Unmissverständliche Testamente verhindern Ärger und Streit – Rechtsanwalt Dr. Jürgen Reiss

Interview mit Dr. Jürgen Reiß
Dr. Jürgen Reiß ist Partner der Kanzlei REISS. Im Interview spricht der Rechtsanwalt über Rechte und Pflichten im Erbschaftfall sowie problematische Konstellationen in Erbengemeinschaften.

Welche Rechte und Pflichten sind mit einem Erbe verbunden?

Dr. Jürgen Reiß: Wenn Sie Erbe werden, treten Sie als sogenannter „Gesamtrechtsnachfolger“ in alle Rechten und Pflichten des Verstorbenen ein. Sie treten damit rechtlich (fast vollständig) an die Stelle des Verstorbenen. Sie werden also Eigentümer des Nachlasses und Berechtigter seiner Forderungen. Sie werden Vertragspartner der vom Verstorbenen abgeschlossenen Verträge, Sie haften für seine Verbindlichkeiten. Hierbei ist zu beachten, dass Sie als Erbe auch mit Ihrem Privatvermögen für die Schulden des Erblassers haften. Eine Begrenzung der Haftung auf den Nachlasswert kann nur in bestimmten Fällen erfolgen: Ist der Nachlass beispielsweise überschuldet, besteht die Möglichkeit, ein Nachlassinsolvenzverfahren einzuleiten.

Es entstehen darüber hinaus auch Pflichten aus dem Sterbefall selbst, was vor allem Beerdigungskosten und Begräbniskosten umfasst. Wird ein gesetzlicher Erbe (z.B. ein Kind des Erblassers) enterbt, kann dieser seinen Pflichtteil einfordern. Dieser entspricht wertmäßig der Hälfte dessen, was er als Erbe erhalten hätte. Der Erbe hat auch die Pflicht, im Testament angeordnete Vermächtnisse an die Bedachten herauszugeben. Wenn mehrere Erben vorhanden sind, bilden sie eine Erbengemeinschaft. Hier muss zum einen das Erbe verwaltet werden und eine Auseinandersetzung zwischen den Erben erfolgen, was je nach Verhältnis zwischen den Erben auch durchaus zu Meinungsverschiedenheiten führen kann. Hier ist ein systematisches Vorgehen in jedem Fall empfehlenswert, bestenfalls unter Zuhilfenahme von anwaltlicher Beratung.

Welche Maßnahmen sind im Erbschaftsfall einzuleiten?

Dr. Jürgen Reiß: Wenn Sie das Erbe annehmen wollen, müssen Sie nichts Besonderes unternehmen. Wenn Sie gesetzlicher Erbe sind und kein Testament vorhanden ist oder wenn Sie testamentarisch als Erbe bedacht sind, werden Sie mit dem Tod des Erblassers zum Erben.

Sollten Sie das Erbe ausschlagen wollen, müssen Sie dies innerhalb einer Frist von sechs Wochen ab Kenntnis des Todesfalls und Ihrer Erbenstellung vornehmen. Eine Ausschlagung bietet sich dann an, wenn beispielsweise der Nachlass verschuldet ist. Mit der Ausschlagung rücken dann die nächsten Personen in der Erbfolge als Erbe auf. Sie sollten beachten, dass Sie, wenn Sie gesetzlicher Erbe sind und ausschlagen, nur in Ausnahmefällen einen Pflichtteilsanspruch erhalten.

Wichtige Maßnahmen nach dem Erbschaftsanfall sind die Erfassung des gesamten Nachlassvermögens und bei Immobilien die Umschreibung des Eigentums im Grundbuch. Oft ist die Beantragung eines Erbscheins erforderlich, mit dem Sie sich gegenüber Dritten als der rechtmäßige Erbe ausweisen können. Wenn Pflichtteilsberechtigte vorhanden sind, sollte ein Nachlassverzeichnis über das Vermögen des Verstorbenen erstellt werden. Gegenüber dem Finanzamt muss zudem die Erbschaft innerhalb von drei Monaten gemeldet werden. Das Nachlassvermögen muss verwaltet werden, wobei Sie innerhalb einer Erbengemeinschaft beachten müssen, dass nur alle Erben zusammen über den Nachlass verfügen dürfen, eine Abstimmung untereinander ist dann immer notwendig.

Wie wird die Erbschaftssteuer bemessen?

Dr. Jürgen Reiß: Die Höhe der Erbschaftssteuer richtet sich nach der Höhe des Nachlassvermögens und nach dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Erben. Das Verwandtschaftsverhältnis spielt für den Steuersatz und für die Steuerfreibeträge eine Rolle. Ehegatten des Erblassers sind am meisten begünstigt, hiernach kommen die Kinder, die Enkel und die Eltern. Für diese Personen gilt Steuerklasse I, lediglich die Freibeträge variieren. Bei Geschwistern des Erblassers oder weiter entfernten Verwandten, wird die höhere Steuerklasse angesetzt, der Freibetrag verringert sich deutlich, der Steuersatz steigt.

Bei Immobilien ist unter Umständen ein Versorgungsfreibetrag zu beachten, der zusätzlich zum Steuerfreibetrag von dem anzusetzenden Betrag abgezogen werden kann. Je höher das Nachlassvermögen (also das ererbte Vermögen abzüglich der Freibeträge) ist, umso mehr erhöht sich auch der festgelegte Steuersatz innerhalb bestimmter Stufen. Inwiefern eine Einsparung an Erbschaftssteuern im Einzelfall erreicht werden kann, sollte unbedingt anwaltlich überprüft werden.

Was gehört in jedes Testament?

Dr. Jürgen Reiß: Unbedingt geregelt werden muss in einem Testament eine unmissverständliche Erbeneinsetzung. So müssen die Erben und das Nachlassgericht nicht grübeln, was der Verstorbene überhaupt gemeint hat. Sie ersparen also allen Beteiligten durch eine eindeutige Formulierung viel Ärger und mögliche Streitigkeiten zwischen potentiellen Erben. Bei der Interpretation des Testaments ist immer dem Willen des Erstellers zu folgen. Je eindeutiger dieser ist, umso besser. Um dem Ausdruck zu verleihen, sollte unbedingt professionelle anwaltliche Beratung herangezogen werden.

Wenn mehrere Erben vorhanden sind und bei größeren Vermögenswerten, bieten sich sogenannte Teilungserklärungen an: Sie legen fest, wie einzelne Vermögensgegenstände unter den Erben aufgeteilt werden. Die Erben können nur davon abweichen, wenn Sie einstimmig eine andere Regelung beschließen. Wenn Sie verhindern wollen, dass Immobilien später versteigert werden – vor allem wenn sich Miterben nicht einigen können – können Sie in Ihrem Testament eine solche Versteigerung ausschließen.

Ist die Verwaltung für die Erben nicht machbar, bietet sich die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers an, der über die notwendigen fachlichen Kompetenzen verfügt. Sollen einzelne Nachlasswerte an Personen gehen, die nicht Erbe geworden sind, sind diese klar als Vermächtnisse zu bezeichnen. Vermächtnisse können auch an Bedingungen gekoppelt werden, sogenannte Auflagen. Zuletzt ist zu berücksichtigen, dass der Pflichtteilsanspruch von enterbten gesetzlichen Erben testamentarisch nicht ausgeschlossen werden kann.

Was ist beim Vererben von Unternehmen zu beachten?

Dr. Jürgen Reiß: Wenn das Unternehmen von einem Einzelkaufmann geführt ist, führt der Erbe das Geschäft an der Stelle des Kaufmanns fort. Wenn das Unternehmen von einer Gesellschaft geführt wird und der Erblasser Gesellschafter war, treten die Erben in die Gesellschafterposition ein. In jedem Fall ist der Gesellschaftsvertrag zu beachten und eine Erbregelung in Abstimmung mit dem Gesellschaftsvertrag vorzunehmen. Dabei ist zwischen Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften zu unterscheiden. Bei Personengesellschaften (GbR, OHG oder KG) ist der Gesellschaftsvertrag und dessen individuelle Nachfolgeregelungen entscheidend. Bei Kapitalgesellschaften (GmbH, AG) treten die Erben in der Regel unproblematisch in die Gesellschaftsanteile als Erbengemeinschaft ein und erhalten gemeinschaftlich die Gesellschafterrechte.

Sollten Sie bestimmte Erben als Gesellschafter vorsehen, ist dies unbedingt im Testament (und ggf. im Gesellschaftsvertrag) zu regeln. Die Einsetzung eines fachlich versierten Testamentsvollstreckers ist empfehlenswert, kann aber gleichzeitig zu einer Blockade innerhalb des Unternehmens führen. Ein weiteres Thema ist eine hohe Erbschaftssteuer, weshalb sich unter Umständen eine schenkungsweise Übertragung zu Lebzeiten unter Nießbrauchvorbehalt anbieten könnte. Hierbei ist also je nach Unternehmen eine eigene, individuelle Gestaltung unabdingbar, um Gesellschaftsrecht und Erbrecht aufeinander abstimmen zu können.

Was ist beim Vererben von Immobilien zu beachten?

Dr. Jürgen Reiß: Das Vererben von Immobilien bereitet dann Schwierigkeiten, wenn mehrere Erben vorhanden sind. Dies bedeutet nämlich, dass die Immobilien gemeinsam verwaltet werden müssten. Je mehr Erben vorhanden sind, umso schwieriger gestaltet es sich dann in der Praxis, einen Konsens zu finden. Für eine geordnete Verwaltung oder Auseinandersetzung besteht allerdings auch die Möglichkeit, einen Testamentsvollstrecker einzusetzen. Zudem ist eine Immobilie meist schwer zwischen den Erben aufzuteilen, weshalb viele Erben bei Unstimmigkeiten zur Teilungsversteigerung greifen, um die Immobilie in Geld umzuwandeln, was zwischen den Erben aufgeteilt wird. Wenn eine solche Versteigerung nicht in Ihrem Sinne ist, können Sie im Testament verfügen, dass eine solche zu unterlassen ist. Es könnte ein Erbe die Immobilie übernehmen und die übrigen Erben wertmäßig ausbezahlen. Möglich ist auch ein freihändiger Verkauf, um die Immobilie in Geld umzuwandeln. Daher bietet sich an, Immobilien im Wege einer Teilungsanordnung zwischen den Erben aufzuteilen, um eine gerechte Lösung für die Erben zu finden und etwaige Streitigkeiten zu vermeiden.

Was sind die einschlägigen Regelungen bei Schenkungen?

Dr. Jürgen Reiß: Schenkungen an Erben zu Lebzeiten können unter bestimmten Umständen günstiger sein als den geschenkten Gegenstand zu vererben. Ein Vorteil ist hierbei, dass die Schenkungsfreigrenze alle 10 Jahre wieder ausgenutzt werden kann. Hierbei ist auch zu beachten, dass Schenkungen zu Lebzeiten selbstverständlich den späteren Nachlass schmälern, aus dem ein Pflichtteilsberechtigter seinen Anteil ausbezahlt bekommt. Der Pflichtteilsberechtigte hat bei Schenkungen die Möglichkeit, seinen wertmäßigen Anteil an dem verschenkten Gegenstand vom Erben herauszuverlangen. Hat der Erblasser z.B. an eine andere Person eine Immobilie verschenkt, kann der Pflichtteilsberechtigte seinen Pflichtteilsanteil an dem Immobilienwert vom Erben fordern als Pflichtteilsergänzung. Hierbei ist aber zu beachten, dass mit jedem Jahr, das seit der Schenkung vergeht, der auszuzahlende Wert sich um 10 % verringert. Sind also zehn Jahre seit der Schenkung vergangen, wird die Schenkung nicht bei der Pflichtteilergänzung berücksichtigt. Diese Regel gilt jedoch nicht bei Schenkungen an Ehegatten oder wenn sich der Schenker ein Nießbrauchsrecht einräumen lässt. Bei Schenkungen an Kinder oder Enkel ist zu beachten, wenn diese Erben werden, dass diese auch untereinander unter Umständen die Schenkungswerte ausgleichen müssen. Ein Pflichtteilsberechtigter muss sich in bestimmten Fällen auch Schenkungen des Verstorbenen auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen.

Wann sind Stiftungen sinnvoll?

Dr. Jürgen Reiß: Stiftungen sind dann von Vorteil, wenn man ein gewisses Grundvermögen besitzt, das einen eigenen Wert erwirtschaftet (bspw. ein Unternehmen oder eine vermietete Immobilie) und das Vermögen getrennt von den möglichen Erben verwaltet werden soll. Dies bietet sich dann an, wenn die Verwaltung des Vermögens eine besondere Fachkompetenz verlangt und das Vermögen auf Dauer erhalten bleiben soll. Viele Familienstiftungen zielen darauf ab, die Familie des Erblassers finanziell auf lange Zeit zu unterstützen und die Vermögenswerte auf Dauer im Familienbesitz zu erhalten. Steuerliche Vorteile ergeben sich dadurch, dass lediglich alle 30 Jahre eine Erbersatzsteuer anfällt, bei der ein Freibetrag von 800.000 Euro geltend gemacht werden kann. Bei Familienstiftungen ist bei der Gründung und der Übertragung des Vermögens der Anfall von Erbschafts- bzw. Schenkungssteuer zu beachten, hier richten sich die Steuersätze nach dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Stiftungsgründer und den Begünstigten. Die Stiftung wird dann testamentarisch als Erbin eingesetzt, sie ist eine eigenständige Organisationseinheit und erhält alle Vermögenswerte des Erblassers. Die Familienmitglieder können dann mit regelmäßigen (nicht pfändbaren) Geldauszahlungen bedacht werden und können je nach Gestaltung der Stiftungssatzung auch Einfluss auf die Stiftung nehmen. Hierzu gibt es verschiedene rechtliche Ausgestaltungsmöglichkeiten, die je nach Gegebenheit auf Wunsch angepasst werden können.

Herr Dr. Reiß, vielen Dank für das Gespräch.

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