Juristische Personen haben ein Unternehmenspersönlichkeitsrecht – Rechtsanwältin Friederike Lemme

Interview mit Friederike Lemme
Friederike Lemme betreibt eine Internetkanzlei in Berlin. Im Interview spricht die Juristin über das Recht auf „Vergessen werden“ und die aktuelle Rechtsprechung des BGH zur Störerhaftung von Suchmaschinenbetreibern und Sozialen Netzwerken.

Negative Berichte und Kommentare im Internet sind ein häufiges Ärgernis für Unternehmen. Welche Möglichkeiten gibt es eine Löschung oder Richtigstellung zu erreichen?

Friederike Lemme: Grundsätzlich gilt erste einmal das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit. Dieses Recht ist in Art. 5 Grundgesetz geschützt. Demnach darf jeder seine Meinung frei äußern, solange diese nicht die Rechte anderer verletzt. Dazu gehört auch das Recht, Kritik zu üben und negative Äußerungen vorzunehmen. Unternehmen müssen dies grundsätzlich hinnehmen und aushalten. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Bewertung oder der Kommentare die Rechte des Unternehmens verletzt. Das ist in der Regel immer dann der Fall, wenn die Äußerung auch den Straftatbestand der Beleidigung, üblen Nachrede oder Verleumdung erfüllt. Das Recht auf freie Meinungsäußerung schützt nicht das Äußern nachweislich falscher Tatsachen. Auch Formalbeleidigungen und Schmähkritik, also Äußerungen, die lediglich und einzig darauf abzielen, den anderen in seiner Ehre herabzuwürdigen, sind nicht vom grundrechtlichen Schutz umfasst. Gegen solche Äußerungen stehen den Betroffenen Unterlassungsansprüche zu, die direkt gegen die Person, die sich geäußert hat, geltend gemacht werden können. Hier stehen die Rechtsmittel einer Abmahnung und einer Unterlassungsklage, im Eilverfahren auch im Wege einer einstweiligen Verfügung, zur Verfügung.

Da die Bewertenden selbst jedoch in den meisten Fällen nicht namentlich bekannt sind, weil sie ihre Bewertungen und Kommentare im Internet unter einem Pseudonym abgegeben haben, stehen den Betroffenen auch Möglichkeiten offen, sich wegen einer Löschung direkt an das entsprechende Portal im Internet zu wenden. Viele Plattformen haben hierfür eigene Formulare eingerichtet, in denen die zu löschenden Kommentare gemeldet werden können. Die Portale – Suchmaschinenbetreiber, soziale Netzwerke, etc. – sind dann zur Löschung verpflichtet, wenn es sich tatsächlich um eine Rechtsverletzung handelt und nicht lediglich unliebsame und negative Bewertungen gemeldet werden, die aber rechtlich nicht zu beanstanden sind. Daher ist es zu empfehlen, bei einer beanstandeten Bewertung dem Portal gegenüber genau darzulegen, worin die Rechtsverletzung und weshalb daher ein Löschungsanspruch besteht. Dieser Löschungsanspruch gegenüber dem Portal kann auch gerichtlich geltend gemacht werden.

Im Übrigen haben auch juristische Personen, wie z.B. GmbHs oder Aktengesellschaften, ein sogenanntes Unternehmenspersönlichkeitsrecht, das gesetzlich geschützt ist. Wenn also ein Kommentar oder eine Äußerung im Internet in dieses Persönlichkeitsrecht eingreift, stehen dem betroffenen Unternehmen dieselben Ansprüche zu wie auch Einzelunternehmern, Kaufleuten und allen anderen natürlichen Personen.

Häufig haben die Betreiber der Webseiten ihren Sitz im Ausland. Ist die Durchsetzung einer Löschung dennoch möglich?

Friederike Lemme: Wie schon beschrieben erfolgt die Meldung der rechtsverletzenden Kommentare meistens über ein online bereit gestelltes Formular. Bei dem Ausfüllen kommt es nicht auf den Sitz des Webseitenbetreibers an. Wenn der gewünschte Erfolg damit nicht herbeigeführt werden kann und gerichtliche Hilfe benötigt wird, kann die Klage in aller Regel auch in Deutschland vor einem deutschen Gericht erhoben werden. Der Gerichtsstand ergibt sich dann daraus, dass die Rechtsverletzung, nämlich die Verletzung des Persönlichkeitsrechts in Deutschland eingetreten ist. Schwieriger wird es bei ausländischen Anbietern dann gegebenenfalls mit der Durchsetzung eines hier erstrittenen Urteils.

Gibt es Unterschiede bei der Durchsetzbarkeit deutscher Urteile im EU-Ausland und Nicht-EU-Ausland?

Friederike Lemme: Bei der Vollstreckung von titulierten Forderungen, also Durchsetzung gerichtlich bestätigter Ansprüche, im EU-Ausland hat der EU-Verordnungsgeber entsprechende Rechtsgrundlagen erlassen, so dass eine Vollstreckung, also Durchsetzung des Anspruchs relativ problemlos möglich ist. Es wird lediglich das deutsche Urteil, gegebenenfalls in übersetzter Form in die jeweilige Landessprache, sowie ein entsprechendes Formular benötigt. Bei der Vollstreckung im Nicht-EU-Ausland wird es schon erheblich komplizierter. Hier kommt es sehr stark auf das Land an, in dem die Vollstreckung stattfindet. Mit einigen Ländern hat Deutschland internationale Abkommen geschlossen, denenzufolge die Drittländer deutsche Urteile anerkennen und somit aus Ihnen auch vollstreckt werden kann. In anderen Ländern müssen unter Umständen noch (langwierige) Anerkennungsverfahren geführt werden. Wiederum andere3 Länder sehen werde das eine noch das andere vor, so dass dann eigentlich in diesen Ländern erneut geklagt werden müsste.

Der BGH hat im Jahr 2014 das „Recht auf Vergessen“ bestätigt. Was ist damit gemeint?

Friederike Lemme: Nicht nur das EuGH-Urteil aus dem Jahr 2014 hat das Recht auf Vergessenwerden damals einem Kläger zugestanden. Es ist nunmehr seit Einführung der DSGVO auch kodifiziert. Damit soll jeder Einzelne das Recht haben, die Löschung von digitalen Informationen über ihn zu verlangen. Es soll verhindert werden, dass jemand durch Ereignisse, die schon lange Zeit zurückliegen aber im Internet noch abrufbar sind, in seinem aktuellen Leben und Fortkommen beeinträchtigt wird, wenn diese Ereignisse zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr relevant sind.

Seit einem BGH-Urteil im Jahr 2018 (BGH, Urteil v. 27.2.2018, Az. VI ZR 489/16) haben Suchmaschinenbetreiber mit Verweis auf fehlende „Kenntnis von einer `offensichtlichen´, auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung“ die Löschung i.d.R. abgelehnt. Wie haben die LG und OLG auf dieses Urteil reagiert?

Friederike Lemme: Der BGH hat mit diesem Urteil eigentlich nur die bestehende Systematik zur sogenannten Störerhaftung angewandt und bestätigt. Da die Suchmaschinenbetreiber die Inhalte nicht selbst im Internet veröffentlich haben, haften sie nicht aufgrund eigenen Verschuldens. Sie machen die gegebenenfalls zu löschenden Inhalte nur auffindbar und tragen somit kausal zur Rechtsverletzung bei, ohne jedoch selbst die Rechtsverletzung zu begehen. Daher sind sie als sogenannten Störer nur ab dem Moment zur Löschung verpflichtet, ab dem sie Kenntnis von der Rechtsverletzung haben. Diese muss auch von dem Störer als solche offensichtlich erkennbar sein. Im dem vom BGH entschiedenen Fall war dies offenbar nicht so. Ein neues Prinzip wurde damit aber nicht begründet, da diese Systematik der Störerhaftung schon lange im Zivilrecht verankert ist. Es kommt dabei jeweils auf den Einzelfall an, ob in dem konkreten Fall eine Rechtsverletzung klar erkennbar und offensichtlich ist. Schließlich ist der BGH jedoch mit einer in diesem Jahr ergangenen Entscheidung zu Suchmaschinenanbietern von dieser Haftungsprivilegierung von Suchmaschinen abgerückt.

Mit der Entscheidungen vom 27. Juli 2020 (VI ZR 405/18 und VI ZR 476/18) hat der BGH seine Rechtsprechung geändert. Wie beurteilen Sie die neue Rechtslage?

Friederike Lemme: Auch hier hat der BGH im Grunde keine neue Rechtslage geschaffen. Bereits zuvor haben der EuGH und das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass vor einer Löschung auf der Grundlage des Rechts auf Vergessenwerden (Art. 17 DSGVO) eine umfassende Grundrechtsabwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern vorzunehmen ist. Hierbei stehen sich zum einen die Grundrechte der betroffenen Person, also insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, einerseits sowie die Grundrechte der jeweiligen Internetanbieter, die Interessen derer Nutzer und die der Öffentlichkeit andererseits gegenüber. Dabei handelt es sich insbesondere um die Meinungs- und gegebenenfalls auch Pressefreiheit, die auf Seiten der Anbieter steht. Wie weit die bis dahin bestehende Haftungsprivilegierung aufgegeben werden soll, bleibt abzuwarten. Denn bis jetzt liegen die Urteilsgründe noch nicht vor.

Frau Lemme, vielen Dank für das Gespräch.

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