Krankgeschrieben – Kündigung trotzdem möglich!

Interview mit Lars Kohnen
Wir sprechen mit Lars Kohnen, Gesellschafter und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kohnen & Krag Rechtsanwälte | Fachanwälte PartmbB, über Abmahnungen im Arbeitsrecht. In Hamburg ansässig, verfügen die Anwälte über langjährige, praktische Erfahrung im Arbeitsrecht, Verkehrsrecht und Erbrecht. Jeder Berufstätige hat bereits einmal von Abmahnungen gehört oder sogar selbst eine erhalten. Zu diesem Thema kursiert viel Halbwissen. Lars Kohnen klärt uns auf.

Arbeitsrecht ist ein breites Fachgebiet. Welches sind die typischen Betätigungsfelder für Anwälte?

Die typischen Betätigungsfelder hängen zunächst davon ab, ob die Kanzlei vorrangig im kollektiven Arbeitsrecht tätig ist, also mit Betriebsräten, Personalvertretungen oder Mitarbeitervertretungen arbeitet, oder sich eher im individuellen Arbeitsrecht, dem Verhältnis zwischen einzelner Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen bewegt.

Häufig kommt es zu Auseinandersetzungen, wenn das Arbeitsverhältnis endet, also im Falle von Kündigungen oder Aufhebungsverträgen, oder wenn Probleme in Bezug auf das Arbeitszeugnis auftreten. Im laufenden Arbeitsverhältnis stellen sich in meiner Beratungspraxis häufig Fragen in Bezug auf Arbeitszeiten, Lohnzuschlägen, Eingruppierungen und in jüngster Vergangenheit natürlich zum Umgang mit Corona. Grundsätzlich kann es im Arbeitsrecht aber um alles gehen, von „A“ wie Abmahnung bis „Z“ wie Zeugnis.

Rund um das Thema Kündigungen und Abmahnungen kursiert viel Halbwissen. Welche Mythen begegnen Ihnen im Berufsalltag regelmäßig?

Regelmäßig höre ich, dass eine Kündigung während einer Krankheit nicht möglich sei. Das ist falsch: Auch während einer Krankheit kann ordnungsgemäß gekündigt werden. Sofern das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist, sind aber dessen strenge Anforderungen zu beachten.

Auch glauben viele, dass eine Kündigung unwirksam ist, wenn im Kündigungsschreiben die Kündigungsgründe nicht benannt sind, also Arbeitgeber*innen die Kündigung begründen müssten. Auch dies ist falsch: Die Kündigungsgründe müssen zwar auf Verlangen benannt werden. In der Kündigung müssen diese jedoch nicht auftauchen und dies ist auch äußerst unüblich.

Zudem höre ich immer wieder, eine verhaltensbedingte Kündigung sei erst nach mehreren Abmahnungen möglich. Auch dies ist falsch. Es kann sein, dass bereits eine Abmahnung reicht, wenn dann eine weitere Vertragsverletzung mit ähnlichem Sachverhalt die Voraussetzungen einer verhaltensbedingten Kündigung erfüllt. Andersrum kann es sein, dass diverse Abmahnungen geschrieben werden und dennoch kein entsprechender Kündigungsgrund vorliegt, weil es sich beispielsweise immer um unterschiedliche Pflichtverletzungen handelte. Wie so häufig sind die Umstände des Einzelfalls entscheidend.

Abmahnungen sind ein beliebtes Disziplinierungsmittel von Arbeitgebern. Welche Voraussetzungen müssen für eine wirksame Abmahnung erfüllt sein?

Zunächst einmal muss überhaupt eine abmahnfähige Arbeitsvertragsverletzung vorliegen. Sodann muss das abgemahnte Verhalten konkret bezeichnet und als Vertragsverstoß deklariert werden, damit man sein zukünftiges Verhalten auch hieran ausrichten kann. Zudem muss die Abmahnung eine Aufforderung enthalten, dieses Verhalten zukünftig zu unterlassen und, sollte es zu einem erneuten Verstoß kommen, die Möglichkeit einer Kündigung konkret angedroht werden. Letzen Endes muss die Abmahnung verhältnismäßig sein. Nicht erlaubt sind beispielsweise Abmahnungen wegen marginaler Bagatellverstöße.

Grundsätzlich sind Abmahnungen zwar formlos möglich, können also auch mündlich ausgesprochen werden. In der Regel haben Arbeitgeber*innen dann allerdings Probleme, die Einhaltung der vorgenannten Voraussetzungen zu beweisen. In der Praxis wird daher meist schriftlich abgemahnt.

Lohnt es sich als Arbeitnehmer, gegen unberechtigte Abmahnungen vorzugehen?

In der Regel nicht. Grundsätzlich kann man mit einer sog. Gegendarstellung reagieren oder die Rücknahme der Abmahnung verlangen und sich notfalls mit einer Klage gegen die Abmahnung wehren. Ich rate in den meisten Fällen jedoch hiervon ab: Wenn eine Abmahnung fehlerhaft ist, dann wäre eine nachfolgende Kündigung, welche mit einem ähnlichen Verstoß begründet wird und sich auch auf diese Abmahnung stützt, ebenfalls unwirksam, so dass man als Arbeitnehmer*in vor Gericht gute Karten hat. Gehen Sie aber gegen eine Abmahnung vor, dann weiß Ihr*e Arbeitgeber*in, dass die Abmahnung wirksam ist oder, dass sie unwirksam ist, und wird diesen Fehler nicht begehen. Im schlimmsten Fall kann es passieren, dass das Gericht mitteilt, dass eine Abmahnung zwar möglich ist, diese allerdings formal nicht richtig ausgestellt wurde, da zum Beispiel das gerügte Verhalten nicht konkret genug bezeichnet wurde. Der Arbeitgeber nimmt dann die unwirksame Abmahnung zurück und schreibt eine neue, nun wirksame Abmahnung, da ihm das Gericht ja gesagt hat, was er falsch gemacht hat.

Man hat also als Arbeitnehmer*in einen erheblichen taktischen Vorteil, wenn man gegen Abmahnungen nicht vorgeht, weil in einem etwaigen späteren Kündigungsschutzverfahren dann stets auch die Abmahnung zu überprüfen ist und damit das Risiko für eine Unwirksamkeit der Kündigung steigt.

Darüber hinaus verschärft man den Konflikt, da Abmahnungen in der Regel nicht freiwillig zurückgenommen werden. Vor diesem Hintergrund empfehle ich meistens, gar nichts zu unternehmen und sich lediglich selbst Notizen zu machen, was denn genau passiert ist und wieso und ggf. Zeugen zu bitten, dies zu bestätigen, damit man diese Informationen später zur Verfügung hat. Nur wenn man einen gewichtigen Grund hat, empfiehlt es sich, in die Eskalation zu gehen. Die bloße „Nichtreaktion“ auf eine Abmahnung heißt in keinem Fall, dass man diese akzeptiert oder gar für berechtigt hält, also quasi seine Schuld eingesteht. Auch dies ist ein häufiger Rechtsirrtum. Es heißt einfach nur, dass man schlau ist und sich nicht weiter streiten möchte.

Die Kündigung des Arbeitsvertrags landet häufig vor Gericht. Wann ist es möglich auf Wiedereinstellung zu klagen?

Entscheidende Voraussetzung ist die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes. Wenn der Arbeitgeber in der Regel mehr als 10 Mitarbeiter beschäftigt und das Arbeitsverhältnis länger als 6 Monate besteht, benötigen Arbeitgeber*innen einen Kündigungsgrund. In Kleinbetrieben sowie vor Ablauf der 6-monatigen Wartezeit sind Arbeitgeber*innen recht frei, was Kündigungen angeht. Es könnte höchstens ein Verstoß gegen das sogenannte Maßregelungsverbot vorliegen. Hier haben Arbeitnehmer*innen aber in der Regel keine Chance vor Gericht.

Sowie aber das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist, sieht die Sache anders aus. Arbeitgeber*innen müssen dann einen Kündigungsgrund vorweisen und die strengen Anforderungen des Gesetzes beachten. Das Gesetz unterscheidet zwischen betriebsbedingten, verhaltensbedingten und personenbedingten Kündigungen. Die Hürden sind recht hoch und häufig sind Kündigungen angreifbar, sodass Arbeitgeber*innen mit entsprechenden wirtschaftlichen Risiken belastet sind. In einer Vielzahl der Fälle werden Kündigungsschutzklagen daher mit einem gerichtlichen Vergleich beendet, welcher insbesondere die Zahlung einer entsprechenden Abfindung sowie weitere Regelungen vorsieht, damit die Kündigung akzeptiert wird. Wichtig: Immer die Frist von 3 Wochen für eine Kündigungsschutzklage beachten!

Üblicherweise endet eine Klage auf Wiedereinstellung mit einer Abfindung. Gibt es eine Faustformel für die Höhe?

Die sogenannte Regelabfindung beträgt bei einer betriebsbedingten Kündigung und einem normalem Klagerisiko ein halbes Bruttomonatsgehalt je Beschäftigungsjahr. Die Formel lautet also:

Bruttomonatsgehalt x Beschäftigungsjahre x 0,5

Insofern ist jedoch äußerst wichtig festzuhalten, dass (in den allermeisten Fällen) dem Grunde nach gar kein Anspruch auf eine Abfindung besteht, sondern eben nur Kündigungsschutz und die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung gerichtet ist.

Nur weil Arbeitgeber*innen einen Wiedereintritt des/der Gekündigten in den Betrieb verhindern wollen, sind sie zur Zahlung einer Abfindung bereit. Dies bedeutet gleichzeitig, dass eine Abfindung immer frei verhandelbar ist. Die Faustformel ist in ganz vielen Situationen nicht interessengerecht, sodass ich mich in meiner Praxis nur selten an ihr orientiere. Beispielsweise bei einem kurzen Arbeitsverhältnis von nur 2 Jahren und einer evident unwirksamen Kündigung wäre nach der Faustformel nur ein Gehalt zu zahlen. Das Risiko für den Arbeitgeber ist aber ungleich höher. Bei kurzen Arbeitsverhältnissen sind daher Faktoren meist über dieser sogenannten Regelabfindung zu zahlen.

Die Regelabfindung kann also allenfalls einen groben Anhaltspunkt geben, was in üblichen Fällen häufig gezahlt wird. Tatsächlich ist die Abfindung jedoch immer verhandelbar. Die Kriterien, welche die Höhe der Abfindungszahlung bestimmen, sind neben Verhandlungsgeschick insbesondere das finanzielle Risiko des Arbeitgebers (variiert nach Erfolgsaussicht der Klage, Dauer des Prozesses, Chancen auf dem Arbeitsmarkt, etc.) sowie die Kampfbereitschaft des/der gekündigten Arbeitnehmer*in. 

Herr Kohnen, vielen Dank für das Interview.

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Lars Kohnen

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