Welche aktuellen Markttrends und Entwicklungen sollten Unternehmensberater bei der strategischen Neuausrichtung ihrer Kunden besonders im Blick behalten?
Wir beobachten derzeit mehrere Entwicklungen, die kaum ein Unternehmen ignorieren kann.
Besonders relevant sind branchenübergreifend der anhaltend hohe Kosten- und Wettbewerbsdruck durch Energie-, Material- und Lohnkosten, steigende Anforderungen an Nachhaltigkeit und strengere Nachweise entlang der Lieferkette.
Hinzu kommen regionale Beschaffungsstrategien, der zunehmende Fachkräftemangel, Investitionen in die Digitalisierung der Kundenbeziehung und des Vertriebs entlang der Auftragsabwicklung, in der Produktion und Logistik sowie im After Sales und Service sowie der Bedarf an flexiblen Produktionsstrukturen.
Der anhaltend hohe Kosten- und Wettbewerbsdruck durch Energie-, Material- und Lohnkosten zwingt viele industrielle Mittelständler zu Effizienzprogrammen, Prozessoptimierung und fokussierten Investitionen statt „Wachstum um jeden Preis“.
Steigende Anforderungen an Nachhaltigkeit und Nachweise:
Energieversorgung und Nachhaltigkeit werden strategisch gedacht. Unternehmen prüfen Eigenstromlösungen, Energieeffizienz und alternative Bezugsmodelle, um sich gegen kommende Preisschübe und regulatorische Vorgaben abzusichern. Unternehmen müssen zunehmend Umweltauswirkungen belegen, z. B. durch CO₂-Fußabdrücke von Produkten oder für Produktionsnetzwerke inklusive umfangreicher Lieferkettenberichte.
Beispiel:
Ein Maschinenbauer aus Baden-Württemberg erhielt erst nach Einführung eines nachvollziehbaren Energie- und Materialmonitorings wieder Zugang zu Ausschreibungen großer Industriekunden.
Aufbau regionaler Lieferketten:
Viele Mittelständler verlagern Vorprodukte wieder näher an ihre Werke, um Abhängigkeiten zu reduzieren.
Beispiel:
Ein Fahrzeugzulieferer ließ Kunststoffteile wieder in Tschechien statt in Ostasien beschaffen; dadurch wurden Lieferzeiten halbiert.
Fachkräftemangel als strategischer Engpass:
Produktionsausweitungen scheitern häufig an fehlenden Fachkräften. Unternehmen reagieren mit Automatisierung der Wertschöpfungsprozesse, aber auch mit Qualifizierungsprogrammen und vordefinierten Karrierepfaden, um auf Basis der Stärken und Fähigkeiten der einzelnen Persönlichkeiten individuelle Personal- und Karriereentwicklung zu ermöglichen.
Beispiel:
Ein Hersteller von Baukomponenten automatisierte seine Schweißlinien und konnte die Produktion trotz unbesetzter Stellen steigern.
Auswirkungen der demografischen Entwicklung begegnen:
Das im Unternehmen vorhandene Wissen, das in zahlreichen Köpfen der langjährigen und erfahrenen Mitarbeitenden vorhanden ist, muss gesichert und dem Nachwuchs sowie jungen Talenten in geeigneter Form zugänglich gemacht werden.
Beispiel:
Ein Hersteller der Lebensmittelindustrie schafft mit einem durchgängigen Ansatz des Geschäftsprozessmanagements die Basis, um Wissen zu erfassen und prozessorientiert an geeigneten Stellen verfügbar zu machen.
Entwicklung von Führungskräften auf Basis einheitlicher Werte:
Unternehmensspezifische Programme der Führungskräfteentwicklung machen sowohl aktuelle als auch zukünftige Führungskräfte fit für die Führung von Menschen mit differenzierteren Wertmaßstäben und individuellen Erwartungen. Eine der wichtigsten Aufgaben in einer zunehmend volatilen Welt ist das Vermitteln von emotionaler Sicherheit und das Vorleben von Werten auf Basis einheitlicher Führungsprinzipien. Grundlage dafür sind eine gemeinsam entwickelte und getragene Vision sowie Mission im Unternehmen.
Digitalisierung von Produktion, Vertrieb und Verwaltung:
Investitionen in die Digitalisierung der Kundenbeziehung und des Vertriebs entlang der Auftragsabwicklung, in der Produktion und Logistik sowie im After Sales und Service bleiben ein zentraler Investitionsschwerpunkt. Auch der geeignete Umgang und die Integration von KI-Lösungen in die Unternehmensprozesse gewinnen an Bedeutung.
Beispielhaft sind automatisierte Fertigung, digitale Serviceangebote oder durchgängige IT-Systeme – auch wenn insgesamt zurückhaltender investiert wird.
Bedarf an flexiblen Produktionsstrukturen:
Kunden erwarten kürzere Lieferzeiten und kleinere Losgrößen.
Beispiel:
Ein Familienunternehmen im Lebensmittelbereich führte modulare Anlagen ein, um Sortenwechsel schneller zu ermöglichen und die Produktion näher an den Kundentakt sowie den konkreten Auftragsbedarf heranzuführen.
Inwiefern stellen geopolitische Unsicherheiten und wirtschaftliche Volatilität Herausforderungen bei der Entwicklung neuer Strategien dar?
Sehr stark. Strategien müssen heute viel flexibler ausgelegt sein und verschiedene politische und wirtschaftliche Szenarien berücksichtigen. Die Planbarkeit hat abgenommen, und die Risikoprämien sind gestiegen – egal ob bei Rohstoffen, Energie oder Transport.
Geopolitische Spannungen, gestörte Lieferketten und eine schwache Konjunktur machen langfristige Planung unsicher und zwingen Firmen, Produktions- und Beschaffungsstrukturen breiter aufzustellen, etwa durch zusätzliche Lieferanten und Standorte.
Zurückhaltendere Investitionsentscheidungen:
Starke Preisschwankungen bei Energie und Vorprodukten erschweren Kalkulationen. Viele Unternehmen verschieben Projekte oder verkleinern deren Umfang und verlangen flexiblere Strategien mit Szenario- und Risikobetrachtungen. Häufig werden kleinere, schrittweise Investitionen gegenüber großen Einzelentscheidungen bevorzugt.
Beispiel:
Ein mittelständischer Maschinenbauer stoppte den Bau eines neuen Werkes in Asien und investierte stattdessen in die Kapazitätserweiterung seiner bestehenden europäischen Standorte, um Abhängigkeiten zu reduzieren.
Können Sie ein Beispiel aus Ihrer Praxis nennen, in dem eine strategische Neuausrichtung maßgeblich zum Erfolg eines Unternehmens beigetragen hat?
Ein Hersteller von Präzisionskomponenten war stark von zwei Großkunden abhängig. Die strategische Neuausrichtung umfasste die Erschließung eines neuen Geschäftsfeldes im Bereich Medizintechnik, eine stabilere Produktionsplanung sowie den Ausbau des Vertriebs in Nachbarländern.
Nach zwei Jahren erzielte das neue Geschäftsfeld über 20 % des Gesamtumsatzes. Die Abhängigkeit von einzelnen Kunden sank deutlich, und das Unternehmen gewann wirtschaftliche Stabilität sowie Investitionsfähigkeit.
Ein industrieller Mittelständler aus der Metallverarbeitung steigerte seine Widerstandsfähigkeit, indem er in Wärmerückgewinnung, modernere Technik und eine systematische Energieplanung investierte. Dadurch sank der Energieverbrauch deutlich, und die Kosten blieben in der Energiekrise stabil.
In der Praxis zeigt sich: Unternehmen, die vor einer Krise gezielt Effizienz, alternative Energiequellen und eine engere Zusammenarbeit mit Energie- und Technologiepartnern aufgebaut haben, konnten Preisschocks besser abfedern und Wettbewerbsvorteile erzielen.
Wie sehen Sie die Rolle von Technologie und Digitalisierung in der zukünftigen strategischen Neuausrichtung von Unternehmen?
Technologie und Digitalisierung dienen zunehmend als Hebel zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, etwa durch vernetzte Maschinen, Datenanalyse in der Produktion oder digitale Schnittstellen zu Kunden und Lieferanten. Digitale Technologien schaffen die Grundlage für transparenteres und effizienteres Arbeiten.
Die digitale Erfassung von Produktionsdaten ermöglicht gezielte Verbesserungen, Automatisierung hilft beim Fachkräftemangel, und neue digitale Serviceleistungen erweitern das Leistungsangebot. Familien- und mittelständische Unternehmen investieren trotz schwieriger Lage weiter in digitale Fähigkeiten, um Prozesse zu verschlanken, Fachkräftemangel zu kompensieren und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, etwa digitale Serviceverträge oder Plattformangebote.
Beispiel:
Ein Metallverarbeiter reduzierte den Ausschuss um 15 %, nachdem er Fehlerursachen systematisch digital auswertete.
Welche Lektionen aus der jüngsten Wirtschaftsgeschichte sollten Unternehmensberater bei der strategischen Neuausrichtung ihrer Klienten berücksichtigen?
Berater sollten ihren Klienten vermitteln, dass finanzielle Stabilität, die Diversifizierung von Bezugsquellen, Investitionen in Effizienz und Digitalisierung sowie eine realistische Einschätzung von Standort- und Regulierungsrisiken heute Kernbestandteile jeder zukunftsfähigen Strategie sind.
Eine zu starke Abhängigkeit von einzelnen Märkten oder Lieferländern ist riskant. Die Störungen während der Pandemie haben gezeigt, dass fehlende Alternativen Produktionsstillstände verursachen können.
Gut geführte Familien- und Mittelstandsunternehmen profitieren von langfristigem Denken. Investitionen in Qualität, Fachkräfte und robuste Prozesse zahlen sich gerade in Krisen aus.
Liquidität und solide Finanzierung sind entscheidend. Unternehmen mit hoher Eigenkapitalquote konnten Abschwünge besser überstehen. Besonders wichtig ist aus unserer Sicht die Festlegung einer nachhaltigen Finanz- bzw. Finanzierungsstrategie.
Tempo, Entschlossenheit und ein ganzheitliches Risikomanagement mit geeigneten Frühindikatoren, vordefinierten Strategien und konkreten Abhilfemaßnahmen ermöglichen es Unternehmen, schnell und nachhaltig auf veränderte wirtschaftliche Situationen zu reagieren.