Nicol Andreas Lödler: Gefälschter Impfausweis – Strafbarkeit?

Interview mit Nicol Andreas Lödler
Nicol Andreas Lödler ist Rechtsanwalt im ANWALTSHAUS in Augsburg. Mit ihm sprechen wir über gefälschte Impfpässe, Gesundheitszeugnisse sowie mögliche Strafbarkeitslücke.

Seit kurzem beschäftigt sich das Landgericht Osnabrück mit gefälschten Impfpässen. Wie behandelt die Justiz eine Fälschung von Gesundheitszeugnissen gemäß §§ 277, 279 StGB?

Nicol Andreas Lödler: Im Fall des Landgerichts Osnabrück hatte der Beschuldigte in einer Apotheke einen gefälschten Impfausweis vorgelegt, um ein (falsches) digitales Impfzertifikat zu erhalten. Dies flog auf und der Impfausweis wurde von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt. Der Beschuldigte wendete sich u. a. gegen diese Beschlagnahme. Tatsächlich erhielt er vor dem Landgericht Osnabrück Recht: Dieses vertrat in einem entsprechenden Beschluss die Auffassung, dass die Verwendung eines gefälschten Impfausweises nur dann strafbar ist, wenn diese dazu dient, „eine Behörde oder eine Versicherungsgesellschaft“ über den Gesundheitszustand zu täuschen. So stand dies ausdrücklich in §§ 277, 279 StGB. Den Beschuldigten rettete der Umstand, dass es sich bei einer Apotheke nun mal weder um eine Behörde noch um eine Versicherungsgesellschaft handelt. Das Landgericht Osnabrück stellte daher fest, dass das Verhalten des Beschuldigten straffrei und damit die erfolgte Beschlagnahme rechtswidrig war. In diesem strafrechtlichen Verfahren bewahrheitet es sich damit, dass es der Jurist genau nimmt: Niemand darf für etwas bestraft werden, wenn der Gesetzgeber nicht zuvor ganz genau definiert hat, was strafbar ist und was nicht. Es wäre daher unzulässig gewesen, zu sagen, die Apotheke ist doch etwas ganz ähnliches wie eine Behörde, wir bestrafen auch ein solches Verhalten.

Beim Landgericht Osnabrück wurde geprüft, ob sich der Beschuldigte der Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB strafbar gemacht hat. Warum ist in dem Fall der Fälschung von Gesundheitszeugnissen kein Rückgriff auf die allgemeine Regelung der Urkundenfälschung möglich?

Nicol Andreas Lödler: Das erstaunt den juristischen Laien ganz zu Recht! Der Begriff der „Urkunde“ ist im Gesetz sehr weit gefasst. Der Jurist versteht unter einer Urkunde (leicht verkürzt) die Verkörperung einer Gedankenerklärung, die den Erklärenden erkennen lässt, und die geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen. All diese Voraussetzungen erfüllt ein Impfausweis: Dieser ist die in einem Dokument verkörperte Gedankenerklärung, dass der im Impfausweis Genannte geimpft wurde. Der Impfausweis lässt den Aussteller erkennen, nämlich den impfenden Arzt. Letztlich ist der Impfausweis auch dafür geeignet und bestimmt, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen: Man legt ihn beispielsweise wie im Fall des Landgerichts Osnabrück einem Apotheker vor, der dann davon ausgeht, dass nachgewiesen ist, dass die im Impfausweis genannte Person tatsächlich geimpft wurde. Diese Merkmale einer Urkunde liegen beispielsweise auch bei Schul- oder Arbeitszeugnissen vor. Wenn ich ein solches gefälschtes Zeugnis verwende, mache ich mich einer Urkundenfälschung schuldig, selbst wenn ich es einer anderen Stelle als einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft vorlege, sondern „nur“ einem neuen potentiellen Arbeitgeber, bei dem ich mich bewerbe. Aber nicht nur das: Schon wenn ich ein solches Zeugnis auch nur herstelle, um es erst viel später zur Täuschung zu verwenden, befinde ich mich bereits in der Strafbarkeit. Beim Gesundheitszeugnis war dies – zumindest nach bisheriger Rechtslage – nicht der Fall. Hier musste ich das Zeugnis schon vorlegen, um mich strafbar zu machen.

Die Schwelle zu einer Urkundenfälschung liegt sogar so niedrig, dass man sich schon dann wegen einer Urkundenfälschung strafbar macht, wenn man auf dem Bierdeckel in der Kneipe einen Strich für ein getrunkenes Bier entfernt. Warum also nicht, wenn man einen gefälschten Impfausweis herstellt und in einer Apotheke vorlegt?

Nicol Andreas Lödler: Dies liegt daran, dass es für Gesundheitszeugnisse Spezialvorschriften gibt, die die Vorschriften der Urkundenfälschung bislang verdrängten. Diese sahen den bereits vorgenannten Unterschied vor, dass man sich nur dann strafbar macht, wenn man die gefälschten Gesundheitszeugnisse Behörden oder Versicherungsgesellschaften vorlegt und nicht bei sonstigen Stellen. Außerdem sahen die Spezialvorschriften für Gesundheitszeugnisse viel niedrigere Strafen vor als für eine „normale“ Urkundenfälschung, nämlich Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr statt bis zu fünf Jahren bei einer Urkundenfälschung. Diese niedrigere Strafdrohung lag somit auf dem Niveau einer Beleidigung. Diese Besserstellung von Fälschern von Gesundheitszeugnissen im Vergleich zu „normalen“ Urkundenfälschern wurde von Juristen bereits früher kritisiert, da die Vorlage eines falschen Arbeitszeugnisses nicht krimineller erscheint als die Vorlage eines falschen Impfausweises. Die Corona-Pandemie hat jetzt diese Ungerechtigkeit ins Scheinwerferlicht gerückt, so dass nicht nur juristische Experten eine Gleichstellung forderten.

Bisher wurde nicht nach Personen mit gefälschten Impfausweisen gefahndet. Gibt es wirklich eine Strafbarkeitslücke?

Nicol Andreas Lödler: Ja. Folgt man dem Landgericht Osnabrück – und dieses vertrat diese Auffassung keineswegs alleine –, gab es tatsächlich einen eher seltenen Fall einer Strafbarkeitslücke.

Das Vorlegen eines unrichtigen Impfpasses bei einer Apotheke ist nicht nach dem StGB sowie ebenfalls nicht nach dem IfSG strafbar. Wie können dennoch gefälschte Impfausweise sichergestellt werden?

Nicol Andreas Lödler: Hierauf hatte das Landgericht Osnabrück ausdrücklich hingewiesen: Der Impfausweis konnte nicht nach strafrechtlichen Vorschriften beschlagnahmt werden, sehr wohl aber nach anderen, sog. öffentlich-rechtlichen Vorschriften, weil das Kursieren solcher gefälschter Impfpässe eine Gefährdung der Gesundheit der Öffentlichkeit darstellt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Beschuldigte den gefälschten Impfausweis keineswegs wieder zurückerhalten hat. Die zuständige Behörde wird rechtzeitig benachrichtigt worden sein und wird eine neue und dann auch wirksame Beschlagnahmeanordnung getroffen haben.

Die Strafbarkeitslücke darf allerdings nicht von Gerichten, sondern nur vom Gesetzgeber geschlossen werden. Wird es in Zukunft eine Gesetzesänderung bezüglich der Impfausweise geben, wann kann man damit rechnen und welche Strafen kommen auf Personen mit gefälschten Impfausweisen zu?

Nicol Andreas Lödler: In diesem Fall war der Gesetzgeber sehr schnell: Ein neues Gesetz ist bereits am 24.11.2021 in Kraft getreten. Dieses schließt die oben genannten Strafbarkeitslücken, indem Impfausweise nunmehr wie ganz normale Urkunden behandelt werden: Wer solche herstellt oder gebraucht, macht sich strafbar, egal ob er sie einer Behörde, einer Versicherungsgesellschaft oder einem Apotheker vorlegt. Auch die bloße Herstellung ist jetzt strafbar. Auch die zu erwartende Strafe wurde angeglichen (im Regelfall Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren). Daneben wurde die Strafbarkeit sogar noch erweitert, indem nun auch die Vorbereitung der Herstellung gefälschter Impfausweise unter Strafe gestellt wird. Dies betrifft den Fall, dass beispielsweise Blankett-Impfausweise, die eine nicht durchgeführte Schutzimpfung dokumentieren, hergestellt werden. Weiter macht man sich nun strafbar, wenn man seinen eigenen, echten (!) Impfausweis einem Dritten überlässt, damit dieser einen anderen damit täuschen kann, z. B. einen Apotheker, der sich nicht zusätzlich zum Impfpass den Personalausweis vorlegen lässt. Dies alles war für das digitale Impfzertifikat übrigens bereits früher im Infektionsschutzgesetz (IfSG) unter Strafe gestellt. Die vorliegende Problematik betrifft also nur die „gelben Heftchen“ und nicht das blaue Zertifikat auf dem Handy: Diesbezügliche Fälschungen u. ä. waren schon immer strafbar und bleiben es auch; allerdings auch mit niedrigeren Strafen als bei einer Urkundenfälschung (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre). Strafrechtliche Spezialvorschriften für Gesundheitszeugnisse gibt es zwar noch immer, diese betreffen aber keine Urkundenfälschung im engeren Sinn. Als Beispiel wäre zu nennen, wenn ein (echter!) Arzt zur Täuschung im Rechtsverkehr in einem Impfausweis eine Impfung bescheinigt, die er in Wahrheit gar nicht durchgeführt hat. Der Jurist sieht dies nicht als Urkundenfälschung, sondern „nur“ als schriftliche Lüge an, die in diesem speziellen Fall als Fälschung von Gesundheitszeugnissen mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bedroht ist. Wenn ich dann wissentlich einen solchen „lügenden“ Impfausweis von einem echten Arzt verwende, mache ich mich noch immer „nur“ wegen dem Gebrauch eines gefälschten Gesundheitszeugnisses strafbar, aber nicht wegen Urkundenfälschung. Im Bereich der Urkundenfälschung würde man sich dagegen dann bewegen, wenn der Aussteller kein Arzt ist, sondern nur vorgibt ein Arzt zu sein. Ich denke, man merkt: Auch nach der Gesetzesnovelle gilt noch immer der auch für andere Lebensbereiche anwendbare Satz: Es ist kompliziert.

Herr Lödler, vielen Dank für das Gespräch!

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