Prof. Dr. Jörg Rodewald: Das Lieferkettengesetz ist ein Paukenschlag für Deutschland

Interview mit Prof. Dr. Jörg Rodewald
Prof. Dr. Jörg Rodewald ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Berlin. Mit ihm sprechen wir über das neue Lieferkettengesetz, Änderungen dies bezüglich sowie Beeinträchtigungen von Konsumenten.

Ein neues Lieferkettengesetz wurde vom Bundestag verabschiedet werden. Was ändert sich konkret?

Prof. Dr. Jörg Rodewald: Das Lieferkettengesetz (genauer: Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette) ist ein Paukenschlag für Deutschland. Zwar gibt es in Vereinigten Königreich und den EU-Staaten Frankreich und Niederlande bereits Regelungen, die einige Aspekte mit menschenrechtlichem Bezug in der Art des Lieferkettengesetzes regeln. Die im deutschen Gesetz gebündelt geregelten Standards suchen aber in dieser Breite (einschließlich umweltschutzbezogener Regelungen) auf europäischer Ebene ihresgleichen. Konkrete Änderungen, also neue einzuhaltende Standards und Pflichten kommen auf die Unternehmen jedoch erst ab dem 1. Januar 2023 zu. Auch ab dann gilt der neue Pflichtenkatalog nicht für alle in Deutschland ansässigen Unternehmen, sondern erst für Unternehmen ab einer bestimmten Größe. Betroffen sind faktisch im Übrigen auch nur diejenigen Wirtschaftszweige, die eine starke Importausrichtung haben. Unternehmen mit eher binnenwirtschaftlichem Wirtschaftsmodell (zum Beispiel im Gesundheitswesen oder der Bauwirtschaft) unterliegen nur einem geringen Risiko, im Rahmen von Lieferbeziehungen gegen das Lieferketten zu verstoßen. Die betroffenen Unternehmen müssen dann Verantwortung dafür übernehmen, dass in ihrer Lieferkette international anerkannte Menschenrechte gewahrt werden. Das bedeutet, dass ein verantwortliches Risikomanagement implementiert werden muss, mit dessen Hilfe menschenrechtliche, aber auch umweltbezogene Risiken erkannt werden können, um Verletzungen gegen Menschenrechte und umweltbezogene Rechtsgüter vorzubeugen, sie zu beenden, mindestens aber zu minimieren. Dies umfasst Risikoanalysen, Präventions- und Abhilfemaßnahmen. Die Unternehmen müssen dann auch eine Person – einen Menschenrechtsbeauftragten – benennen, die dieses Risikomanagement überwacht.

Welche Auswirkungen hat das Lieferkettengesetz auf Zulieferer in Schwellenländern?

Prof. Dr. Jörg Rodewald: Das Lieferkettengesetz entfaltet keine unmittelbaren Auswirkungen auf Zulieferer in Schwellenländern. Der Pflichtenkanon richtet sich ausschließlich an Unternehmen, die in Deutschland ansässig sind, bzw. an solche Unternehmen, die eine Zweigniederlassung in Deutschland unterhalten und jeweils eine bestimmte Anzahl an Beschäftigten aufweisen. Nur bei schwerwiegenden Verstößen müssen Zulieferer mittelfristig damit rechnen, ihre Aufträge zu verlieren, wenn sie die im Lieferkettengesetz dargestellten Standards etwa zum Verbot der Zwangsarbeit und Sklaverei nicht einhalten. Die Unternehmen sollen ihre Beschaffungsstrategien und Einkaufspraktiken nämlich daran ausrichten, dass Risiken von Menschenrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Umweltstandards minimiert oder gar vermieden werden. Der Abbruch der Geschäftsbeziehungen durch in Deutschland ansässige Unternehmen bleibt allerdings nur das allerletzte Mittel und dürfte nur in absoluten Ausnahmefällen zu verlangen sein.

Welche Effekte hat das Lieferkettengesetz für Arbeiternehmer in Deutschland?

Prof. Dr. Jörg Rodewald: Für die Arbeitnehmer der betroffenen Unternehmen ergeben sich kaum spürbare Veränderungen. Neu ist jedoch, dass es innerhalb des Unternehmens mithilfe eines Beschwerdeverfahrens ermöglicht werden soll, dass Beschäftigte bei Kenntnis oder gar Betroffenheit von Verstößen auf diese hinweisen können und im Anschluss die erforderlichen Abhilfemaßnahmen ergriffen werden. Das Beschwerdeverfahren kann sicherlich in bereits existierende Whistle-Blowing-Systeme integriert werden. Das Unternehmen muss außerdem in einer Grundsatzerklärung über seine Menschenrechtsstrategie auf die Bedeutung von Menschenrechten hinweisen. Auch auf diesem Weg gibt es Berührungspunkte zu den Beschäftigten, die über die Grundsatzerklärung sicherlich informiert werden. Außerdem müssen in sensiblen Geschäftsbereichen Schulungen durchgeführt werden. Ich denke, dass das Thema des Schutzes der Menschenrechte und umweltbezogener Rechtsgüter ganz allgemein mehr Eingang in die Unternehmenspraxis finden wird.

Fallen auch mittelständische Unternehmen unter das neue Gesetz?

Prof. Dr. Jörg Rodewald: Das Lieferkettengesetz wendet sich zunächst nur an Unternehmen mit über 3.000 Beschäftigten und ab 2024 an Unternehmen mit über 1.000 Beschäftigte. Jedenfalls letztere dürften eindeutig in das Segment Mittelstand einzuordnen sein, aber auch Unternehmen mit 3.000 und mehr Arbeitnehmern sind durchaus dem Mittelstand zuzuordnen. Allein deswegen ist die Aussage richtig, dass der Mittelstand betroffen ist. Vom Gesetz betroffene Unternehmen, die unmittelbar von mittelständischen Unternehmen beliefert werden, werden sich zukünftig bei ihnen darüber informieren wollen, ob menschenrechts- und umweltbezogene Standards gewahrt werden. Zulieferer, die Vertragspartner der Unternehmen sind, haben sogar eine vertragliche Zusicherung abzugeben. Auch kleinere mittelständische Unternehmen- die unmittelbar nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen – sind daher gut beraten, sich darauf einzustellen und ihre Standards ggf. anzupassen.

Werden Konsumenten/Kunden von dem Gesetz beeinträchtigt, inwiefern?

Prof. Dr. Jörg Rodewald: Mit den Pflichten aus dem Lieferkettengesetz gehen Kosten für die Unternehmen einher. Die Frage, ob die Kosten auf den Verbraucher umgeschlagen werden, wird jedes Unternehmen für sich selbst beantworten müssen. Mit zunehmender Bedeutung dieses Themas wird sich aufrichtiges Engagement der Unternehmen für Menschenrechte und umweltbezogene Standards sicherlich auszahlen, da der Verbraucher, der sich dies leisten kann, seine Kaufentscheidung zunehmend anhand solcher Kriterien festmachen wird.

Herr Rodewald, vielen Dank für das Gespräch!

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