Tina Lewandowski: Renten wegen Erwerbsminderung werden grundsätzlich auf Zeit geleistet

Interview mit Tina Lewandowski
Tina Lewandowski ist Rechtsanwältin in ihrer Kanzlei LEWANDOWSKI Rechtsanwälte in Berlin. Mit ihr sprechen wir über Erwerbsminderung, Berufsunfähigkeitsrente sowie Voraussetzungen für die Erwerbsminderungsrente.

Gesetzlich ist die Rente wegen Erwerbsminderung in §43 SGB VI geregelt. Was versteht man unter einer Erwerbsminderungsrente?

Tina Lewandowski: Erwerbsgemindert ist nach der gesetzlichen Definition derjenige Versicherte oder die Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts tätig zu sein. Dabei muss man aber unterscheiden. Was bedeutet teilweise erwerbsgemindert und voll erwerbsgemindert in Bezug auf diese Rente? Teilweise erwerbsgemindert sind die Versicherten, die nach der obigen Definition außerstande sind, mindestens 6 Stunden täglich tätig zu sein, voll erwerbsgemindert sind diejenigen, die nicht einmal mehr mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig sein können. Für die teilweise Erwerbsminderung fordert die gesetzliche Definition daher ein Restleistungsvermögen zwischen 3 und 6 Stunden täglich, für die voller Erwerbsminderung ein auf unter 3 Stunden täglich abgesunkenes Leistungsvermögen. Besteht noch ein Leistungsvermögen von mindestens 6 Stunden täglich, liegt keine Erwerbsminderung vor, wobei die Arbeitsmarktlage zunächst zu berücksichtigen ist. Renten wegen Erwerbsminderung werden grundsätzlich auf Zeit geleistet. Eine unbefristete Rente gibt es nur dann, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann.

Gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen Erwerbsminderungsrente und Berufsunfähigkeitsrente?

Tina Lewandowski: Die Erwerbsminderungsrente ist eine Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung, einem Bereich der Sozialversicherung. Anspruchsberechtigt ist – nach Vorliegen weiterer Voraussetzungen – der Kreis der in der Sozialversicherung versicherten Personen. Bis zum 31. Dezember 2000 gab es auch im Sozialversicherungsrecht einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit. Für jüngere, nach dem 1. Januar 1961 Geborene besteht dieser Anspruch nicht mehr. Für ältere, die bei Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung zum 1. Januar 2001 bereits das 40. Lebensjahr vollendet hatten, kann unter bestimmten Voraussetzungen nach § 240 Abs. 1 SGB VI eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gezahlt werden. Die Berufsunfähigkeitsrente ist eine Leistung der privaten Versicherungswirtschaft. Es besteht kein gesetzlicher Anspruch, sondern man muss einen Vertrag mit einem Versicherungsunternehmen über den Bezug einer Berufsunfähigkeitsrente abgeschlossen haben. Unter welchen Voraussetzungen man Anspruch auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung hat, ist in den dem Vertrag zugrunde liegenden Bedingungen geregelt. Die Definitionen und Voraussetzungen können hier je nach Vertrag variieren. Zum Beispiel kann der Vertrag vorsehen, dass Berufsunfähigkeit dann vorliegt, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich auf Dauer ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, nicht mehr zu mindestens 50 % ausüben kann. Der große Unterschied zwischen beiden Systemen ist, dass bei der Erwerbsminderungsrente der Versicherte auf nicht absehbare Zeit außerstande sein muss, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts tätig zu sein, es bei der Berufsunfähigkeitsversicherung aber nur auf den zuletzt konkret ausgeübten Beruf ankommt.

Der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente setzt voraus, dass eine allgemeine Wartezeit von mindestens 5 Jahren erfüllt ist. Welche Voraussetzungen gibt es noch?

Tina Lewandowski: Der Versicherungsfall der Erwerbsminderung setzt voraus, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Andere Umstände sind unbeachtlich. Krankheit ist ein regelwidriger körperlicher oder seelischer Zustand, der eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit zur Folge hat. Die Definition der Behinderung erfordert, dass die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Für die teilweise Erwerbsminderungsrente ist wie oben geschildert erforderlich, dass der Versicherte täglich an 5 Tagen in der Woche noch mehr als 3 Stunden, aber weniger als 6 Stunden arbeiten kann. Für die voller Erwerbsminderungsrente darf der Versicherte nicht einmal mehr mindestens 3 Stunden täglich arbeiten können. Eine Besonderheit gibt es für diejenigen, die nicht mehr als mindestens 6 Stunden aber mehr als 3 Stunden täglich arbeiten können. Hier ist die konkrete Arbeitsmarktsituation zu berücksichtigen. Ist der Versicherte nicht auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz tätig und ist ihm auch der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen, hat er Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente. Derartige Renten sind allerdings nach der zwingenden gesetzlichen Regelung des § 102 Abs. 2 SGB VI auf maximal 3 Jahre befristet. Ist der Versicherte gesundheitlich noch in der Lage, mindestens 6 Stunden täglich zu arbeiten, sieht das Gesetz nach dem Wortlaut keine Leistungspflicht vor. Das Bundessozialgericht hat in seiner Rechtsprechung jedoch angenommen, dass auch hier der Arbeitsmarkt verschlossen sein kann, wenn eine schwere spezifische Leistungseinschränkung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt. Das Bundessozialgericht hat in einer abschließenden Aufzählung 7 Fälle angenommen, bei denen eine derartige schwere spezifische Leistungseinschränkung anzunehmen ist. Ist einer dieser 7 Fälle erfüllt, muss der Rentenversicherungsträger eine konkrete Verweisungstätigkeit benennen. Gelingt das nicht, ist der Versicherte als voll erwerbsgemindert anzusehen. Eine weitere versicherungsrechtliche Voraussetzung für die Gewährung der Erwerbsminderungsrente ist, dass der oder die Versicherte die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht hat. Ferner müssen in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung gezahlt worden sein und es muss vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt sein, die in § 50 SGB VI geregelt ist.

Können Sie uns abschließend sagen, wo man die Erwerbsminderungsrente beantragt und wann diese beginnt?

Tina Lewandowski: Der Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente wird beim zuständigen Rentenversicherungsträger gestellt. Der Rentenbeginn ist in § 99 Abs. 1 SGB VI geregelt. Zunächst ist der Zeitpunkt festzustellen, in dem die Minderung der Erwerbsfähigkeit, also der Leistungsfall, eingetreten ist. Sind zusätzlich auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wie Beitragszeiten und Wartezeit etc. erfüllt, beginnt die Rente am Ersten des Monats, zu dessen Beginn alle Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Auch der Zeitpunkt der Antragstellung ist wichtig für die Berechnung des Rentenbeginns. Für den frühestmöglichen Rentenbeginn muss der Rentenantrag bis zum Ende des 3. Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt werden, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Eine Besonderheit für den Beginn gibt es bei der befristeten Rente wegen Erwerbsminderung, § 101 Abs. 1 und Absatz 1a SGB VI. Danach beginnen Zeitrenten nicht vor Beginn des 7. Kalendermonats nach dem Eintritt der Erwerbsminderung. Sinn und Zweck dieser Regelung ist eine Risikoverteilung zwischen Arbeitslosen- oder Krankenversicherung und der Rentenversicherung auf der anderen Seite, denn für die ersten sechs Kalendermonate einer Erkrankung besteht in der Regel ein Anspruch auf Leistung gegenüber diesen anderen Sozialversicherungsträgern.

Frau Lewandowski, vielen Dank für das Gespräch!

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