Struktur schlägt Oberfläche im digitalen Raum

Interview mit Marcel Fasch
Marcel Fasch, Gründer von Coreflow, erklärt, warum User Experience heute weniger Designfrage als Orientierungsaufgabe ist – und weshalb UX zunehmend zur strategischen Führungsdisziplin wird.

Welche neuen Möglichkeiten sehen Sie in der Entwicklung von User Experience Trends für Webagenturen im kommenden Jahr?
User Experience befindet sich aktuell in einem grundlegenden Wandel. Während UX lange Zeit stark visuell und interface-getrieben war, rückt zunehmend die Frage der Orientierung in den Mittelpunkt. Nutzer erwarten heute weniger spektakuläre Oberflächen, sondern klare Strukturen, verständliche Entscheidungswege und eine konsistente Nutzerführung über verschiedene Touchpoints hinweg.

Für Webagenturen eröffnet das neue Möglichkeiten, UX nicht mehr nur als Designleistung, sondern als strategisches Instrument zu positionieren. Insbesondere im Zusammenspiel mit neuen Such- und Informationssystemen – etwa KI-gestützten oder generativen Suchformen – wird deutlich, dass UX bereits vor dem eigentlichen Website-Besuch beginnt. Inhalte müssen nicht nur gut gestaltet, sondern logisch aufgebaut, kontextuell verständlich und klar priorisiert sein.

Bei Coreflow beobachten wir, dass genau diese Verbindung aus UX, Struktur und Auffindbarkeit immer stärker nachgefragt wird. Dieser Perspektivwechsel ist auch ein zentraler Gedanke in meinem aktuellen Buchprojekt, in dem ich mich mit der Frage beschäftige, wie digitale Orientierung zum entscheidenden Erfolgsfaktor für Unternehmen wird.

Inwiefern bergen aktuelle User Experience Trends Risiken für etablierte Webagenturen und deren Geschäftsmodelle?
Ein wesentliches Risiko besteht darin, dass UX-Trends häufig als isolierte Design- oder Technologietrends verstanden werden. Neue Animationen, Micro-Interactions oder KI-Features wirken auf den ersten Blick innovativ, lösen jedoch nicht automatisch reale Nutzerprobleme. Wenn Agenturen Trends übernehmen, ohne deren strategische Wirkung zu hinterfragen, entsteht schnell Komplexität ohne Mehrwert.

Ein weiteres Risiko liegt in der Erwartungshaltung der Kunden. UX wird zunehmend als selbstverständlich angesehen, gleichzeitig aber selten klar definiert. Agenturen geraten dadurch in eine Situation, in der viel erwartet wird, der Nutzen aber schwer erklärbar bleibt. Wer UX nicht messbar mit Unternehmenszielen verknüpft, läuft Gefahr, in eine reine Umsetzungsrolle gedrängt zu werden.

Aus unserer Praxis heraus zeigt sich, dass Agenturen langfristig nur dann erfolgreich bleiben, wenn sie UX als Führungs- und Entscheidungsdisziplin begreifen – nicht als Trendthema. Diese Haltung prägt auch meine Arbeit als Autor, da ich überzeugt bin, dass UX künftig stärker als Denkmodell verstanden werden muss.

Was sind Ihrer Meinung nach die entscheidenden Kriterien, um bei der Implementierung neuer User Experience Trends erfolgreich zu sein?
Das zentrale Kriterium ist Relevanz. Nicht jeder Trend ist für jede Zielgruppe oder jedes Geschäftsmodell sinnvoll. Erfolgreiche UX entsteht dort, wo Nutzerbedürfnisse, Unternehmensziele und technologische Möglichkeiten bewusst miteinander in Einklang gebracht werden.

Ein weiteres entscheidendes Kriterium ist Reduktion. In einer zunehmend komplexen digitalen Welt gewinnt Einfachheit an Wert. Gute UX bedeutet nicht, möglichst viel anzubieten, sondern Nutzern zu helfen, schneller die richtige Entscheidung zu treffen. Diese Fähigkeit zur Priorisierung wird für Agenturen immer wichtiger.

Darüber hinaus spielt Messbarkeit eine große Rolle. UX-Maßnahmen sollten nicht nur ästhetisch überzeugen, sondern nachvollziehbare Auswirkungen auf Verhalten, Orientierung und Conversion haben. In meinem Buch beschäftige ich mich intensiv mit genau dieser Schnittstelle zwischen UX, Strategie und Wirkung.

Gibt es konkrete Beobachtungen oder Erfahrungen aus Ihrer Praxis, die bei der Anpassung an neue UX-Trends besonders relevant waren?
Eine wiederkehrende Beobachtung aus unserer Arbeit ist, dass Nutzer zunehmend überfordert reagieren, wenn ihnen zu viele Optionen gleichzeitig präsentiert werden. Projekte profitieren heute stärker von klaren Informationshierarchien, reduzierten Navigationsstrukturen und verständlichen Inhalten als von visueller oder technischer Komplexität.

Besonders deutlich wird dies im Umgang mit KI-basierten Funktionen. Nutzer akzeptieren neue Technologien dann, wenn sie verstehen, warum Inhalte angezeigt werden und wie Entscheidungen zustande kommen. UX übernimmt hier eine vermittelnde Rolle zwischen Technologie und Mensch – sie schafft Vertrauen durch Transparenz.

Diese Erkenntnisse fließen in unsere Kundenprojekte bei Coreflow ein, da sie zeigen, dass gute UX vor allem Orientierung und Sicherheit vermitteln muss.

Wie bereiten Sie sich strategisch darauf vor, zukünftige User Experience Trends zu antizipieren und zu integrieren?
Strategisch verfolgen wir einen bewusst reflektierten Ansatz. Trends werden frühzeitig beobachtet, aber nicht vorschnell übernommen. Stattdessen analysieren wir, ob sie echte Nutzerprobleme lösen oder lediglich kurzfristige Aufmerksamkeit erzeugen. Erst wenn ein klarer Nutzen erkennbar ist, werden neue Ansätze getestet und integriert.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf interdisziplinärem Denken. UX entsteht nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel mit Content, Sichtbarkeit, Technologie und Markenführung. Diese ganzheitliche Perspektive ist aus meiner Sicht entscheidend, um langfristig relevante Lösungen zu entwickeln.

Auch meine Arbeit an einem Buch über digitale Orientierung und moderne UX-Strategien ist Teil dieses Prozesses. Schreiben zwingt zur Klarheit und hilft dabei, Entwicklungen nicht nur umzusetzen, sondern einzuordnen – eine Fähigkeit, die für Agenturen und Unternehmen immer wichtiger wird.

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Marcel Fasch

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