Immer mehr Verbraucher wollen Nachhaltigkeit in der Tierhaltung und Schlachtung, wenn es um Schweine, aber auch um Rindfleisch und Geflügel geht. Wie ist Ihre Position zum Tierwohllabel?
Jens-Peter Wedlich: Wir müssen uns bewusst sein, dass wir hier grundsätzlich über das Thema Massentierhaltung und Fließbandproduktion von Fleisch und Fleischprodukten sprechen – und das betrifft alle Tiere, die wir konsumieren. Besonders Fische haben hier keine Lobby, wie man auch schon an der Fragestellung sieht und entsprechend wird mit ihnen umgegangen.
Ein Tierwohllabel ist ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch muss es sich wirklich am Wohl der Tiere orientieren und nicht am bestmöglichen technischen und wirtschaftlichen Nutzen. In unserer industrialisierten Welt sollten wir hier vielleicht einen Schritt zurückgehen, entschleunigen und zur Wertschätzung, in diesem Falle, jeder einzelnen Kreatur, finden. Dies bedeutet jedoch einen Verzicht auf Ausbeutung im Sinne der Gewinnmaximierung aller beteiligten Personen und Tiere. Hier hat der Verbraucher die Macht zu entscheiden, jedoch ist es ein Statussymbol, sich jeden Tag mehrmals Fleisch oder Fisch zu gönnen. Eigentlich sollte das Ziel der radikale Verzicht oder zumindest der „Sonntagsbraten“ sein.
Freiwillige Informations-Label auf abgepacktem Fleisch gibt es viele, alle unterschiedlich, es fehlt aber wohl eine staatlich verbindliche Richtlinie. Das wird von Verbraucherschützern und Tierschutzverbänden kritisiert. Wie sehen Sie das?
Jens-Peter Wedlich: Label gibt es wirklich viele, denn jeder kann sich sein Siegel selbst kreieren. Die Standards je- doch sind undurchsichtig, verschwommen und nicht weit genug gehend. Hinzu kommt, die all- gegenwärtige Frage: Wer kontrolliert den Kontrolleur? Ob eine staatliche Richtlinie hier weiterhilft, wage ich zu bezweifeln. Unsere Regierung und das Parlament stehen unter sehr starkem Einfluss der Industrie und großer Interessenverbände, die nur den eigenen Vorteil suchen. So werden dann letztendlich weiche Kompromisse ausgehandelt, die das angestrebte Ziel des Tierwohls hintenanstellen. Gerade unabhängige Tier- und Umweltschutzverbände sollten mehr eingebunden werden, um ein wirklich nachhaltiges Tierwohl zu erreichen. Die Bio-Siegel machen es schon vor, und gerade Landwirte der verschiedenen Anbauverbände (z.B. Bioland, Demeter) bemühen sich um transparente, nachhaltige und faire Landwirtschaft. Das hierzu auch etwas Idealismus gehört ist klar.
Wenn man in den Supermarktketten die Aufkleber zur „Stallhaltung“ sieht, bemängeln Kritiker, dass es reine Alibi-Kennzeichnungen seien. Dienen diese wirklich dem Tierwohl?
Jens-Peter Wedlich: Um hier eine klare Aussage zu machen, muss man sich die einzelnen Haltungsformen anschauen (www.haltungsform.de). Schon der erste Blick zeigt, dass die vorgegeben Standards der ersten drei Stufen, kein wirkliches Tierwohl, im Sinne des Wortes, darstellen und die Premiumhaltungsform gerade mal in die Nähe der untersten Bio-Standards kommt. Für mich ist es eine Form des Greenwashings, um dem Verbraucher das Gefühl zu geben, eine wirkliche Entscheidungsmöglichkeit zu haben und sein Gewissen zu beruhigen. Leider ist es unabdingbar, dass sich der Verbraucher selbst damit auseinandersetzt, um hier eine für sich wichtige und richtige Entscheidung über sein Konsumverhalten zu treffen. Leider sind hierzu viele Menschen zu bequem, was schlussendlich zu dieser bedingungslosen Siegel-Gläubigkeit führt.
Wenn man sieht, dass Schweine weniger als einen Quadratmeter Stallfläche haben dürfen, dann ist das ein Skandal. Wie geht der Handel und Ihr Unternehmen mit dem Thema „Tierschutz“ um?
Jens-Peter Wedlich: Der Handel, hier sind die großen Ketten gemeint, hat ein Ziel und das ist die Gewinnmaximierung – ja, es geht nur ums Geld. Alle Entscheidungen haben dieses Ziel, so auch die zum Tierwohl. Es gibt aktuell Strömungen in der Gesellschaft, die ein besseres Tierwohl, nachhaltiges Wirtschaften und Konsumieren einfordern, die z. B. auf ökologischen Landbau setzen. Diese Kundengruppen gilt es für den Handel zu gewinnen und zu halten. Hierzu ist jedes Mittel recht, eben auch das Gestalten von vermeintlich nachhaltigen Labeln. Dass die Tiere in gewisser Weise davon profitieren ist ein guter Nebeneffekt, jedoch sind die Schritte viel zu klein. Für uns steht das Tierwohl obenan und wir achten bei den wenigen tierischen Produkten, die wir verkaufen, auf das höchstmögliche Tierwohl, kennen einige der Landwirte persönlich und haben uns ein Bild vor Ort gemacht. Das bietet Transparenz, echtes Tierwohl und bildet somit das Vertrauen der Kunden zu uns aus. Trotzdem sind wir uns bewusst, dass auch die Bio-Tierhaltung eine Form der Massentierhaltung ist.
Die Firma LIDL hat jetzt 50 Mio. Euro für den staatlichen Fonds für Tierwohl eingezahlt. Zieht jetzt die ganze Branche nach?
Jens-Peter Wedlich: Die Großen der Branche werden nicht umhinkommen, sich daran zu beteiligen, denn sonst haben Sie ja auch kein Mitspracherecht in der Ausgestaltung der Standards. Es geht um Einfluss und Beeinflussung – so sind wir wieder im Lobbyismus. Ein echtes Tierwohllabel muss sich an den Ansprüchen der Tiere orientieren, nicht an Marktanteilen und „Spendengeldern“. Nur unabhängige Organisationen können das leisten, aber da hapert es meistens schon an der Finanzierung. So befinden wir uns in einer Zwickmühle, bei der die Tiere nicht gewinnen können.
Verbraucher pochen auf bessere Lebens- und Schlachtbedingungen bei Masttieren, wollen laut Statistik aber nur wenig mehr für Fleischprodukte zahlen. Wie passt das zusammen?
Jens-Peter Wedlich: Diese „Geiz ist geil“-Mentalität wurde und wird uns von allen Seiten eingetrichtert und auch wir hören oft, dass unsere Produkte „zu teuer“ sind. Dabei zahlen wir alle oftmals einen geschönten Preis, denn viele Landwirte können von dem Ertrag ihrer Produkte nicht leben und sind auf Subventionen aus der Staatskasse angewiesen. So zahlen wir alle doppelt. Es ist sicherlich noch die größere Gruppe an Menschen, denen der eigene Geldbeutel näher ist als das Tier, aus dessen Haut jedwelcher genäht wurde. Nichtsdestotrotz stellen wir fest, dass ein Umdenken stattfindet. Immer mehr Menschen merken, dass wir mit unserem Konsumverhalten und allen damit verbundenen Auswirkungen, uns und unsere Lebensgrundlage kaputt machen. Steigende Verkäufe von Bio-Produkten, nachhaltige und faire Mode, Verzicht von unnötigen Einwegverpackungen, natürliche Produkte usw. zeigen die Trendwende. Diese Menschen sind bereit mehr zu bezahlen und weniger zu konsumieren. Dies geht dann zu weil in Extreme, wie den kompletten Verzicht auf Produkte oder Produktgruppen, die den eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden. Letztendlich muss jeder Verbraucher für sich entscheiden welchen Weg er geht, wichtig dabei ist jedoch, dass er hinterfragt, denkt und nicht stumpf konsumiert.