Factoring als Lösung für Liquiditätsprobleme – Oliver Kuhaupt (Arvato Infoscore)

Interview mit Oliver Kuhaupt
Oliver Kuhaupt ist Geschäftsführer von Arvato Infoscore. Im Interview spricht er über Liquiditätsmanagement und Factoring im e-Commerce. 

Durch die Corona-Krise hat das Thema Liquiditätsmanagement für viele Unternehmen an Bedeutung gewonnen. Spüren Sie eine erhöhte Nachfrage nach Factoring-Lösungen?

Oliver Kuhaupt: Vielleicht müssen wir zunächst erstmal klären, was wir unter Factoring verstehen, da der Begriff sehr vielfältig verwendet wird. Generell handelt es sich bei Factoring um die Abtretung von Forderungen durch die vorzeitige Ablösung des ausstehenden Betrages. Damit übernehmen Anbieter wie Arvato Financial Solutions das weitere Ausfallrisiko dieser Forderungen. Dabei stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt des Ankaufs: Kaufen wir die Forderungen bei Entstehung an, d.h. innerhalb der vereinbarten Zahlungsfrist oder erst wenn diese Zahlungsfrist schon abgelaufen und die Forderungen dementsprechend ausfallgefährdet sind? 

Zu Ihrer Frage, aktuell verzeichnen wir definitiv eine erhöhte Nachfrage nach Factoring-Produkten. Wir beobachten, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Unternehmen die Potenziale von Factoring erkennen und nutzen. Insbesondere im wachsenden eCommerce Segment sehen wir einen grundlegenden Trend hin zum Einsatz von Factoring-Lösungen, wie z.B. unserer AfterPay-Lösung. Die Corona-Krise hat diesen Trend nochmal beschleunigt und die Volumina haben stark zugenommen. 

Für welche Unternehmen und Branchen ist Factoring geeignet?

Oliver Kuhaupt: Grundsätzlich eignet sich Factoring branchenübergreifend für jedes Unternehmen. Die Vorteile sind vielfältig. Von einer Steigerung der eigenen Bonität, der Übertragung des Ausfallrisikos, der Liquiditätsverbesserung, der Einsparung operativer Kosten für das Debitorenmanagement bis hin zur Optimierung der Conversion Rates und damit der Steigerung des Umsatzes von Online-Händlern gibt es verschiedene Ziele, auf die Factoring einzahlen kann.

Mit unseren Factoring-Lösungen bedienen wir verschiedenste Branchen und Unternehmen unterschiedlicher Größe: vom innovativen Fintech-Start-Up, über kleine Online-Händler und städtische Verkehrsbetriebe, bis hin zu internationalen Großkonzernen. Die Anzahl an angekauften Forderungen liegt zwischen einigen wenigen und einigen Millionen pro Kunde und Jahr.

Unserer Produkte sind jeweils auf die Anforderungen einer Branche bzw. Kundengruppe zugeschnitten. Unsere AfterPay-Lösung eignet sich vor allem für den eCommerce Sektor und kann als „Kauf auf Rechnung“-Zahlart im Checkout Prozess des Kunden implementiert werden. Im Gesundheitssektor bietet Arvato Financial Solutions mit „BSF Health Finance“ eine speziell auf die Bedürfnisse von Zahnärzten und deren Patienten angepasste Lösung. Ein internationales Beispiel aus dem Mobilitätsbereich bildet eine Factoring-Lösung für Parking Anbieter, welche erfolgreich im norwegischen Markt eingesetzt wird. Hierbei werden Forderungen aus Park-Tickets mit Hilfe von ANPR (Automatic Number Plate Recognition) automatisch den Haltern zugeordnet und vom Kunden direkt an Arvato Financial Solutions übertragen. Im B2B-Bereich haben wir mit der BFS Finance eine Lösung für Forderungen von mittelständischen Unternehmen. 

In unserem Segment Ankauf von überfälligen Forderungen haben wir Kunden aus verschiedensten Branchen, darunter Banken, Versorger, Telekommunikationsanbieter, Mobilitätsdienstleister, Versandhandel oder eCommerce. Durch den Verkauf von notleidenden Forderungen haben unsere Kunden die Möglichkeit, einen fairen Preis für diese Forderungen zu erzielen und sofortige Liquidität zu erhalten. Dabei profitiert der Kunde von unserer Expertise im Forderungsmanagement.   

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Forderungen für Factoring in Frage kommen?

Oliver Kuhaupt: Die Grundvoraussetzung für Factoring ist eine belegbare und abgeschlossene Leistungserbringung, welche der Forderung beispielsweise in Form einer Rechnung zugrunde liegt. Vor allem Produkte und Dienstleistungen, welche einen hohen Grad an Standardisierung aufweisen – wie z.B. standardisierte AGB – eignen sich für das Factoring.

Das Alter, die Qualität und die Höhe der Forderung müssen hierbei keine bestimmten Voraussetzungen erfüllen, vielmehr bestimmen diese und weitere Parameter den Kaufpreis. Aus technischer Sicht ist für die Übertragung der Forderungen eine Schnittstelle (API) erforderlich, welche einen unkomplizierten Datenaustausch ermöglicht. Hier setzen wir auf leicht zu implementierende Standardschnittstellen.

Haben sich die Konditionen für Factoring seit der Corona-Krise verändert?

Oliver Kuhaupt: Bisher sehen wir im Ankauf von offenen, noch nicht fälligen Rechnungen keine Auswirkungen der Corona-Krise auf die Factoring-Konditionen. Nichtsdestotrotz ist das Zahlungsverhalten der Endkunden eine dynamische Größe, welche unserer ständigen Aufmerksamkeit bedarf. Wir beobachten in einigen Märkten, dass Verbraucher ihre Rechnungen deutlich früher begleichen, was wir darauf zurückführen, dass auf Grund der Covid-19 Einschränkungen Geld beispielsweise für Urlaub eingespart wird.

Hingegen können wir momentan im Bereich der notleidenden Forderungen beobachten, dass die von den Verkäufern erwarteten Kaufpreise nicht mehr erreicht werden. Diese marktweite Entwicklung beruht auf der gesamtwirtschaftlich gestiegenen Unsicherheit, welche sich in steigenden Zahlen von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit und damit sinkenden Haushaltseinkommen begründet. Damit einher gehen entsprechende Risikoabschläge, welche Investoren in die Kalkulation der Kaufpreise einbeziehen. Dieser Wertverfall kann auf Seiten der Gläubiger zu erhöhten bilanziellen Wertberichtigungen führen.

Mit welchen Kosten müssen Unternehmen beim Factoring rechnen, wie schnell erhalten Sie ihr Geld nach Rechnungsversand?

Oliver Kuhaupt: Bei Rechnungen innerhalb des Zahlungsziels liegen die Factoring-Kosten im einstelligen Prozentbereich als Abschlag vom Nominalwert. Der Zeitpunkt der Auszahlung des jeweiligen Kaufpreises hängt stark vom gewählten Factoring-Modell und den individuell ausgehandelten Vereinbarungen ab und kann flexibel angepasst werden, bis hin zu täglichen Auszahlungen.

Der Abschlag vom Nominalwert bei überfälligen Forderungen variiert sehr stark und hängt maßgeblich von Faktoren wie Alter, Höhe, Branche und dem kalkulierten Ausfallrisiko der Forderung ab. Hierbei steht die Minimierung der Verluste für den Kunden im Vordergrund, da unsichere Forderungen in planbare Liquidität umgesetzt werden. Die Kosten, die hierbei entstehen, stehen der durch unsere Expertise gesteigerten Wahrscheinlichkeit einer Realisierung, dem direkten Liquiditätseffekt und den operativen Einsparungen auf Seiten des Kunden entgegen.

Welche Voraussetzung sollte ein seriöser Factoring-Anbieter erfüllen?

Oliver Kuhaupt: In Deutschland zählen das Factoring und das Finanzierungsleasing seit 2009 zu den Finanzdienstleistungen, die Anforderungen leiten sich aus dem Gesetz über das Kreditwesen ab. Unternehmen, die Factoring und Finanzierungsleasing betreiben, benötigen seitdem eine Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und stehen unter einer eingeschränkten Aufsicht dieser. Außer diesen gesetzlichen Verordnungen verfügt Arvato Financial Solutions über eine ZAG-Lizenz und führt im Rahmen von „KYC-Compliance“ Legitimationsprüfungen von Neukunden zur Prävention von Geldwäsche durch.

Eine weitere wichtige Voraussetzung ist eine abgesicherte, finanzielle Ausstattung von Factoring-Anbietern, damit Kunden regelmäßig ihre Auszahlungen zum vereinbarten Zeitpunkt erhalten. Nur wenn Anbieter langfristig liquide sind, können sie auch anderen Unternehmen finanzielle Sicherheit bieten. Als Teil von Bertelsmann profitieren wir und unsere Factoring-Dienstleistungen stark von der finanziellen Stabilität der Gruppe.

Außer einer professionellen Vorgehensweise und Kommunikation ist zudem die Mitgliedschaft in branchenübergreifenden Verbänden ein Indiz für seriöse Anbieter. So ist Arvato Financial Solutions bspw. Mitglied im Deutschen Factoring Verband, speziell für den Bereich der überfälligen Forderungen sind wir Mitglied im BKS (Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing e.V.) sowie im DKS (Deutsche Kreditmarkt Standards e.V.). Die Mitgliedsunternehmen dieser Verbände unterliegen strengen Anforderungen, die sich an einem verantwortungsvollen, unternehmerischen Handeln orientieren.

Herr Kuhaupt, vielen Dank für das Gespräch. 

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