Corona-Pandemie hat die Tuning-Saison 2020 massiv beeinträchtigt – Tobias Quint (WEST-BERLIN-CUSTOMS)

Interview mit Tobias Quint
Tobias Quint ist Chef von WEST-BERLIN-CUSTOMS. Im Interview spricht er über Trends in der Tuning-Szene und die massiven Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Branche.

Autotuning und -veredelung ist ein wachsender Trend. Was macht den Reiz aus, der von dieser Form der Auto-Individualisierung ausgeht?

Tobias Quint: Im Bereich des Auto-Tunings gibt es zwei Kernbereiche – das optische Tuning und das Performance-Tuning. 

Beim optischen Tuning liegt der Reiz in einem Abheben vom Serien-Erscheinungsbild des Fahrzeugs. Es ist schön, sich ein besonderes Auto zu gönnen und sich an der Form zu erfreuen. Steht jedoch eine „Kopie“ des eigenen Fahrzeugs an jeder zweiten Ampel neben einem, kommt bei Menschen, die auf ihr Fahrzeug achten, schnell der Wunsch nach Individualität auf. Weiterhin wird aus Effizienzgründen bei der Herstellung der Fahrzeuge auch massiv an der Optik und Wertigkeit gespart. Das sieht man schön an Unterschieden zwischen dem vorgestellten Fahrzeug auf dem Genfer Auto-Salon und dem finalen Produkt im Verkaufsraum des Vertragshändlers. Das Ersetzen kostengünstiger und minderwertiger Bauteile gegen Teile aus höherwertigen Werkstoffen und mit einer optimierten Funktionalität ist sehr populär im Bereich des optischen Tunings.

Das Performance-Tuning ist ein ganz eigener Bereich. Hier geht es primär um eine Verbesserung der Fahrleistungen des Fahrzeugs. Dies kann auf ganz unterschiedlichen Wegen erfolgen. Neben dem klassischen Austausch von Bauteilen oder Bauteil-Gruppen ist seit einigen Jahren auch der digitale Eingriff in die Steuerung von Motor und Getriebe sehr beliebt und verbreitet. 

Welche Arten von Customizing sind am beliebtesten?

Tobias Quint: Welche Umbauten favorisiert werden, hängt sehr von der jeweiligen Zielgruppe ab. Ich habe viele Kunden „mittleren Alters“ denen es vollkommen ausreicht, ein paar schickere Felgen mit einem oder zwei Zoll größerem Durchmesser zu montieren und sich dann am neuen Aussehen ihres Fahrzeugs erfreuen. Teilweise wird noch eine Tieferlegung umgesetzt, die jedoch moderat ausfällt und deren Fokus auf einem Erhalt des Fahrkomforts liegt. 

Das „Komplett-Programm“ in Form einer deutlich sichtbaren Tieferlegung, breiten Rädern, speziell ausgewählten Reifenbreiten, einer Edelstahl-Abgasanlage ab Katalysator und der Montage von Karosserie-Anbauteilen wird von mir hingegen eher für einen jüngeren Kundenkreis realisiert. 

Ausnahmen bestätigen die Regel. Ich möchte meine älteren Kunden, die hier mitlesen und einen aufwändigen Umbau in der Garage haben, nicht übergehen. Das Tuning existiert seit vielen Jahrzehnten und so kennt auch das Interesse am Thema keine Altersgrenze. 

Was sind die beliebtesten Performance-Maßnahmen?

Tobias Quint: Der Weg zur Mehrleistung ist stark abhängig vom Alter des Fahrzeugs. Während in den 70er und 80er Jahren das klassische Saugmotor-Tuning in Form geänderter Nockenwellen, Kolben, Pleuel, Ansaugbrücken, etc. klar im Fokus stand, rückten in den 90er Jahren die Abgas-Turbolader auf der Beliebtheitsliste weit nach vorn. Deutlich effizientere Turbo-Technik und das Erhöhen des Ladedrucks führten auf viel einfacherem Wege zu einer deutlich höheren Leistung, als noch in den Jahren zuvor. 

Das „Downsizing“ der Hubräume und eine allgemein ausgereifte Turbo-Technik führten dazu, dass zur Jahrtausendwende immer mehr Fahrzeuge direkt von den Fahrzeug-Herstellern mit Turbo-Technik ausgeliefert wurden. Parallel zu dieser Entwicklung wurden immer komplexere und leistungsstärkere Steuergeräte in den Fahrzeugen verbaut. Dies öffnete einem ganz neuen Geschäftsfeld, dem Chip-Tuning, Tür und Tor. Seither ist der Trend des Chip-Tunings ungebrochen. Ohne jeglichen mechanischen Eingriff werden dem Fahrzeug auf vergleichbar günstigem Wege mehr Leistung und Drehmoment entlockt.  

Welche sind die wichtigsten Trends in der Szene?

Tobias Quint: Der Kern-Trend der letzten Jahre ist ganz klar das „3F-Tuning“. Die drei „F“ stehen für „Felgen“, „Folie“ und „Fahrwerk“. Zum Leidwesen der „alten Hasen“ der Tuning-Szene gibt es heutzutage kaum noch Fahrzeuge, an denen aufwändige Blecharbeiten, eine hochwertige Lackierung oder die Handarbeit eines Sattlers im Innenraum umgesetzt werden. Dies liegt sicher auch am Trend Fahrzeuge zu leasen, statt sie zu besitzen. Eine Folierung, ein Austausch der Felgen und sogar eine Tieferlegung können theoretisch auch ohne das Wissen des Leasinggebers umgesetzt werden. Viele klassische Umbauten, wie der Austausch des Lenkrades gegen ein Sportlenkrad, oder der Sitze gegen Schalensitze entfallen heute „leider“ aufgrund der vorhandenen und sicherheitsrelevanten Airbag-Technik.

Wie viel Geld steckt ein Liebhaber durchschnittlich in die Individualisierung seines Autos?

Tobias Quint: Es ist sehr schwer, eine genaue Summe zu definieren. Ich habe Fahrzeuge vom VW UP bis zum Lamborghini Aventador in meinem Kundenkreis. Der Zeitaufwand der Dienstleistungen sowie der Preis für die Bauteile können stark variieren. Sehr grob zusammengefasst würde ich den durchschnittlichen Kostenrahmen auf einen unteren bis mittleren vierstelligen Euro-Betrag eingrenzen. Abweichungen nach unten und oben sind nicht selten. 

Messen und Veranstaltungen sind ein wichtiger Bestandteil der Tuning-Szene. Wie hat sich die Corona-Pandemie ausgewirkt?

Tobias Quint: Die Tuning-Szene lebt von sozialen Kontakten. Durch das gemeinsame Hobby bildet sich im nahen Umfeld ein Bekanntenkreis gleichgesinnter, die sich gegenseitig bei den Umbauten unterstützen und beraten. Ohne ein gutes Netzwerk wären viele Umbauten gar nicht möglich. Überregionale Treffen und Veranstaltungen sind daher ebenfalls sehr beliebt. Sie geben zum einen den Anlass, das eigene Fahrzeug gemeinsam mit den Freunden zu bewegen. Weiterhin werden die Treffen genutzt, um auch zu weiter entfernteren Gruppen und Bekannten den Kontakt zu halten. 

Die Corona-Pandemie hat die Tuning-Saison 2020 massiv beeinträchtigt. Bis in den Spätsommer hinein wurden alle Events aufgrund von Auflagen der Bundesländer storniert. Hier dürfte es keine Unterschiede zwischen den Tuning-Events und anderen Veranstaltungen, wie Musik-Konzerten oder Messen geben. Für viele Veranstalter der Tuning-Treffen wird das Jahr 2020 mit massiven wirtschaftlichen Verlusten und Ausfällen einhergehen. Verkaufte Tickets sollen ihre Gültigkeit bis 2021 behalten. Ich hoffe sehr, dass alle beteiligten Unternehmen 2020 finanziell überstehen und 2021 an die Zeit vor der Pandemie anknüpfen können. 

Die Leit-Messe im Bereich „Tuning“ ist seit Jahrzehnten die Essen Motorshow. Aktuell wird noch an einer Ausrichtung der Messe 2020 festgehalten (Stand: 09/2020). Weltweit ist die SEMA in Las Vegas das Trend-Barometer und die wichtigste Messe der Branche. Ich bin die letzten 10 Jahre regelmäßig vor Ort gewesen. Auch die SEMA sollte Anfang November stattfinden. Das Hygiene-Konzept der Messe war bis ins kleinste Detail geplant und sehr professionell ausgearbeitet. Dennoch wurde die Messe im August abgesagt. Mir ist bekannt, dass sehr viele große Aussteller auch bereits die Teilnahme an der Essen Motorshow 2020 abgesagt haben. Daher blicke ich der Umsetzung der Messe 2020 mit gewisser Skepsis entgegen. Persönlich liegt meine Hoffnung derzeit auf einer „Normalisierung“ für den Wirtschaftszweig und die Tuning-Saison im Jahr 2021.

Herr Quint, vielen Dank für das Gespräch.

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