Stephan Becker: Abmahnung muss konkret und detailliert dargelegt werden

Interview mit Stephan Becker
Stephan Becker ist Rechtsanwalt in der Kanzlei BERLINGHOFF Rechtsanwälte in Bad Nauheim. Mit ihm sprechen wir über Abmahnungen, Pflichten des Arbeitnehmers sowie Rechtswirksamkeit.

Verletzt ein Arbeitnehmer seine Pflichten, muss er mit einer Abmahnung rechnen. Was sind die häufigsten Gründe für eine Abmahnung?

Stephan Becker: Nicht pünktliches Erscheinen am Arbeitsplatz, nicht rechtzeitige Krankmeldung und nicht rechtzeitige Übersendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, nicht genehmigte Nebenbeschäftigung, private Nutzung von Internet während der Arbeitszeit, schlechte Arbeitsleistung,

Eine Abmahnung soll im Prinzip drei Funktionen erfüllen: Welche sind das?

Stephan Becker: a) Hinweis auf bestimmte Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertragsverhältnis, b) konkreter Vorwurf der Verletzung von bestimmten Verpflichtungen, c) Warnfunktion, dass im Wiederholungsfalle weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen, auch die fristlose oder ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber drohen.

Für eine Abmahnung muss der Arbeitnehmer gute Gründe vorweisen können. Was muss eine rechtswirksame Abmahnung beinhalten?

Stephan Becker: Der Arbeitgeber muss in der Abmahnung seines Arbeitnehmers zunächst diesem aufzeigen, um welche konkrete Verpflichtung aus dem Arbeitsvertragsverhältnis es geht, die der Arbeitnehmer verletzt hat. Dann muss ganz konkret und detailliert dargelegt werden, welche arbeitsvertragliche Pflicht der Arbeitnehmer wann, wo und wie verletzt hat. Sodann ist der Arbeitnehmer aufzufordern, eine solche Pflichtverletzung zukünftig zu unterlassen. Schließlich muss der Hinweis ergehen, dass der Arbeitnehmer im Wiederholungsfall mit weiteren arbeitsrechtlichen Maßnahmen, vor allem mit einer fristlosen oder ordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber zu rechnen hat. Auch der Hinweis, dass die Abmahnung zu seiner Personalakte genommen wird, sollte am Ende der schriftlichen Abmahnung nicht fehlen. Wichtig ist auch, das aus dem Abmahnschreiben klar ersichtlich ist, dass dieses von dem Arbeitgeber herrührt und von einem zur Abmahnung Bevollmächtigten unterzeichnet worden ist.

Bei einer Abmahnung müssen auch bestimmte zeitliche Fristen eingehalten werden. Welche Fristen muss der Arbeitgeber hier einhalten bzw. wann ist eine Abmahnung zu früh und wann zu spät?

Stephan Becker: Feste, starre Fristen sind bei einer arbeitsrechtlichen Abmahnung gesetzlich nicht geregelt, ja selbst die Abmahnung als solche ist gesetzlich nicht geregelt.  Der Arbeitgeber kann daher grundsätzlich auch längere Zeit zurückliegende Pflichtenverstöße seines Arbeitnehmers noch rechtswirksam abmahnen. Eine zeitliche Grenze wird dann zu ziehen sein, wenn eine Verwirkung des Rechts zur Abmahnung anzunehmen ist, wobei das Zeitmoment und das Umstandsmoment bei der Frage der Verwirkung zu bewerten sind, wie letztlich auch der Grad der Schwere des Pflichtenverstoßes durch den Arbeitnehmer. Zu früh kann eine Abmahnung eigentlich nicht ausgesprochen werden, weil ja zunächst der Pflichtenverstoß durch den Arbeitnehmer erfolgt sein muss, bevor dieser von dem Arbeitgeber abgemahnt werden kann. Allenfalls in dem Fall, wo der Pflichtenverstoß noch nicht eindeutig und nachweisbar von dem Arbeitgeber festgestellt worden ist, sollte noch nicht abgemahnt werden, weil anderenfalls das Risiko besteht, dass der Arbeitnehmer erfolgreich durch eine entsprechende Klage vor dem Arbeitsgericht den Arbeitgeber zur Entfernung einer unrechtmäßigen Abmahnung aus der Personalakte in Anspruch nimmt.

Welche Möglichkeiten haben Arbeitnehmer, um gegen eine unrechtmäßige Abmahnung vorzugehen?

Stephan Becker: Der Arbeitnehmer kann zunächst außergerichtlich von dem Arbeitgeber verlangen, dass eine aus Sicht des Arbeitnehmers unberechtigte Abmahnung aus seiner Personalakte auf Dauer entfernt wird: hierfür sollte der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine angemessene Frist setzen. Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, kann der Arbeitnehmer das Arbeitsgericht anrufen und seinen Arbeitgeber auf Entfernung der strittigen Abmahnung aus seiner Personalakte verklagen. Eine bestimmte gesetzliche Frist gibt es für eine solche Klage nicht.

Eine Abmahnung kann ein Dorn im Auge des Arbeitnehmers sein. Wann besteht Anspruch auf Entfernung der Abmahnung?

Stephan Becker: Der Arbeitnehmer kann die dauerhafte Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte vornehmlich dann fordern und nötigenfalls gerichtlich durchsetzen, wenn die Abmahnung rechtswidrig erfolgt ist, sei es, dass ein formeller Rechtsverstoß vorliegt oder aber ein materieller. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundearbeitsgerichts (BAG) gibt es dagegen keine festen Fristen, nach denen der Arbeitgeber verpflichtet wäre, eine rechtmäßig erteilte Abmahnung aus der Personalakte des Arbeitnehmers zu entfernen, auch nicht nach 3 oder 4 Jahren nach Ausspruch der Abmahnung. Unter Umständen gibt es aber in Tarifverträgen oder aber in Betriebsvereinbarungen solche Fristenregelungen, nach denen der Arbeitgeber die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen hat, auch wenn diese in rechtmäßiger Weise ergangen sein solle. Davon zu unterscheiden ist, dass der Arbeitgeber sich in der Regel auf eine schon seit langer Zeit zurückliegende Abmahnung nicht mehr stützen kann, wenn er wegen eines wiederholten einschlägigen Pflichtenverstoßes des Arbeitnehmers diesem verhaltensbedingt kündigen will. Bei der Beurteilung wird auch hier die Schwere des längere Zeit zurückliegenden Pflichtenverstoßes sowie das zwischenzeitliche Verhalten des Arbeitnehmers mit zu berücksichtigen sein. 

Herr Becker, vielen Dank für das Gespräch!

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