Richard Wünsche: Gerade als Vielfahrer kann sich ein Einspruch lohnen

Interview mit Richard Wünsche
Richard Wünsche ist Rechtsanwalt in der Anwaltskanzlei Roth & Partner in Dresden. Wir sprechen mit ihm im Interview über die Aufgaben eines Anwalts für Verkehrsrecht, die Entschärfung des neuen Bußgeldkatalogs sowie die Notwendigkeit einer Rechtsschutzversicherung.

Das Verkehrsrecht als Teil des Verkehrswesens umfasst die Bereiche „öffentliches Recht“ und „Privatrecht“. Als Anwalt für Verkehrsrecht beschäftigt man sich aber vor allem mit „Verkehrssündern“, oder ist das ein Vorurteil?

Richard Wünsche: Als Verkehrsrechtsanwalt beschäftigt man sich nicht nur mit Verkehrssündern. Das Tätigkeitsgebiet im Verkehrsrecht ist sehr groß. Hierbei übernimmt man nach Verkehrsunfällen die Regulierungstätigkeit gegenüber der gegnerischen Versicherung.  Es kommen auch Kfz-Kaufverträge zur Prüfung auf Gewährleistungsansprüche in Betracht. Das Reiserecht gehört ebenfalls der zu bearbeitenden Rubrik des Verkehrsrechts an. Deswegen kann man die Frage dahingehend beantworten, dass es ein Vorurteil ist, dass sich der Verkehrsrechtsanwalt vor allem mit Verkehrssündern beschäftigt.

Der Bußgeldkatalog wurde im April dieses Jahres erst verschärft, dann aber wie entschärft. Gab es plötzlich zu viele Vergehen und zu viel bürokratischen Aufwand, oder was war der Grund?

Richard Wünsche: Grund für die „Entschärfung“ beziehungsweise die Rückkehr zum alten Bußgeldkatalog begründete sich darin, dass es in der StVO Novelle von 2020 zu einem Formfehler gekommen war. Das Zitiergebot gibt an, dass die gesetzliche Grundlage genannt werden muss, welches vorliegend gerade im Bereich des Fahrverbotes missachtet wurde. Beim Erlass der neuen StVO-Novelle wurde vergessen § 26 a Abs. 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes zu zitieren, welcher das Verkehrsministerium dazu berechtigt, mit Zustimmung des Bundesrats bestimmte Verordnungen zu erlassen. Da die Verordnung keine klassische Gesetzgebung darstellt, muss zwingend hierfür eine gesetzliche Grundlage bestehen. Teilweise wird vertreten, dass auch ältere Fassungen der StVO seit 2009 betroffen sind.

Bis zur Klärung und Prüfung wurde daher der neue Bußgeldkatalog ausgesetzt und der alte Bußgeldkatalog wird angewendet.

Es wurde bei dem neuen Bußgeldkatalog auch das schnellere Fahrverbot kritisiert, dass dieses unverhältnismäßig sei. Eine Überarbeitung wurde zum damaligen Zeitpunkt angekündigt.

Ist es erlaubt, dass ich als Unfallverursacher dem Unfallgegner einen Zettel an die Scheibe hänge, wenn dieser nicht auffindbar ist?

Richard Wünsche: Wenn lediglich ein Zettel an die Windschutzscheibe eines PKW´s gehangen wird, ist dies dennoch eine Unfallflucht. Es ist damit nicht ausreichend, seine Daten am Fahrzeug auf einem Zettel zu hinterlassen. Ein Zettel kann schnell verloren gehen. Das Fahrzeug ist kein „Briefkasten“. Es muss zwingend, wenn keine anderen Personen vor Ort sind, die die Daten entgegennehmen können, die Polizei informiert werden. Hierbei muss man die erforderlichen Daten der Polizei mitteilen. Die Polizei kann dann den Halter ordnungsgemäß informieren. Wird der Schaden nicht umgehend der Polizei gemeldet und man entfernt sich vom Unfallort, stellt dies eine Unfallflucht dar, welche mit Fahrerlaubnisentzug und Geldstrafe geahndet werden kann.

Kann ich die Aufnahmen meiner „Dash-Cam“ (Cockpit-Kamera) als Beweis anführen, wenn es z.B. um die Schuldfrage bei einem Unfall geht?

Richard Wünsche: Eine „Dash-Cam“ Aufzeichnung kann als Beweis erhoben werden. Hierbei kommt es auf die Dash-Cam an, da es unterschiedliche Typen gibt. Zulässig sind solche Aufnahmen, die nicht dauerhaft den Verkehr aufzeichnen, sondern solche, die entsprechende Sequenzen nach einem Zusammenstoß speichern oder dieses manuell gespeichert werden kann. Die Dash-Cam überschreibt also selbstständig die vorangegangenen Aufzeichnungen. Dies dient dem Datenschutz. Das Interesse des Geschädigten an der Verwertung als Beweis wird dann vom Gericht höher angesehen und damit kann die Aufzeichnung verwendet werden.

Wenn ich keine Rechtsschutz-Versicherung habe, muss ich dann einen Anwalt bezahlen, auch wenn ich Geschädigter bin, oder zahlt das die gegnerische Versicherung?

Richard Wünsche: Wenn der Unfallgegner zu 100 % haftet, sind die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Schadensersatz von der gegnerischen Versicherung zu tragen. Mithin kann man als Geschädigter eines Unfalles auch ohne Rechtsschutzversicherung zu einem Verkehrsrechtsanwalt gehen.

Lohnt es sich, ein „Blitzerfoto“ anzuzweifeln und gegen den Bescheid von der Bußgeldstelle vorzugehen?

Richard Wünsche: In einigen Fällen kann es sich lohnen, gegen eine vorgeworfene Ordnungswidrigkeit vorzugehen. Teilweise werden erst in der entsprechenden behördlichen Akte Formfehler ersichtlich. Manchmal kann entsprechend der weiteren Lichtbilder des Fahrzeuges eine abweichende Fotoposition festgestellt werden, welches auf einen Fehler im Messgerät oder bei der Bedienung schließen lassen. Gerade als Vielfahrer kann sich ein Einspruch lohnen, um zu prüfen, ob der Bußgeldbescheid berechtigt ist und der Punkt für die Ordnungswidrigkeit im Raum steht.

 Auch bei Verkehrsunfällen werden Ordnungswidrigkeiten vorgeworfen, die mit einem Punkt und einer Geldstrafe geahndet werden. Hierbei kann es sich ebenfalls lohnen, entsprechend dagegen vorzugehen, da unter Umständen der Gegner eine Teilschuld trägt oder das Verschulden als solches nicht nachgewiesen werden kann.

Wenn ich acht Punkte in Flensburg angesammelt habe, verliere ich dann sofort meine Fahrerlaubnis? Für wie lange, und wie kann ich diese zurückbekommen?

Richard Wünsche: Wer 8 Punkte in Flensburg gesammelt hat, gilt als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis wird unverzüglich entzogen. Gemäß § 4 Absatz 10 StVG darf eine neue Fahrerlaubnis frühestens 6 Monate nach Entzug neu erteilt werden. Die Sperrzeit kann demnach auch länger angeordnet werden. Man sollte sodann etwa 8 Wochen vor Ablauf der auferlegten Sperrzeit die Wiedererlangung bei der Behörde beantragen. Nach Beantragung der Wiedererlangung ist in aller Regel die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen festzustellen, welches prinzipiell durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) stattfindet. Dies wird sodann von der Behörde entsprechend angeordnet. Der Betroffene muss sodann ein Gutachten vorlegen.

Voraussetzung des Fahrerlaubnisentzuges beim Erreichen der 8 Punkte ist, dass der Maßnahmenkatalog eingehalten worden ist. Der Betroffene musste zunächst bei einem Punktestand von 4 oder 5 Punkten ermahnt worden sein. Beim Erreichen von 6 oder 7 Punkten muss der Betroffene sodann verwarnt werden. Diese Stufen sind zwingend einzuhalten. Wurde ein Fahrzeugführer nicht verwarnt und hatte unter Umständen 5 Punkte und bekommt durch eine Verkehrsstraftat 3 Punkte hinzu, wird dieser so gestellt, als hätte er 7 Punkte erreicht und muss zunächst verwarnt werden.

Herr Wünsche, vielen Dank für das Gespräch!

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