu kein Ermessen, sondern das Fahrzeug muss abgeschleppt werden, um die Verkehrssicherheit herzustellen. Anders sieht es aus, wenn das Fahrzeug verbotswidrig in einer von Verkehrsteilnehmern wenig genutzten Straße abgestellt worden ist und es sonst niemanden behindert. Dann kann auch eine Verwarnung ausreichen.

Wie groß sind die Chancen, erfolgreich gegen das Abschleppen zu klagen?

Julia Fochler: Auch hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an, insbesondere auf die konkrete Örtlichkeit, an der das Fahrzeug geparkt worden ist sowie die dortige Beschilderung und die sonstigen Umstände. Wurde das Fahrzeug beispielsweise unberechtigt auf einem Behindertenparkplatz abgestellt, dürfte eine Klage wenig Aussicht auf Erfolg haben. Eine Klage könnte hingegen erfolgreich sein, wenn vorübergehende Halteverbotsschilder so aufgestellt worden sind, dass sie vom Autofahrer nicht zu erkennen waren.

Wenn jemand meine private Einfahrt zuparkt, muss ich dann selbst das Abschleppen organisieren, oder wird die Polizei bzw. das Ordnungsamt tätig?

Julia Fochler: Steht das Fahrzeug im öffentlichen Verkehrsraum sind Polizei und Ordnungsamt die richtigen Ansprechpartner, wenn eine Einfahrt zugeparkt ist. Anders liegt der Fall, wenn das Fahrzeug auf dem privaten Grundstück steht. Dann muss der Eigentümer das Abschleppen selbst organisieren. Dies bedeutet allerdings auch, dass er die Kosten für das Abschleppen erst einmal selbst tragen und sie später vom Falschparker wieder zurückfordern muss. Vielfach besteht die einfachste Lösung jedoch darin, den Falschparker selbst zu suchen. Oft hält sich dieser noch in der Nähe auf und kann so unkompliziert aufgefordert werden, sein Fahrzeug aus der Einfahrt zu fahren.

Wie regelt das Gesetz, ob es angemessen ist, ein Auto abzuschleppen? Geht es da streng nach Paragrafen oder hat der/die Ordnungsamt Mitarbeiter/in die Möglichkeit vom Abschleppen abzusehen (z.B. aus Kulanz)?

Julia Fochler: In den Sicherheits- und Ordnungsgesetzen der Bundesländer ist gesetzlich geregelt, wann ein Fahrzeug umgesetzt werden kann. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht und eine Inanspruchnahme des Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig möglich ist. Bei den gesetzlichen Regelungen handelt es sich, wie bereits erwähnt, um Ermessensvorschriften. Das Ermessen muss die Behörde pflichtgemäß ausüben, d. h. die Umsetzung darf nur erfolgen, wenn keine andere weniger belastende Maßnahme ergriffen werden kann.

Man hört ab und zu davon, dass ein Fahrzeug nur umgesetzt oder in anderen Fällen auf den Hof des Abschleppunternehmens geschleppt wird. Worin liegt der Unterschied?

Julia Fochler: Wird ein Fahrzeug auf einem privaten Grundstück widerrechtlich abgestellt, verbringt das vom Eigentümer des Grundstücks beauftragte Abschleppunternehmen das Fahrzeug oftmals auf den Betriebshof des Abschleppunternehmens. Dort wird das Fahrzeug regelmäßig nur dann herausgegeben, wenn die Abschleppkosten direkt vor Ort bezahlt werden. Der Falschparker muss sich hinterher um eine eventuelle Kostenerstattung selbst bemühen, sofern er der Auffassung ist, die Umsetzung war rechtswidrig. Parkt man verbotswidrig auf öffentlichem Straßenland, initiieren die Polizei oder das Ordnungsamt oft eine Umsetzung in eine in der Nähe gelegene Straße. Der Betroffene muss dann bei der zuständigen Behörde anrufen und erfährt, wo sich sein Fahrzeug befindet. Die Kosten für die Umsetzung werden dem Falschparker von der Behörde hinterher in Rechnung gestellt. Bezahlt der Falschparker die Rechnung nicht, liegt es an der Behörde, die Kosten bei diesem durchzusetzen.

Was mache ich, wenn der Falschparker auf privatem Grund seine Abschleppkosten an den Grundstückseigentümer, der in Vorleistung geht, nicht bezahlen will?

Julia Fochler: Reagiert der Falschparker auch auf Mahnungen des Grundstückseigentümers auf Erstattung der Abschleppkosten nicht, hilft oft der Gang zu einem auf das Verkehrsrecht spezialisierten Rechtsanwalts. Dieser fordert den Falschparker in der Regel selbst noch einmal auf, die Abschleppkosten zu zahlen. In vielen Fällen gelingt es so, die Kosten zurückzuerhalten. Ist der Falschparker besonders renitent und gleicht die Forderungen dennoch nicht aus, bleibt nur noch die Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs auf gerichtlichem Weg in Form eines zivilrechtlichen Klageverfahrens.

Was mache ich im Streitfall, wenn mein Fahrzeug nach dem Abschleppen beschädigt ist?

Julia Fochler: Grundsätzlich ist der Falschparker immer in der Nachweispflicht und muss beweisen, dass die Schäden durch das Abschleppen entstanden sind und nicht davor schon vorhanden waren. Wichtig ist daher zunächst, die Schäden und die Kosten für deren Beseitigung festzustellen. Das gelingt am einfachsten durch die Einholung eines Kostenvoranschlags bei einer Werkstatt oder eines Schadengutachtens bei einem Kfz-Sachverständigen. Sodann müsste geklärt werden, wer für die Reparaturkosten in Anspruch genommen werden kann. In den meisten Fällen ist dies nicht der Abschleppunternehmer selbst, sondern der dahinterstehende Auftraggeber. Und schließlich müsste der entstandene Schaden geltend gemacht werden. Auch hier sollte wegen der zahlreichen Fallstricke nicht an der falschen Stelle gespart und professionelle Hilfe zur Schadendurchsetzung in Anspruch genommen werden.

Frau Rechtsanwältin Fochler, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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