Katja Conradt: Alle Mitgliedsstaaten der EU profitieren vom freien Binnenmarkt

Interview mit Katja Conradt
Katja Conradt ist Fachanwältin für internationales Wirtschaftsrecht bei Rödl & Partner in Stuttgart. Rödl & Partner sind Rechtsanwälte, Steuerberater, Unternehmens- und IT-Berater und Wirtschaftsprüfer mit 109 Standorten in 49 Ländern. Im Interview spricht Katja Conradt über die Auswirkungen des Brexit auf deutsche Unternehmen.

Ein unkontrollierter Brexit wird immer wahrscheinlicher. Was wären die schlimmsten, sofort auftretenden Konsequenzen für Unternehmen, die in Großbritannien tätig sind bzw. dort produzieren?

Katja Conradt: Alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bzw. des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) profitieren vom freien Binnenmarkt. Waren können frei und somit schnell nicht nur zum Verkauf angeboten, sondern auch unmittelbar zur Verfügung gestellt werden. Das ist ein großer Wettbewerbsvorteil gegenüber Unternehmen, die nicht Teil des EWR sind. Unternehmen, die weiter in GB produzieren, werden im Falle eines Austritts ohne ein besonderes Abkommen diesen Vorteil nicht mehr nutzen können, da – sollte es so kommen – ab dem 1. Januar 2021 Waren aus GB erst zur Einfuhr in die EU zollrechtlich angemeldet werden müssen, sprich Zollformalitäten zu erledigen sind, die nicht nur zeitaufwendig sein können, sondern auch Mehrkosten verursachen. Im Vergleich zu Wettbewerbern im Binnenmarkt wird sich dieser Nachteil bemerkbar machen. Gleiches gilt für Waren, die zur Produktion in GB benötigt werden, und bisher aus anderen Ländern der EU bezogen wurden, diese sind künftig zur Ausfuhr aus der EU und Einfuhr in GB anzumelden. Trotz aller Bemühungen diese künftige Prozedur zu vereinfachen, wird man sich im Handel mit GB darauf einstellen müssen, dass es erstmal länger dauern und im Zweifel mehr kosten wird. Diesen Nachteil bzw. diese Konsequenz werden Unternehmen sofort merken, und sicher auch die Konsumenten.

Welche Branchen sind aktuell am stärksten durch Verwerfungen vom Brexit betroffen?

Katja Conradt: Stark betroffen ist die Automobil- und insbesondere die Automobilzuliefererbranche, da Warenwege und Produktionsstandorte hinterfragt werden. Aufgrund der großen Unsicherheit und somit erschwerten Planbarkeit bekommen Unternehmen aus GB oder mit Produktionsstandort in GB derzeit nicht unbedingt den Zuschlag. Die Lebensmittelbranche und die Konsumenten in GB werden einen harten Brexit ebenfalls deutlich spüren.

Welche rechtlichen Grundlagen würden für den Handel mit Unternehmen aus GB bei einem unkontrollierten Brexit Anwendung finden?

Katja Conradt: Das ist eine gute Frage. Nun, sofern es bis zum Jahresende nicht doch noch zu einer Einigung über ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und GB kommen sollte, fällt GB im Verhältnis zu EU auf den Status eines einfachen Mitgliedes der Welthandelsorganisation (WTO) zurück, das wiederum bedeutet, dass GB weder diskriminiert noch bevorzugt werden darf, sprich für den Handel mit Unternehmen in GB die gleichen Regeln (bspw. Drittlandszollsatz) anzuwenden sind, wie gegenüber jedem anderen WTO-Mitgliedsstaat, mit welchem eben kein besonderes Freihandels- oder Assoziierungsabkommen besteht. Aus Europäischer Sicht kommt der EU-Zollkodex, sowie das EU-Exportkontrollrecht zur Anwendung, das heißt Exporte sind anzumelden und Vertragspartner, sowie Waren exportkontrollrechtlich zu prüfen. Gegebenenfalls müssen für ausfuhrgenehmigungspflichtige Waren allgemeine Ausfuhrgenehmigungen genutzt oder gegebenenfalls Einzelausfuhrgenehmigungen beantragt werden. Gleiches gilt aus Sicht von GB, der EU-Zollkodex findet dann keine Anwendung mehr, teilweise wird sich GB neue Zollregelungen geben müssen.

Wie können sich Unternehmen vorbereiten, die unmittelbar vom Brexit betroffen sind?

Katja Conradt: Sofern das Unternehmen bis dato ausschließlich innerhalb des EU-Binnenmarktes tätig ist, wäre der Antrag auf Erteilung einer EORI (Economic Operators´ Registration and Identification number – auf Deutsch: Nummer zur Registrierung und Identifizierung von Wirtschaftsbeteiligten) unter www.zoll.de beziehungsweise www.zoll-portal.de eine erste vorbereitende Maßnahme, da – wie bereits erwähnt – künftig Lieferungen aus oder nach GB als Ein- bzw. Ausfuhr angemeldet werden müssen und hierzu zwingend eine EORI erforderlich ist. Des Weiteren sollten die Warenwege, sowie gegebenenfalls vorhandene Warenlager im In- und Ausland auf den Prüfstand gestellt werden. Sollte das Unternehmen über eine eingetragene EU-Marke verfügen, wird ab dem 1. Januar 2021 zum Schutz derselben in GB eine nationale Markenregistrierung erforderlich sein. Aufgrund des künftigen Mehraufwandes an Zeit und Kosten durch Verzollung (Anmeldung, etc.) ist im Falle bestehender Verträge zu klären, wer die Mehrkosten zu tragen hat und im Falle künftiger Vertragsschlüsse auf geeignete Incoterm®-Regelung zu achten.

Welche sind die häufigsten Mandate, die Sie im Zusammenhang mit dem Brexit betreuen?

Katja Conradt: Seit der Austrittserklärung sind wir am häufigsten um eine Beurteilung der künftigen Warenwege und damit verbunden der Ursprungsregelungen gebeten worden, da der Warenursprung, der für den künftigen Export in andere Drittländer wesentlich ist, im Falle eines harten Brexit verloren gehen könnte. Aktuell erreichen uns auf deutscher Seite viele Anfragen, die den Umgang mit Warenlagern im Vereinigten Königreich betreffen, insbesondere den Umgang mit so genannten Konsignationslagern beim Kunden in GB. Auf britischer Seite verzeichnen unsere Kollegen in Birmingham vermehrt Anfragen zur Unternehmensgründung aufgrund der in Aussicht gestellten Vereinfachungen im Bereich der Einfuhrabfertigung in GB, sowie Anfragen zur Markenregistrierung in GB.

Frau Conradt, vielen Dank für das Gespräch.

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