Sven Köhnen: Sachmangelbegriff hat eine erhebliche Änderung erfahren

Interview mit Sven Köhnen
Sven Köhnen ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB in Köln. Mit ihm sprechen wir über neues Kaufrecht für KFZ, vorvertragliche Informationspflichten sowie Neudefinition des Begriffs Sachmangel.

Seit 01.01.2022 gilt in Deutschland das neu reformierte Kaufrecht für KFZ. Was hat sich geändert?

Sven Köhnen: Das neue Kaufrecht erweitert die Rechte zu Gunsten von Verbrauchern und bedeutet im Ergebnis für Autohäuser und Kfz-Betriebe einen höheren Aufwand verbunden mit mehr Risiken. Wesentliche Änderungen stellen die umfangreichen vorvertraglichen Informationspflichten der Kfz-Betriebe dar, die die Autohäuser gegenüber Verbrauchern zukünftig erfüllen müssen, um sich später auf bestimmte Vereinbarungen berufen zu können. Darüber hinaus ist auch der Sachmangelbegriff neu definiert worden, der nunmehr subjektive und objektive Komponenten enthält. Zur Begriffsbestimmung des Sachmangels gehören neuerdings auch die Waren mit digitalen Elementen, die eine Aktualisierungspflicht für die digitalen Elemente im vereinbarten und üblichen Umfang mit sich bringen. Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass Autohäuser nicht nur ihre Verkäufer im Hinblick auf die neuen vorvertraglichen Informationspflichten schulen sollten, sondern auch die Abläufe beim Vertragsabschluss und der Vertragsabwicklung dringend zu überprüfen sind, einschließlich der bisher üblicherweise verwendeten Vordrucke sowie Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Geschieht dies nicht, riskieren Autohäuser neben wirtschaftlichen Nachteilen auch Abmahnungen und Klagen von Verbraucherschutzverbänden.

Das heißt für Käufe ab dem 01.01.2022 gilt der geänderte Sachmangelbegriff gemäß § 434 BGB. Welche Änderungen wurden hier vorgenommen?

Sven Köhnen: Der Sachmangelbegriff und damit die Frage, wann überhaupt ein Mangel am Fahrzeug vorliegt, hat durch das neue Kaufrecht eine erhebliche Änderung erfahren. Bislang war es für die Mangelfreiheit des Fahrzeugs ausreichend, dass dieses der vereinbarten Beschaffenheit entsprochen hatte. Auf das Übliche und zu Erwartende kam es bislang nur an, wenn und soweit nichts vereinbart war.  Zukünftig muss das Fahrzeug aber auch den objektiven Anforderungen entsprechen. Dabei steht der Begriff „objektiv“ vereinfacht gesagt für das Übliche, also was der Käufer nach Art der Sache erwarten kann. Das Fahrzeug muss daher nicht mehr nur so sein wie vereinbart, sondern auch die für vergleichbare Kraftfahrzeuge übliche Beschaffenheit aufweisen. Dies hat zur Folge, dass Autohäuser und Kfz-Betriebe zukünftig auf eine genaue Beschreibung des Fahrzeugs in einer gesonderten Beschaffenheitsvereinbarung Wert legen sollten, damit nicht wegen Abweichungen vom üblichen Zustand die Qualifikation als Mangelhaft droht. Denn wird beispielsweise ein junger Gebrauchtwagen mit Kratzern und Schrammen verkauft, so mag dies zwar der vereinbarten Beschaffenheit entsprechen. Dennoch kann sich das Fahrzeug sodann als mangelhaft erweisen, da Kratzer und Schrammen bei jungen Gebrauchtwagen nicht üblich sind, so dass die objektiven Anforderungen nicht erfüllt sind. 

Unter den Voraussetzungen des § 476 BGB kann jedoch von dem üblicherweise zu erwartenden Standard abgewichen werden. Was muss der Verkäufer vor Vertragsschluss bei Abweichungen tun?

Sven Köhnen: Zu beachten ist, dass eine zum Nachteil des Verbrauchers abweichende Vereinbarung von dem üblicherweise zu erwartenden Standard nur wirksam ist, wenn die Formvorschrift des § 476 Abs. 1 BGB eingehalten worden ist. Das Gesetz sieht vor, dass der Verbraucher vor Vertragsabschluss eigens davon in Kenntnis gesetzt werden, dass ein bestimmtes Merkmal der Ware von den objektiven Anforderungen abweicht. Eine solche Information muss dem Käufer losgelöst vom Vertrag separat und damit in einem vom Kaufvertrag getrennten Dokument zur Verfügung gestellt werden. Bleibt man hier bei dem Beispiels-fall von zuvor so wären dies beim Gebrauchtwagen die erwähnten Kratzer und Schrammen, über die der Käufer bzw. Verbraucher vorvertraglich informiert werden müsste. Hierfür wäre im Rahmen des stationären Handels erforderlich, dass dem Käufer insoweit ein Informationsblatt ausgehändigt wird, welches er hinsichtlich jeder einzelnen Abweichung quittieren und ins-gesamt unterschreiben muss. Im Online-Handel hingegen wäre eine vorgeschaltete Webseite, deren Kenntnis der Kaufinteressent ebenfalls bestätigen muss, ausreichend. Ein vorangekreuztes Kästchen, das vom Verbraucher deaktiviert werden könnte, würde jedoch nicht mehr genügen. Darüber hinaus müssen alle Abweichungen aus dem vorvertraglichen Informationsschreiben auch nochmal im Kaufvertrag einzeln ausdrücklich und gesondert wiederholt werden, und zwar in Form einer drucktechnischen Hervorhebung. Nicht ausreichend wäre es daher, die Abweichungen nur neben anderen Vereinbarungen aufzuzählen, denn damit würde der gesetzgeberische Wille unterlaufen werden. Denn der Gesetzgeber will mit dem neuen Kaufrecht sicherstellen, dass sich der Verbraucher bewusst macht, dass er sich für eine Kaufsache interessiert, die nicht der üblichen Beschaffenheit entspricht, auch wenn dies im Ergebnis sehr formalistisch wirkt.

Außerdem wurden für den Verbrauchsgüterverkauf mehrere Regelungen für Waren mit digitalen Elementen eingeführt. Welche zusätzlichen Voraussetzungen für die Mangelfreiheit dieser Ware wurde mit dem neuen Kaufrecht festgelegt?

Sven Köhnen: Neu ist nunmehr auch, dass der Kfz-Händler zukünftig verpflichtet ist, beim Verkauf von Fahrzeugen mit digitalen Elementen oder digitalen Produkten an einen Verbraucher die erforderlichen Aktualisierungen bzw. Updates bereit zu stellen. Dies betrifft zum Beispiel ein Navi mit Navigations-Software, das Motorsteuergerät oder die Unterhaltungselektronik im Fahrzeug. Unterlässt es der Verkäufer, dem Verbraucher nach Vertragsschluss die erforderlichen Aktualisierungen bereitzustellen, wird die Ware mangelhaft. Selbst aus einem misslungenen Softwareupdate kann ein Sachmangel entstehen. Große Herausforderungen dürften sich insbesondere für markenungebundene Autohäuser stellen, da diese nicht zwingend Kenntnis von einem Update des Herstellers Kenntnis erhalten werden, obwohl sie ebenfalls verpflichtet wären, diese dem Verbraucher zur Verfügung zu stellen und ihn hierüber entsprechend zu informieren. Geschuldet werden aber nur Aktualisierungen, die für den Erhalt der Funktionsmäßigkeit des Fahr-zeugs erforderlich sind. Der Verkäufer ist daher nicht verpflichtet, verbesserte Versionen der digitalen Elemente zur Verfügung zu stellen. Zwar kann auch hier die Aktualisierungspflicht durch Vereinbarung mit dem Verbraucher ausgeschlossen werden, jedoch ist zu beachten, dass eine solche Vereinbarung nur wirksam ist, wenn die Abweichung ebenfalls ausdrücklich und gesondert im Vertrag getroffen wird. Ferner muss auch hier der Verbraucher noch vor Vertragsschluss über den Ausschluss der gesetzlichen Aktualisierungs-pflicht informiert werden.

Die Änderung des Kaufrechts betrifft allerdings auch andere Punkte wie der Rücktritt und Schadensersatz oder die Beweislastumkehr beim Verbrauchsgüterkauf. Können Sie uns abschließend sagen, was sich noch für Verbraucher konkret geändert hat?

Sven Köhnen: Geändert hat sich auch noch, dass die Vorschrift des § 442 BGB, die die Mangelkenntnis des Käufers betrifft, bei Verbrauchgüterkäufen nicht mehr gilt. Unverändert bleibt die Möglichkeit, die Verjährung der Sachmängelansprüche bei Gebrauchtfahrzeugen im Verbrauchsgüterkauf auf ein Jahr zu verkürzen. Jedoch muss auch hier beachtet werden, dass der Käufer vorher und eigens umfassend informiert werden muss. Wie bei der Abweichung von objektiven Anforderungen muss die Verkürzung der Verjährungsfrist ebenfalls im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart werden. Eine Klausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen, wie es bisher in Bezug auf die Verjährungsverkürzung regelmäßig erfolgt ist, ist daher nicht mehr ausreichend.

Herr Köhnen, vielen Dank für das Gespräch!

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