Susanne Gundermann: Über den Versorgungsausgleich werden lediglich die Rentenanwartschaften ausgeglichen

Interview mit Susanne Gundermann
Susanne Gundermann ist Rechtsanwältin in ihrer Kanzlei in Weinheim. Mit ihr sprechen wir über Scheidungen pro Jahr, Versorgungsausgleich sowie gemeinsame Immobilien.

In Deutschland lassen sich rund 150.000 Paare jährlich scheiden. Geschiedene Ex-Partner müssen ihre Rentenanwartschaften in Form von einem Versorgungsausgleich aufteilen. Welche Versorgungen werden ausgeglichen und welche nicht?

Susanne Gundermann: Wenn sich Ehegatten vor einem deutschen Familiengericht scheiden lassen, wird in der Regel neben dem eigentlichen Scheidungsausspruch auch der sogenannte Versorgungsausgleich durchgeführt. Hierbei werden die Rentenanwartschaften, welche die Eheleute während ihrer Ehezeit erworben haben, jeweils zur Hälfte zwischen den Ehegatten geteilt. Grundlage für die Durchführung des Versorgungsausgleichs ist seit dem 3. April 2009 das Gesetz über den Versorgungsausgleich (VersAusglG). Auszugleichen sind grundsätzlich alle in § 2 Abs. 1 Versorgungsausgleichsgesetz genannten Anwartschaften auf Versorgungen und Ansprüche auf laufende Versorgungen,

  1. aus der gesetzlichen Rentenversicherung Bund oder Land
  2. aus der Beamtenversorgung
  3. aus der betrieblichen Altersversorgung
  4. aus privaten Alters- und lnvaliditätsvorsorgeverträgen

Bei der betrieblichen Altersvorsorge unterscheidet man nach § 1b des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersvorsorge (BetrAVG) folgende Durchführungswege:

  • Die sogenannte Direktzusage bei welchen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Leistung verspricht für den Fall des Alters, der Invalidität oder für den Fall des Todes in Form von Hinterbliebenenleistung.
  • Die zweite Form ist die Unterstützungskasse: Dabei wird die betriebliche Altersversorgung nicht durch den Arbeitgeber selbst, sondern von einer rechtsfähigen Versorgungseinrichtung durchgeführt.
  • Eine dritte Form ist die sogenannte Direktversicherung: Sie liegt vor, wenn für die betriebliche Altersvorsorge eine Lebensversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber abgeschlossen wird und der Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen aus dieser Lebensversicherung bezugsberechtigt sind.
  • Zwei weitere Formen sind die Pensionskasse und der Pensionsfonds. Es handelt sich dabei ebenfalls um rechtsfähige Versorgungseinrichtung, die dem Arbeitnehmer oder seinen Hinterbliebenen auf ihre Leistungen einen Rechtsanspruch gewähren.

Betriebsrenten werden nur ausgeglichen, wenn sie bereits unverfallbar sind. Die Verfallbarkeit beantwortet die Frage, ob dem Arbeitnehmer ein betriebliches Anrecht erhalten bleibt, wenn er das Unternehmen verlässt. Das Gesetz zur Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie hat die Frist für die Unverfallbarkeit von betrieblichen Versorgungszusagen, die ab dem 1.1.2018 erteilt werden, auf drei Jahre Betriebszugehörigkeit verkürzt bei einem Mindestalter von 21 Jahren. Davor setze die Unverfallbarkeit fünf Jahre Betriebszugehörigkeit und die Vollendung des 25. Lebensjahres voraus. Nicht ausgeglichen werden geringfügige Anrechte. Dies ergibt sich aus § 18 Versorgungsausgleichsgesetz.

Darüber hinaus kann der Ausgleich wegen Unwirtschaftlichkeit gemäß § 19 Abs. 3 Nr. 3 Versorgungsausgleichsgesetz unterbleiben. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn die berechtigte Person die allgemeine Wartezeit nicht erfüllen kann und somit feststeht, dass sie aus den übertragenen Anrechten keine Rente beziehen kann.

Im Gesetz §2VersAusglG wird erfasst, welche Anrechte dem Versorgungsausgleich unterliegen. Was passiert mit der gemeinsamen Immobilie im Scheidungsprozess?

Susanne Gundermann: Über den Versorgungsausgleich werden lediglich die Rentenanwartschaften ausgeglichen. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, was mit dem während der Ehezeit gemeinsam erwirtschafteten Vermögen und den im Miteigentum stehenden Immobilien der Eheleute im Fall der Scheidung passiert. Wenn sich die Eheleute angesichts einer bevorstehenden Scheidung nicht über die Aufteilung ihrer gemeinsamen Immobilie und/ oder des gemeinsam erworbenen Vermögens einigen können, kann auch hierüber das Familiengericht entscheiden. Anders als beim Versorgungsausgleich entscheidet das Familiengericht über die Fragen des ehelichen Güterrechts, wie z.B. die Frage, ob ein Ehegatte dem anderen Zugewinnausgleich zahlen muss, nur auf Antrag eines der Ehegatten.

Wenn die Eheleute sich nach ihrer Trennung über die Aufteilung ihrer im gemeinsamen Eigentum stehenden Immobilie und anderen Vermögenswerte gütlich einigen, empfiehlt es sich, hierüber eine Scheidungsfolgenvereinbarung abzuschließen. Eine solche Vereinbarung bedarf bis zur Rechtskraft der Ehescheidung der notariellen Form. Das heißt, sie muss in Anwesenheit beider Eheleute vor dem Notar abgeschlossen werden muss. Alternativ hierzu kann die Vereinbarung, wenn beide Eheleute im Scheidungsverfahren anwaltlich vertreten sind, auch vor Gericht protokolliert werden. ln der Regel ist der Abschluss einer solchen Vereinbarung zur Regelung der Trennungsfolgen deutlich kostengünstiger, als die Entscheidung hierüber vor dem Familiengericht auszufechten.

Für viele Ex-Partner ist unklar, auf welche Zeit sich der Ausgleich der Anwartschaften erstreckt. Erstreckt sich ein Ausgleich nur auf die Anwartschaften, die die Ehepartner während der Ehe erworben haben?

Susanne Gundermann: lm System des Versorgungsausgleichs (Ausgleich der während der Ehezeit bezogenen Rentenanwartschaften) werden lediglich die Rentenanwartschaften der Eheleute ausgeglichen, die diese während der gemeinsamen Ehezeit erworben haben. Es gilt hier das Stichtagsprinzip. Gemäß § 3 Abs. 1 Versorgungsausgleichsgesetz beginnt die Ehezeit mit dem ersten Tag des Monats, in dem die Ehe geschlossen worden ist und sie endet mit dem letzten Tag des Monats vor Zustellung des Scheidungsantrags an den anderen Ehepartner. Der Ehezeitanteil wird nach § 5 Abs. 1 Versorgungsausgleichsgesetz in einer bestimmten ,,Währung“ ausgedrückt, nämlich in der für das jeweilige Versorgungssystem maßgeblichen Bezugsgröße. Jedes Versorgungssystem hat seine eigene Bezugsgröße: Die Bezugsgröße der Kapitalversicherung ist Kapital, diejenige der formgebundenen Versicherung sind Fondsanteile, die Bezugsgröße der berufsständischen Versorgungen sind Versorgungspunkte.

ln der gesetzlichen Rentenversicherung wird diese Bezugsgröße nicht in Form von monatlichen Renten ausgedrückt oder Kapitalwerten, sondern in Form von Entgeltpunkten.

Es handelt sich hierbei um eine Verhältniszahl. lns Verhältnis gesetzt wird das individuelle Einkommen des Versicherten zum Durchschnittsverdienst aller Versicherten eines Kalenderjahres. Verdient ein Versicherter genauso viel, wie das festgelegte Durchschnittseinkommen, erhält er einen Entgeltpunkt gutgeschrieben. Verdient er weniger, erreicht er einen geringeren Entgeltpunkt. Das durchschnittliche Bruttoentgelt West liegt in diesem Jahr bei (geschätzt) 41.541 €. Hat also ein Arbeitnehmer genau dieses Jahreseinkommen bezogen, erhält er für das Jahr 2021 einen Entgeltpunkt in der gesetzlichen Rentenversicherung.

§27VersAusglG regelt seit November 2016 Ausnahmen beim Ausgleich. In welchen Szenarien teilt das Familiengericht die Rentenansprüche nicht?

Susanne Gundermann: ln bestimmten Fällen kann die Durchführung des Versorgungsausgleiches eine besondere Härte für den Ausgleichspflichtigen Ehegatten darstellen. ln solchen ,,Härtefällen“ kann ausnahmsweise die Durchführung des Versorgungsausgleiches vom Gericht ausgeschlossen werden. Der Gesetzgeber hat in § 27 Versorgungsausgleich Gesetz eine Sonderregelung getroffen. Ob ein Härtefall vorliegt, ist jeweils im Einzelfall von dem Richter/innen zu überprüfen. Ein Härtefall kann etwa angenommen werden, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte sich gegenüber dem ausgleichsverpflichteten Ehegatten einer Straftat schuldig gemacht hat. So kann der Ausgleich versagt werden, wenn etwa der Ehemann die ausgleichspflichtige Ehefrau während der Ehe geschlagen oder sonst körperlich misshandelt hat. Denkbar sind auch Fälle, in denen ein Ehegatte gearbeitet und die gemeinsamen Kinder versorgt hat, während der andere Ehegatte nichts zum gemeinsamen Lebensunterhalt beigetragen hat und sich auch nicht um die Erziehung und Pflege gemeinsamer Kinder gekümmert hat.

Eine einvernehmliche Regelung des Versorgungsausgleichs kann auch erzielt werden. Können Sie uns Umstände nennen, in denen ein Versorgungsausgleich nicht erforderlich ist, bzw. ein Versorgungsausgleich wenig sinnvoll wäre?

Susanne Gundermann: Das System des Versorgungsausgleiches zielt darauf ab, den Ehegatten zu schützen, der während der Ehe beruflich kürzer getreten ist, um den gemeinsamen Haushalt und die gemeinsamen Kinder zu versorgen. Bei einer Doppelverdiener-Ehe ohne Kinder macht die Durchführung des Versorgungsausgleiches unter Umständen keinen Sinn. Haben beide Ehegatten eine gute Ausbildung und ein nahezu gleich hohes Einkommen, entsteht während der Ehe bei keinem der Partner eine Versorgungslücke.

Frau Gundermann, vielen Dank für das Gespräch!

Interview teilen: 

Facebook
Twitter
LinkedIn
WhatsApp
No related posts found for the provided ACF field.

Zum Expertenprofil von Susanne Gundermann

Susanne Gundermann

Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter diesem Link:

Weitere Interviews

die neusten BTK Videos