Neue Regelungen zur Volksverhetzung

Interview mit Steffen Dietrich
Wir sprechen mit Fachanwalt für Strafrecht Steffen Dietrich über das Thema Volksverhetzung und das in diesem Zusammenhang geänderte Gesetz. Der erfahrene Rechtsanwalt erläutert, welche Änderungen am §130 StGB vorgenommen wurden, welche Gründe dahintersteckten und welche Auswirkungen es auf eine in diesem Zusammenhang begangene Straftat und die daraus resultierenden rechtlichen Konsequenzen hat. 

Die bisherige Regelung der Volksverhetzung hat unter Strafe gestellt, wenn jemand eine bestimmte Handlung bzw. ein Kriegsverbrechen leugnet, billigt oder verharmlost. Mit dem neu geschaffenen § 130 Abs. 5 StGB hat sich nun etwas geändert. Wie hat sich das Gesetz mit dem neuen Absatz geändert? 

Der Bundestag hat insoweit am 20. Oktober 2022 ohne längere Beratungen beschlossen, dass der Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Strafgesetzbuch – StGB) durch die Einführung eines neuen Absatzes ergänzt werden soll. 

Konkret bedeutet dies, dass ein neuer § 130 Abs. 5 StGB zukünftig nun explizit das öffentliche Billigen, Leugnen und gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen unter Strafe stellt, vorausgesetzt die Tat wird in einer Weise begangen, die geeignet ist, „zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören“.   

Voraussetzung ist ferner, dass sich das öffentliche Billigen, Leugnen und gröbliche Verharmlosen von Völkerstraftaten (§§ 6 bis 12 Völkerstrafgesetzbuch) auf die in § 130 Abs. 1 Nr. 1 des Paragrafen genannten Personenmehrheiten bezieht „oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer dieser Personenmehrheiten“. Diese Personenmehrheiten werden in § 130 Abs. 1 als „eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe“ und „Teile der Bevölkerung“ benannt.

Bereits im Dezember 2021 hat die Europäische Kommission ein sog. „Vertragsverletzungsverfahren“ gegen Deutschland eingeleitet. Was genau war der Hintergrund für die Gesetzesänderung bei der Volksverhetzung? 

Tatsächlich war das von Ihnen angesprochene Vertragsverletzungsverfahren, das im Dezember 2021 von der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik angestrengt wurde, der Hintergrund für die schnelle Gesetzesänderung. 

Im Rahmen dieses Verfahrens ist von der EU-Kommission gerügt worden, dass Deutschland den „Rahmenbeschluss 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ insbesondere in Bezug auf das öffentliche Leugnen und gröbliche Verharmlosen unzureichend umgesetzt habe. 

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind nach Artikel 1 Abs. 1 Buchstabe c des Rahmenbeschlusses verpflichtet, das vorsätzliche „öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Sinne der Artikel 6, 7 und 8 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, das gegen eine Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe gerichtet ist, die nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft definiert werden“, unter Strafe zu stellen, „wenn die Handlung in einer Weise begangen wird, die wahrscheinlich zu Gewalt oder Hass gegen solch eine Gruppe oder gegen ein Mitglied solch einer Gruppe aufstachelt“.

Zwar könne das öffentliche Leugnen und gröbliche Verharmlosen – so die Fraktionen – in aller Regel auch mit der bisherigen Fassung des § 130 StGB erfasst werden. Explizit geregelt waren diese Handlungen bisher jedoch nur in Bezug auf Taten unter der Herrschaft des Nationalsozialismus (§ 130 Abs. 3 StGB). 

Die Fraktionen haben insofern mitgeteilt, dass diese beiden Handlungen sowie die öffentliche Billigung mit der Einführung des neuen § 130 Abs. 5 StGB nun auch bezüglich anderer Völkermorde, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen „ausdrücklich pönalisiert“ werden sollen.  

Wieso schärfte die Ampel-Koalition den Volksverhetzungsparagrafen gerade jetzt? 

Durch die Ergänzung des § 130 StGB soll das laufende Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland beendet werden. 

Der Volksverhetzungsparagraf ist tatsächlich aber nur bedingt „geschärft“ worden. Die Ergänzung des § 130 StGB dient grundsätzlich nur der Klarstellung, dass das öffentliche Billigen, Leugnen und gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ausdrücklich auch hier in Deutschland unter Strafe steht. 

Zwar geht die Änderung des § 130 StGB „geringfügig über die Mindestanforderungen des Rahmenbeschlusses“ hinaus, da auch Äußerungen in einer Versammlung miteinbezogen werden und von der Möglichkeit, die Strafbarkeit auf Äußerungen zu Völkerrechtsverbrechen zu beschränken, die von einem nationalen oder internationalen Gericht endgültig festgestellt wurden, kein Gebrauch gemacht wurde. Begründet wird dies in der Beschlussempfehlung jedoch mit der „Vermeidung von systematischen Widersprüchen“.

Bei den zu billigenden, verleugnenden oder verharmlosenden Handlungen muss es sich für eine strafrechtliche Verfolgung um solche handeln, welche in den Paragrafen 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches unter Strafe stehen. Können Sie uns erklären, welche das im Einzelnen sind? 

Das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) regelt hier in Deutschland die Folgen von Straftaten gegen das Völkerrecht und dient der internationalen Verpflichtung zur Verfolgung von Völkerstraftaten. Es handelt sich bei den im Völkerstrafgesetzbuch aufgezählten Straftaten um besonders schwere Verbrechen, „welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“ (Präambel des Römischen Status des Internationalen Strafgerichtshofs). 

Der § 6 VStGB regelt insoweit den Völkermord, der § 7 VStGB die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die §§ 8 – 12 VStGB die Kriegsverbrechen. 

Der mit § 6 VStGB erfasste sog. Völkermord (auch „Genozid“) wird oft auch als das „Verbrechen der Verbrechen“ oder als das „schlimmste Verbrechen im Völkerstrafrecht“ bezeichnet und setzt voraus, dass jemand in der Absicht handelt, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Beispiele für einen Völkermord sind der Holocaust oder auch der Völkermord in Ruanda im Jahr 1994. 

Der § 7 VStGB stellt verschiedene Handlungen unter Strafe, soweit sie im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung begangen wurden. Zu den in § 7 Abs. 1 VStGB genannten Taten zählt u.a. die Tötung oder die schwere körperliche Misshandlung eines Menschen, die Absicht, eine Bevölkerung ganz oder teilweise zu zerstören, das Betreiben von Menschenhandel oder die Folter von Menschen. 

Der in den §§ 8 – 12 VStGB erwähnte Begriff der Kriegsverbrechen ist schwer zu definieren, bezeichnet jedoch grundsätzlich Verstöße gegen das Völkerrecht, die bei der Führung eines Krieges von den Krieg führenden Parteien begangen werden oder in einem Zusammenhang mit der Kriegsführung stehen. Dazu zählen beispielsweise die gezielte Tötung von Zivilisten oder die Tötung von Gefangenen, die Geiselnahme von Zivilisten, der Zwang von Kindern zu Kampfhandlungen, die Zerstörung von Wasser- und Elektrizitätswerken, das Aushungern der Zivilbevölkerung, die Behinderung humanitärer Hilfe und der Einsatz von Gift oder biologischer oder chemischer Waffen.

Wann werden Kriegsverbrechen eigentlich gebilligt, verleugnet oder verharmlost? 

Ein Kriegsverbrechen billigt, wer eine auf das konkrete Verbrechen erkennbar bezogene Erklärung gutheißt. An die Konkretisierung des gebilligten Verbrechens sind geringe Anforderungen zu stellen. Wer zum Beispiel ein Tattoo öffentlich trägt, das ein Bauwerk eines NS-Vernichtungslagers sowie die Parole „Jedem das Seine“ zeigt, erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung. 

Der Begriff des Leugnens meint das Bestreiten des als Tatsache offenkundigen. Ausreichend sind Erklärungen dahingehend, entsprechende Handlungen seien nicht begangen worden oder nicht bewiesen. Die konkrete Form des Bestreitens ist dabei unerheblich, auch ein mittelbares Bestreiten ist ausreichend. Nicht ausreichend ist hingegen die Äußerung von Zweifeln. 

Das Verharmlosen meint das Bagatellisieren von tatsächlich begangenen Taten, indem diese „heruntergespielt, beschönigt oder in ihrem wahren Gewicht verschleiert“ werden. Auch die Behauptung angeblich guter Gründe im Sinne einer „Rechtfertigung“ oder „Notwendigkeit“ der Taten, wird von dem Begriff der Verharmlosung umfasst. An das im Rahmen des neuen § 130 Abs. 5 StGB eingeführte „gröbliche Verharmlosen“ sind indes erhöhte Anforderungen zu stellen.

Welche Strafe droht jemandem, der eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung erhält? 

Der Straftatbestand der Volksverhetzung erfasst eine Reihe von verschiedenen Handlungen, zwischen denen hinsichtlich der Strafandrohung unterschieden werden muss. 

So kann beispielsweise die Aufstachelung zu Hass oder die Aufforderung zu Gewalt und Willkür gegen bestimmte Gruppen (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) sowie der Angriff auf die Menschenwürde (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB) mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden. 

Das Billigen, Leugnen und Verharmlosen von einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art, insbesondere das Leugnen des Holocaust, wird nach § 130 Abs. 3 StGB mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe bestraft. 

Weiter wird auch die Billigung oder die Verherrlichung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft nach § 130 Abs. 4 StGB mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 

Wer sich gemäß dem neuen § 130 Abs. 5 StGB strafbar macht, muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe rechnen. Auffällig ist, dass die Strafandrohung mithin niedriger ausfällt als die Strafandrohung für die Verharmlosung des Holocaust (fünf Jahre Freiheitsstrafe).  In der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses wird als Begründung folgendes angeführt: „Wegen der Einzigartigkeit des Holocausts müssen für dessen Billigung, Leugnung und Verharmlosung im Einzelfall höhere Strafen möglich sein als für vergleichbare Äußerungen betreffend andere Völkerrechtsverbrechen“.

Wie hoch die Strafe für den einzelnen letztendlich ausfällt, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls und der Persönlichkeit des Täters ab. Im Rahmen der Strafzumessung findet beispielsweise die Intensität und Schwere der Äußerung Berücksichtigung. Auch wird berücksichtigt, ob und wie oft die Äußerung öffentlich getätigt wurde.  

Herr Dietrich, vielen Dank für das Interview.

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