Porsche-Skandal: Mit der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren – Dr. Holger Seibert

Interview mit Dr. Holger Seibert
Wir sprechen mit Rechtsanwalt Dr. Holger Seibert, LL.M., Fachanwalt für Steuerrecht und für Bank- und Kapitalmarktrecht und geschäftsführender Gesellschafter der Kanzlei SeibertLink in Stuttgart, über den Porsche Abgasskandal.

Bei Porsche droht der nächste Abgas-Skandal. Nachdem sich Geschädigte bereits gegen VW positioniert haben, drohen jetzt auch Porsche Schadensersatzklagen?

Dr. Holger Seibert: Bekannt waren bis jetzt bei Porsche und anderen deutschen Autoherstellern nur sogenannte Dieselskandale, bei denen es um die Abgasmanipulationen bei Dieselmotoren ging. Insoweit ist der Skandal, der Porsche jetzt droht, neu, da es diesmal um die Manipulation von Benzinmotoren geht. Wie aus der aktuellen Berichterstattung zu entnehmen ist, soll Porsche nach der Typenzulassung und Freigabe durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in der Serienfertigung unzulässige Veränderungen an den Benzinmotoren vorgenommen haben, indem in die Getriebe der Fahrzeuge der Serienproduktion andere Zahnräder eingebaut wurden als in die Prüffahrzeuge. Dadurch wurde, so der Vorwurf, im Rahmen der Typenzulassung ein geringerer Kraftstoffverbrauch und CO2-Ausstoß dargestellt als im tatsächlichen Straßenbetrieb. Stimmen die Prüffahrzeuge technisch nicht mit den Fahrzeugen der späteren Serienproduktion überein und entsprechen die Letzteren deshalb nicht der vom KBA erteilten Typengenehmigung, ist ihr Betrieb grundsätzlich unzulässig und sind die betroffenen Fahrzeuge von einer behördlichen Stilllegung bedroht. Hinzu kommt unter Umständen eine erhebliche Wertminderung der betroffenen Fahrzeuge durch die Manipulation. Da die Rechtslage, sollten sich die erheblichen Vorwürfe gegen die Porsche AG bestätigen, in den wesentlichen Punkten der rechtlichen Lage in den Dieselskandalfällen entspricht, dürften auch hier Schadensersatz- und ggf. Gewährleistungsansprüche der Betroffenen gegen die Porsche AG bestehen. Wie inzwischen auch der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19) höchstrichterlich bestätigte, besteht in diesen Fällen in der Regel ein Schadensersatzanspruch des betroffenen Fahrzeugkäufers wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach § 826 BGB. In Bezug auf die Volkswagen AG urteilte der BGH im Rahmen des Dieselskandals in dem genannten Urteil höchstrichterlich, dass das Verhalten der Fahrzeugherstellers im Verhältnis zu den betroffenen Kunden objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren ist, weil Ersterer auf der Grundlage einer für seinen Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch und langjährig Fahrzeuge in Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging nicht nur eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden, sondern auch die Gefahr einher, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgt. Dieses Verhalten ist gegenüber einer Person, die eines der betroffenen Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, nach Ansicht des BGH besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren. Das gilt auch dann, wenn es sich um den Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs handelt. Diese Überlegungen dürften analog auch für die der Porsche AG jetzt vorgeworfenen erheblichen Manipulation von Benzinfahrzeugen gelten. Wie auch in den VW-Fällen ist zudem anzunehmen, dass, sollten sich die umfassenden Vorwürfe bestätigen, die Entscheidung über die jahrelangen Manipulationen der Benzinfahrzeuge von den bei der Porsche AG für die Motoren- und Getriebeentwicklung verantwortlichen Personen, wenn nicht selbst, so doch zumindest mit ihrer Kenntnis und Billigung getroffen bzw. jahrelang umgesetzt wurde, so dass eine Zurechnung dieses Verhaltens zum Unternehmen über § 31 BGB möglich ist. Es ist deshalb, wie auch in den VW-Fällen, davon auszugehen, dass die betroffenen Porschekäufer aufgrund des sittenwidrigen Verhaltens der Porsche AG eine von ihnen nicht gewollte vertragliche Bindung eingegangen sind, da sie das betroffene Fahrzeug nicht gekauft hätten, wenn sie von der Manipulation und der drohenden Stilllegungsanordung gewusst hätten. Ihr Schaden liegt deshalb bereits in der Tatsache des Kaufs eines betroffenen Fahrzeugs. Wie in den VW-Fällen, können die Betroffenen dann auch in den Porsche-Fällen im Wege des sog. „großen Schadensersatzes“ die Erstattung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Fahrzeugs verlangen. Der BGH hat allerdings entschieden, dass auch bei einem Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB die gefahrenen Kilometer als Nutzungsvorteil angerechnet werden müssen, da der Anspruchsteller im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden darf, als er ohne den ungewollten Vertragsschluss stünde. Zugrunde gelegt wird dabei die Laufleistung des Fahrzeugs. Neben dieser Möglichkeit die Erstattung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu verlangen, besteht alternativ die Möglichkeit, das Fahrzeug zu behalten und den sogenannten „kleinen Schadensersatz“ zu fordern. Es kommt dann zu einer Erstattung des Minderwertes des Fahrzeugs. In den bis jetzt abgeurteilten VW-Dieselskandal-Fällen betrug dieser Minderwert je nach Einzelfall in etwa 20 bis 25 % des Kaufpreises. Daneben ist auch ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB wegen Betrugs in Betracht zu ziehen. Dessen Existenz hängt jedoch von den noch zu klärenden konkreten Umständen des Porsche-Benzinerskandals ab. Ferner werden sich die Betroffenen aufgrund der vorgeworfenen Manipulationen der Porsche AG ggf. darüber hinaus auch der Nachforderung von Kfz-Steuern ausgesetzt sehen, weil durch die Manipulationen der Benzinmotoren möglicherweise mehr CO2-Abgase ausgestoßen wurden, als dies vom Hersteller angegeben wurde und weil die Höhe der Kfz-Steuer von der CO2-Emission abhängt.

Wo erhalten potentiell Geschädigte Informationen darüber, ob sie von dem Skandal betroffen sind?

Dr. Holger Seibert: Die Kanzlei SeibertLink in Stuttgart verfolgt insbesondere die Feststellungen des Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als auch der Staatsanwaltschaft Stuttgart täglich und informiert ihre Mandanten fortlaufend und aktuell. Welche Fahrzeuge konkret von der Manipulation der Benzinmotoren bzw. der Getriebe bei Porsche betroffen sind, steht noch nicht abschließend fest. Am 23.08.2020 wurde bekannt, dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) umfassende Untersuchungen aufgenommen hat und die Vorwürfe prüft, nachdem es von der Porsche AG über die aktuellen Entdeckungen informiert wurde. Sowohl diese Untersuchungen als auch die internen Untersuchungen des Unternehmens selbst dauern noch an. Auch die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat inzwischen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Aus der Presse lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt allerdings entnehmen, dass die Benzinmotoren der Porsche Modelle Panamera und 911 aus den Jahren 2007 bis 2017 betroffen sind. Angeblich sollen nur Fahrzeuge betroffen sein, die vor 2017 für den europäischen Markt produziert wurden. Die laufende Produktion soll nach aktuellen Erkenntnissen hingegen nicht betroffen sein. Es wird allerdings vermutet, dass womöglich eine „hohe fünfstellige Zahl“ von Fahrzeugen betroffen ist. Im Rahmen des Dieselskandals wurden Betroffene durch ein entsprechendes Schreiben der Porsche AG oder des KBA über den Rückruf ihres Fahrzeuges bzw. ein mögliches oder verpflichtendes Softwareupdate informiert. Wie eine Information der betroffenen Kunden im Porsche-Benzinskandal erfolgen wird, bleibt abzuwarten. Kunden, die ein Fahrzeug erworben haben, dass nach den jetzigen Vermutungen möglicherweise von den Manipulationen betroffen sein könnte, können entweder ihren Fall im Wege der Erteilung eines anwaltlichen Mandats in die Hände der Kanzlei SeibertLink in Stuttgart legen oder zunächst abwarten und die Berichterstattung und die aktuellen Entwicklungen selbst verfolgen. Sollten sich die Vorwürfe gegen die Porsche AG in den nächsten Wochen und Monaten erhärten und konkretisieren, kann jedoch im Einzelfall angesichts der Höchstverjährungsfrist von 10 Jahren insbesondere für Geschädigte, die ihr Fahrzeug in den Jahren 2010 oder 2011 erworben haben, ein schnelles Handeln geboten sein, um die Durchsetzung etwaiger Ansprüche noch zu sichern.

Sammelklagen sind anders als in den USA, in Deutschland nicht möglich. Wie können Geschädigte dennoch Interessen bündeln?

Dr. Holger Seibert: Sammelklagen nach amerikanischem Muster, welche eine effektive Durchsetzung individueller Ansprüche einzelner Geschädigter in gebündelter Form erlauben, existieren im deutschen Recht in der Tat nicht. Letztlich ist der Geschädigte im deutschen Recht immer darauf angewiesen, seine Ansprüche individualrechtlich im Wege einer eigenen Klage durchzusetzen. Versuche, gestützt auf § 4 Unterlassungsklagengesetz Ansprüche gebündelt gerichtlich kostengünstiger durchzusetzen, sind jüngst an der fehlenden Aktivlegitimation der zu diesem Zwecke ins Leben gerufenen Gesellschaften gescheitert. Auch die zum 01.11.2018 neu in die §§ 606 ff. ZPO eingefügte Musterfeststellungsklage zum zuständigen Oberlandesgericht steht (a) nur sog. „qualifizierten Einrichtungen“, wie zum Beispiel bestimmten Verbraucherverbänden, offen und führt (b) nicht zu einer gerichtlichen Entscheidung über den Schadensersatzanspruch des einzelnen Fahrzeugkäufers. Geklärt werden mit der Musterfeststellungsklage nur einige für alle Beteiligte relevante streitige Tatsachen- und Rechtsfragen (sog. Feststellungsziele im Sinne des § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Selbst wenn es zu einem Musterfeststellungsurteil des OLG kommt, muss der im Klageregister angemeldete und am Musterklageverfahren beteiligte Verbraucher anschließend seine eigenen Ansprüche individuell gegen das beklagte Unternehmen geltend machen. Die Kanzlei SeibertLink in Stuttgart empfiehlt deshalb den Geschädigten, von Anfang an zumindest auch die individualrechtliche außergerichtliche wie gerichtliche Durchsetzung ihrer Schadensersatzansprüche.

Wie hoch kann der Schadensersatz im Einzelfall sein?

Dr. Holger Seibert: Wie hoch der Schadensersatzanspruch der Geschädigten ist, hängt, wenn der sog. „große Schadensersatz“ verlangt wird (Schadensersatz gegen Rückgabe des Fahrzeugs und Nutzungsentschädigung), von den konkreten Umständen seines jeweiligen Einzelfalls ab, insbesondere vom Zeitpunkt seines Fahrzeugerwerbs und den bislang gefahrenen Kilometern (Laufleistung). Behält der Geschädigte dagegen das Fahrzeug und verlangt er den so genannten „kleinen Schadensersatz“ (Wertminderung) so beträgt sein Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung, wenn man sich an den Grundsätzen orientiert, die sich bislang im Rahmen des Dieselskandals herauskristallisiert haben, in etwa 20 bis 25 % des Kaufpreises.

Werden die Kosten für die Schadensersatzklagen von der Rechtsschutzversicherung getragen?

Dr. Holger Seibert: Hat der Geschädigte eine Rechtsschutzversicherung, die bereits im Zeitpunkt des Erwerbs des betroffenen Fahrzeugs bestand, werden die Kosten für die außergerichtliche und erforderlichenfalls gerichtliche Durchsetzung seiner Schadensersatzansprüche gegen die Porsche AG in der Regel von dieser übernommen, weil aufgrund der Sach- und Rechtslage gute Erfolgsaussichten bestehen. Insoweit liegen die Dinge nicht anders als in den bislang außergerichtlich und gerichtlich geführten Dieselskandal-Fällen. Hat der Geschädigte mit seiner Rechtsschutzversicherung eine Selbstbeteiligung vereinbart, trägt er nur in deren Höhe die Kosten selbst.

Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten für Geschädigte des Porsche Skandals derzeit ein?

Dr. Holger Seibert: Wenn sich im Rahmen der Untersuchungen insbesondere des Kraftfahrt-Bundesamtes und der Staatsanwalt Stuttgart der bislang bekannte Sachverhalt und die gegen die Porsche AG erhobenen Vorwürfe in Bezug auf die Manipulation von Benzinmotoren bzw. Getrieben von Porsche-Fahrzeugen bestätigen, entspricht die Rechtslage in den entscheidungserheblichen Punkten der Rechtslage in den Dieselskandal-Fällen, so dass entsprechende Schadensersatz- und gegebenenfalls auch Gewährleistungsansprüche der betroffenen Fahrzeugkäufer bestehen dürften. Beachten sollten die Geschädigten, dass die der Porsche AG vorgeworfenen Manipulationen nach dem aktuellen Erkenntnisstand teilweise weit in der Vergangenheit liegen, so dass sich Verjährungsfragen stellen. Die Ansprüche von Geschädigten, welche ihr Fahrzeug bereits vor Oktober 2010 erwarben, könnten deshalb im Einzelfall bereits verjährt sein, wenn die Verjährungshöchstfrist von 10 Jahren, die sich je nach Anspruch aus § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB oder § 199 Abs. 4 BGB ergibt, zur Anwendung kommt. Für Geschädigte, welche das manipulierte Fahrzeug in den Monaten unmittelbar nach Oktober 2010 erworben haben, ist deshalb Eile bei der Wahrung ihrer Ansprüche geboten. Für alle anderen Geschädigten gilt die dreijährige Regelverjährung, welche ab Kenntniserlangung von den schadensbegründenden Umständen zu laufen beginnt.

Herr Rechtsanwalt Dr. Seibert, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Interview teilen: 

Facebook
Twitter
LinkedIn
WhatsApp
No related posts found for the provided ACF field.

Zum Expertenprofil von Dr. Holger Seibert

Dr. Holger Seibert

Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter diesem Link:

Weitere Interviews

die neusten BTK Videos